Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

531-533

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gogarten, Friedrich

Titel/Untertitel:

Gehören und Verantworten 1991

Rezensent:

Fischer, Hermann

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

531

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 7

532

Tilliette, Xavier: Edith Stein et la Philosophie chretienne. A propos d'
Etrefini et Etreeternel (Gr. 71. 1990. 97-113).

Torrance, Thomas F.: Science Theologiquc. Trad. de l'anglais J.-Y. Lacoste
. Paris: Presses Universitaires de France 1990. VI, 410 S. 8 = Theologi-
ques. Kart. fFr 260.-.

Turlot, Fernand: Un manuscrit inedit d'Octave Hamelin sur Kant
(RSPhTh 74. 1990, 61-70).

Varet. Gilber: Spiritualismc et Philosophie reflexive (RSPhTh 74. 1990.
23-34).

Wohlmuth, Josef: Zur Bedeutung der „Geschichtsthesen" Walter Benjamins
für die christliche Eschatologic (EvTh 50, 1990, 2-20).

Wollgast, Siegfried: Karl Christian Friedrich Krause (1781-1832). Anmerkungen
zu Leben und Werk. Berlin: Akademie-Verlag 1990. 127 S. 8 =
Sitzungsberichte der Sachs. Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Phi-
lol.-hist. Klasse, Bd. 129. 5. Kart. DM 13,-.

Systematische Theologie: Dogmatik

Gogarten, Friedrich: Gehören und Verantworten. Ausgewählte
Aufsätze. In Zusammenarb. mit M. Bultmann hg. von H. G.
Göckeritz. Tübingen: Mohr 1988. XVI. 352 S. gr. 8. Lw. DM
89,-.

Der von H. Göckeritz besorgte Aufsatzband steht nicht in unmittelbarem
Zusammenhang mit dem 100. Geburtstag Gogar-
tens am 13. Januar 1987, ist aber doch in einem weiteren Sinne
durch ihn veranlaßt worden (vgl. XV). In der Frühzeit hatte Gogarten
seine theologische Arbeit wiederholt in zusammenfassenden
Aufsatzbänden zugänglich gemacht. Die letzte dieser Sammlungen
, „Glaube und Wirklichkeit", erschien 1928 (davor: Die
religiöse Entscheidung, 1921. Von Glauben und Offenbarung,
1923. Illusionen. Eine Auseinandersetzung mit dem Kulturidealismus
, 1926). An diese Tradition knüpft der Hg. an und läßt den
vorliegenden Band deshalb mit einem Aufsatz aus dem Jahre
1928 beginnen (Das Gesetz und seine Erfüllung durch Jesus Christus
). Mit den zwanzig chronologisch geordneten Abhandlungen
wird ein Zeitraum von knapp 40 Jahren ausgemessen. Der letzte
Beitrag von nur eineinhalb Seiten. „Aufgabe und Verantwortung
des evangelischen Theologen", stammt aus dem Jahre 1966. Bei
der nicht ganz leichten Auswahl hat sich der Herausgeber von
dem Ziel leiten lassen, „den Weg, den Gogartens theologisches
Denken vom Ausgang der zwanziger Jahre an bis zum Ende seines
Lebens zurückgelegt hat, aus seinen Vorträgen und Aufsätzen
exemplarisch zu dokumentieren. Daher sollen neben charakteristischen
, wenngleich stärker zeitgebundenen vor allem solche
Themen berücksichtigt werden, die Gogarten zeitlebens beschäftigt
haben und an denen die alle unverkennbaren Diskontinuitäten
überbrückende Kontinuität seines Denkens deutlich wird"
(Vf.). So findet der Leser in der Sammlung gewichtige und bekannte
, heute zumeist aber nur noch schwer erreichbare Arbeiten
Gogartens, etwa seine Besprechung der Christlichen Dogmatik
K. Barths von 1927 (1929: Karl Barths Dogmatik), Aufsätze wie
„Das Problem einer theologischen Anthropologie" (1929), „Die
religiöse Aufgabe der Gegenwart" (1930/31), „ Die Krisis der Religion
" (1931), „Menschheit und Gottheit Jesu Christi" (1932),
„Schöpfung und Volkstum" (1932), „Jesus Christus" (1936),
„Wort Gottes und Schrift" (1936) oder aus der Spätzeit die eindringliche
Studie über „Theologie und Geschichte" (1953).

Fast alle Beiträge waren schon einmal publiziert und insofern
der Forschung bekannt. Das Interesse richtet sich deshalb in besonderer
Weise auf die drei bisher nicht veröffentlichten Vorträge
aus den Jahren 1938-1947: „ Kirche des Glaubens und Kirche als
Ordnung im Volk" (1938). „Die Wahrheit der Geschichte"
(1938) und „Glaube und Schicksal" (1947). Dazu gehört auch
noch Gogartens Breslauer Universitätsrede vom 18. Januar

1933, die damals wohl erschienen ist, hier aber in ihrer vollständigen
und letzten Fassung zum Abdruck gelangt. Diese drei bzw-
vier Studien sind deshalb so interessant, weil sie es erlauben, den
Weg vom Ordnungstheologen Gogarten in den frühen 30er Jahren
zum späteren Theoretiker der Säkularisierung etwas aufzuhellen
und den Zeitpunkt des Wandels genauer als bisher zu bestimmen
.

Gogartens Theorie von der Säkularisierung als einer legitimen
Folge des christlichen Glaubens findet sich erst in seinen Veröffentlichungen
nach 1945. Der Begriff selbst taucht schon vorhei
auf, etwa in der Breslauer Universitätsrede von 1933. er ist hiei
aber rein negativ bestimmt: „Die Säkularisierung theologische!
Begriffe bedeutet, daß die Begriffe um ihren eigentlichen Inhal'
gebracht werden, den sie in ihrer ursprünglichen Bedeutung im
Zusammenhang des Sachverhalts haben, der der Gegenstand dei
Theologie ist und der immer dadurch charakterisiert ist, daß d
dem Reich der irdischen Dinge, dem Säkulum, gegenübergestellt
und übergeordnet ist. Indem theologische Begriffe säkularisier!
werden, hebt man aber gerade diese Gegenüberstellung auf. Mar
macht siegegenstandslos ..." (127, vgl. auch 128, 132, 134. 135)
Erst 15 Jahre später redet Gogarten in einem positiven Sinn vor
Säkularisierung. Das hat zu der Vermutung veranlaßt. Gogarter
habe sein programmatisches Verständnis von Säkularisierung
erst nach dem zweiten Weltkrieg entwickelt. H. Lübbe zufolg'
stellt sie die theologische Reaktion auf die politische Konsolidie
rung Westdeutschlands nach dem Zusammenbruch dar. Solch«
Vermutungen dürfen durch die jetzt aus dem Nachlaß publizierten
Vorträge als erledigt gelten. Der Wandel der Anschauunger
Gogartens im Blick auf das Phänomen der Säkularisierung isl
weder durch den zweiten Weltkrieg noch durch die Nachkriegsge
schichte (mit)bedingt. Vielmehr lassen sich die Grundannahmet
der Säkularisierungstheorie bereits in den beiden Vorträgen au!
dem Jahre 1938 deutlich erkennen.

Die Argumentation in einem Aufsatz von 1937 (Der doppelt'
Sinn von Gut und Böse, 189-205) bekundet noch das negativ
polemische Verständnis von Säkularisierung. In dieser Studie er
örtert Gogarten den Gegensatz von Gut und Böse, der sich in sei
ner Beziehung auf das Verständnis Gottes anders ausnimmt ab
im Blick auf die weltlichen Verhältnisse. Durch eine „tiefe un'
unheilvolle Verwirrung des menschlichen Denkens" (193) ha
sich diese Grunddifferenz verschliffen. Der Gegensatz von Gu1
und Böse in den menschlichen Dingen ist auf das Gollesverhältni-
übertragen worden mit der Konsequenz einer „Dämonisieruni
des irdischen Gut und Böse" (195). Das „Werk des Glaubens'
besteht darin, das moralische Gut und Böse zu „entdämonisie
ren", es also wieder auf sein menschlich-irdisches Maß zurück
zubringen (197). Während Gogarten hier die Funktion des Glau
bens ähnlich wie in seiner späteren Säkularisierungstheorii
beschreibt, macht er im Unterschied zur späteren Argumenta
tion die Säkularisierung selbst für diese heillose Verwirrung vef
antwortlich. „In Wahrheit ist die in den letzten Jahrhunderter
geschehene Säkularisierung christlicher Glaubenserkenntnisst
der Grund für diese Zerstörung" (203). Deshalb wird die Forde
rung erhoben, diese Säkularisierung „rückgängig" zu macher
(2040!

Nur kurze Zeit später, in dem am 4. 1. 1938 gehaltenen Vortra!
„Kirche des Glaubens und Kirche als Ordnung im Volk" (206-
218) akzentuiert Gogarten anders. Den Einsatzpunkt der Erwä
gungen bildet die Reformation. Mit ihr hebt ein Prozeß an. i'
dessen Verlauf es zur Aufhebung der Unterscheidung zwischet
Profan und Heilig, Kirche und Welt, Priester und Laie kommt
Für das geistige und kulturelle Leben wirkt sich diese Wende ab
„radikale, grundsätzlich keine Grenzen kennende wissenschaftli
che Aufklärung und technische Beherrschung der Umwelt de:
Menschen" aus, verbunden mit einer tiefgreifenden Verände
rung der politischen und sittlichen Verfassung des menschlicher