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Ausgabe:

1991

Spalte:

522-524

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Kiesow, Gottfried

Titel/Untertitel:

Einführung in die Denkmalpflege 1991

Rezensent:

Velten, Wilhelm

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Theologische Litcraturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 7

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In der französischen Historiographie ist die Unterscheidung Eintritt in die Politik geschildert, also bis zum Jahr 1949. Aber

fischen kritischer Geschichtswissenschaft und der Pflege des vielleicht hätte eine umfassendere Darstellung den vorgegebenen

kollektiven Gedächtnisses geläufig. Strebt die erstere danach, die Rahmen gesprengt. Interessant ist der Hinweis auf das in der End-

er8angenheit möglichst objektiv zu analysieren, geht es letzterer phase der Weimarer Republik entstandene Winterhilfswerk als

Pnmär darum, aus dem Gewordenen Traditionen und Überzeu- mögliches Vorbild für Gerstenmaiers Hilfswerk; überzeugend

§ungen aufzugreifen, damit sie Wegweisung und verpflichtende wird seine politische Zielsetzung hierbei herausgearbeitet, so daß

^'elsetzung für heute und morgen sein können. Der vorliegende dann der Entschluß, als Berufspolitiker zu wirken, durchaus

Band gehört eindeutig zu diesem Genus. stringent erscheint. Sicherlich waren die Fragen der deutschen

Hervorgegangen ist er aus einem Vorlesungszyklus der Heidel- Einheit sowie der Wiederbewaffnung die großen politischen und
berger Theologischen Fakultät. Durch Zeitzeugen und jüngere kirchenpolitischen Themen des Protestantismus in der NachHistoriker
werden neun bedeutende evangelische Persönlichkei- kriegszeit und - möchte ich hinzufügen: noch weit darüber hin-
len Präsentiert, diesichalsTheologen. Kirchenmänneroderauch aus. Ob sie in der zeitgeschichtlichen Forschung wirklich so
fjs Politiker einen Namen gemacht haben. So zeichnet Hildegard wenig berücksichtigt wurden, wie Kaiser anzunehmen scheint,
Hamm-Brücher das Bild des ersten Bundespräsidenten Theodor sei dahingestellt.

He"ß. der sie politisch geprägt hat (37-54), und Johannes Rau Ziemlich quer zur Zielsetzung des Bandes stehen die nach-
^'zziert in eindringlicher Weise Gustav Heinemann (55-68). denklichen Überlegungen von Heinz Eduard Tödt über den
Liebevoll berichtet Eberhard Bethge über „seinen Bischof", Otto „Umgang mit Schuld im kirchlichen Bekenntnis und in der Ju-
D>belius(167-191); Kurt Scharf entfaltet seine Sicht von Martin stiz nach 1945" (123-143). Zum Gesamtthema hinführen
N|emöller (193-204) und Helmut Simon erläutert spannend und möchte dagegen der Essay des Hg.s über „ Protestantismus und
differenziert, was ihm, dem Juristen, der Theologe Karl Barth be- Demokratie" (11 -36). Holzschnittartig werden hier die Entwicklet
(205-229). Alle diese Porträts sind ausgesprochen infor- lung der Demokratie in den USA und das diesbezügliche Defizit
mativ. Sie zeichnen sich durch prägnante Hervorhebungen der des deutschen Protestantismus vorgeführt sowie die Bestrebun-
P°sitiven Besonderheiten der einzelnen Persönlichkeiten aus - gen nach 1945, mit dieser Tradition zu brechen. So anschaulich
're'lich kaum durch die kritische Reflexion ihrer Grenzen. diese Darstellung ist, so viele Fragen wirft sie auf. Läßt sich wirkten
Text ganz eigener Art bietet dann die Befragung von Hei- lieh von Karl Barths Theologie eine derart klare Linie zur Rezep-
miJt Gollwitzer und Gerda Scharffenorth durch Wolfgang Huber tion der Demokratie in Deutschland ziehen? Er selbst hat das be-
'231-247). Hieran ließen sich vortrefflich die Vorzüge, abcrauch kanntlich zumindest 1945 noch ganz anders gesehen - wie etwa
die klaren Grenzen derartiger Berichte von Zeitzeugen darlegen. sein Brief an Heinemann ausweist. Standen die Vertreter der bru-
Leider geschieht das nicht. Folglich muß der unkritische Leser derrätlichen Kirche denn dem Gedankengut so fern, das hier als
annehmen. daß es sich bei den Aussagen der Befragten um histo- restaurativ umschrieben wird (270? Daß mit diesem Begriff eine
r,sche Fakten handelt - was doch keineswegs der Fall ist. Und zu- historisch differenzierte Analyse nicht gelingen kann, ist in der
S'eich ist überaus aufschlußreich, wie konstant Huber mit seinen Forschung seit längerem bekannt. Sollte man darum also nicht
^fagen auf den restaurativen Charakter der Bundesrepublik lieber auf ihn verzichten? Schließlich: Läßt sich über das nord-
^eutschland zielt (236-238. 240-242.244) - den entschieden amerikanische Demokratiekonzept reden, ohne zugleich von
differenzierteren und insofern auch anderslautenden Aussagen dem ihm innewohnenden, höchst problematischen ideologischen
*B- Helmut Gollwitzers zum Trotz (vgl. etwa 233 oder 237). Sendungsbewußtscin der USA zu sprechen? Droht mit der Be-
Wieder eine andere Art der Annäherung an die Vergangenheit zugnahme auf diese Tradition nicht faktisch die Säkularität der
°'eten die Beiträge der Nachgeborenen, also von Ernst-Albert modernen Gesellschaft unterlaufen zu werden? Anders formu-
^charffenorth über Helmut Thielicke (145-166), von Gerhard liert: Ließe sich nicht, auch in dieser Hinsicht, mehr - und viel-
Besier über Hermann Ehlers (93-121) sowie von Jochen- leicht sogar Besseres? - von den Beiträgen des europäischen Pro-
Christoph Kaiser über Eugen Gerstenmaier (69-92). Enttäuscht testantismus in England und Schottland, in Skandinavien, den
nat mich die Darstellung der Position von Thielicke. Von seiner Niederlanden, Frankreich und gewiß auch in der Schweiz zu die-
We'tgespannten und für die Kirche sowie insbesondere die Ge- sem Thema lernen?

feHschaft der Bundesrepublik wichtigen theologischen Arbeit ist Fragen über Fragen. Sie belegen auf jeden Fall, daß dieses Buch

h'er nicht die Rede, sondern nahezu ausschließlich von seiner nicht nur einen bunten Blumenstrauß mit den Porträts interes-

^arfreitagspredigt aus dem Jahre 1947, über die Andreas Rieh- santer Gestalten bietet, sondern auch Anstöße formuliert wenn

,er-Böhne (Unbekannte Schuld. Politische Predigt unter alliier- nicht sogar Herausforderungen, in einem sehr grundsätzlichen

,er Besatzung. Stuttgart 1989) bereits ausführlicher und tief- Sinn,
dürfender gehandelt hat.

•^Is ausgesprochen verdienstvoll erscheint demgegenüber das Gießen Martin Grcschat
enühen. die politische wie auch kirchenpolitische Bedeutung
^on Hermann Ehlers zu würdigen. Daß dieser Beitrag jedoch

°hne den wissenschaftlichen Anmerkungsapparat veröffentlicht Christliche Kunst Und Literatur

^erden konnte, ist mehr als ein Schönheitsfehler. Wesentliche

£*" T in der Luft. Doch überzeugt die Kjesow Gottfried: Einrührung in die Denkmalpflege. 2 verb
Sei, daß Enlers d,e tota|"äre Entwicklung in der DDR e.ner- Aufl Darmstadt: Wissenschaft!. Buchgesellschaft 1989 VII
" 's und andererseits die politische Haltung von Niemöller, Hei- 221 S. 8°= Die Kunstwissenschaft. Kart. DM 39,-.
emann sowie deren Freunden vollends auf die Linie von Adelauers
Außenpolitik festlegte. Allerdings vermag ich nicht zu Leser dieser Zeitschrift werden sich möglicherweise wundern,
enen. wieso dieser Vorgang die „Unfähigkeit" von Ehlers bele- ein Lehr-und Handbuch für Dcnkmalpflcger(D.r) hier angezeigt
en sollte - und dann auch noch die des gesamten „ Protcstantis- zu finden oder eine Erklärung für diese Entscheidung suchen,
us des 19. und 20. Jahrhunderts" - „zu eigenständiger poli- In mehrfacher Hinsicht sind Theologen und D.r an einander
jsch-ethischer Gestaltungskraft auf Staatsebene" (121). Aus- gewiesen, ist doch ein großer und wesentlicher Teil des Denk-
ruck eines demokratischen Politikverständnisses ist dieses Ur- malsbestandcs in kirchlicher Obhut. So ist es für praktische
1 jedenfalls kaum. Theologen in der Gemeindepraxis und auf diesem Sektor der
Gerstenmaiers Aktivitäten werden leider nur bis zu seinem Ausbildung nötig, sich mit Fragen der D. zu beschäftigen. Ande-