Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

504-505

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Spier, Erich

Titel/Untertitel:

Der Sabbat 1991

Rezensent:

Strobel, August

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

503

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 7

504

Außerdem wird von ruach des Menschen gesprochen. Das
kann Lebensgeist in der Bedeutung von Lebensodem heißen,
doch in dem Sinne, daß Tiere nicht automatisch ruach besitzen.
Ruach kann aber auch von Gott dem einzelnen Menschen, dem
ausgesonderten, wie z. B. einem König oder einem Prophet, eingegeben
werden, damit er König oder Prophet werde, kann aber
auch diesem Menschen entzogen werden, ohne daß der Mensch
stirbt. Was dachte der Israelit, der Jude, wenn er von ruach hörte?
Was denken wir eigentlich, wenn wir von Geist Gottes oder Geist
des Menschen sprechen? Und noch schwieriger wird es, wenn es
sich um Literatur handelt, die im Verhältnis zum Alten Testament
sekundär ist, wo man im vorhinein nicht wissen kann, ob
das Wort in denselben Bedeutungen wie im Alten Testament auftritt
, oder ob sich Einflüsse des orientalischen Umfeldes geltend
machen.

Nun hat sich Arthur Sekki die Aufgabe gestellt, das Wort ruach
in derQumranliteraturzu untersuchen, und er tut das umfassend
und sorgfältig. Das erste Drittel des Buches gibt klar und strin-
gent einen forschungsgeschichtlichen Überblick über die verschiedenen
Auffassungen der Bedeutung des Wortes seit der Entdeckung
der Handschriften. Der Vf. teilt diese Geschichte auf in
drei Phasen: 1950-1955, 1956-1961 und 1962 bis heute. Er
zeigt, wie sich die früheren Auffassungen änderten, nachdem die
Sektenrolle 1951 veröffentlicht wurde. Hauptsächlich diskutierte
man, ob ruach dem Mitglied der Qumrangemeinde beim Eintritt
von Gott eingegeben wurde, oder ob das schon vom Anfang an
bei seiner Geburt geschehen war. Das hing aber auch mit der
Frage zusammen, wie man den Gedanken von den zwei Geistern
verstehen müßte, so wie er namentlich in IQS 3.13-4.26 vorliegt.
Hier scheint es nämlich, daß nicht nur die Menschheit zweigeteilt
ist, u.zw. der eine von dem Geist der Wahrheit, der andere vom
Geist des Frevels (u. ä.) beherrscht wird, sondern daß die beiden
Geister auch im einzelnen Menschen gleichzeitig walten. Und
das führte zu der Frage, ob dies nur psychologisch von zwei Inklinationen
im Menschen her interpretiert werden mußte, oder ob
ein eigentlicher kosmischer Dualismus vorlag. Von daher ergab
sich weiterhin die Frage, ob Einfluß vom iranischen Zoroastris-
mus sich geltend gemacht hatte, so daß ruach (in Pluralis!) in
Wirklichkeit Engel oder Dämonen meinte. Und nach und nach,
als die Qumranliteratur veröffentlicht wurde, fragte man, ob
Qumran überhaupt als eine theologische und literarische Einheit
verstanden werden könne, oder ob augenscheinliche Verschiedenheiten
im Gedankengang durch unterschiedliche Verfassungszeiten
und Autoren zu erklären wären. Die Widersprüche
in den Auffassungen, bisweilen auch bei denselben Autoren, hat
Sekki vorzüglich herausgearbeitet.

Es folgen vier Kapitel über ruach als Geist Gottes, als des Menschen
Geist, als Engel und Dämonen und über andere Bedeutungen
wie Wind und Atem. Die Analyse wird genau und präzis vorgetragen
. Er erwägt die Bedeutungsverschiebungen, je nachdem,
ob ruach determiniert oder indeterminiert ist, ob das Wort allein
und absolut vorkommt oder im Genitivverhältnis zu irgendeinem
anderen Wort steht, ob es im Singular oder Plural vorkommt
, und wenn im Plural, ob es masc. oder fem. ist. Kapitel
VII resümiert und vergleicht die Resultate von diesen vier Kapiteln
, und Kapitel VIII enthält eine nähere Untersuchung von
ruach aufgrund des problematischen Abschnittes 3.13-4.26 der
Sektenregel. Endlich bringt Kap. IX die Konklusionen der ganzen
Untersuchung, und abgesehen von einer Bibliographie endet
das Buch mit einem Index über das Vorkommen des Wortes
ruach und seiner Bedeutungen.

Die Analyse Sekkis ist unentbehrlich für den, der sich mit der
Theologie und Gedankenwelt der Qumrangemeinde beschäftigen
will. Offen bleibt die Frage, was man in Qumran meinte,
wenn man von dem Besitz der ruach Gottes sprach. Das läßt sich
nicht eindeutig beantworten. Vielleicht wußten die Mitglieder es

auch nicht, genau wie wir eigentlich nicht genau wissen, wie wir
„Geist" definieren sollen.

Kopenhagen Svend Holm-Nielsen

Spier, Erich: Der Sabbat. Berlin: Institut Kirche und Judentum
1989. 220 S. 8°= Das Judentum, 1. geb. DM 18,80.

Das mit Einfühlungsvermögen und Verständnis geschriebene
grundsolide Büchlein hat seine Vorgeschichte, über die der Vf. im
Vorwort (90 ausführlich berichtet. Die Anregung, sich über die
übliche theologische Konvention hinaus mit dem Thema zu beschäftigen
, geht primär zurück auf Peter von der Osten-Sacken
und dessen Arbeit am Institut Kirche und Judentum Berlin.
Hinzu kommen persönliche eigene Erfahrungen, die Anlaß wurden
, den Wurzeln des christlichen Glaubens und der spezifischen
Weiterformung des Sabbatthemas nachzugehen. So schälte sich
schließlich heraus, das Thema der Sabbatheiligung von seinen
Ursprüngen her darzustellen, sodann die Rezeption in der Kirche
nachzuzeichnen, und endlich sogar Anregungen für die heutige
Praxis des christlichen Alltags zu geben.

Des näheren zielt das praktisch-theologische Anliegen letztlich
einerseits positiv auf die gegenwärtige Nutzung und Aktualisierung
der geschichtlichen Erfahrungen, andererseits kritisch auf
die Reflexion der gegenwärtigen christlichen Praxis der Sonntagsfeier
. Sie könne nicht befriedigen. „Da die Kirche der Reformation
das Feiertagsgebot auf die Stunde(n) des Gottesdienstes
reduziert hat, überläßt sie die Sonntagsregelungen der staatlichen
Gewalt". Ferner zeige sich, daß der verkürzte Feiertag für viele
seine Kontur verloren hat und folgenreich zum „inhaltlich unbestimmten
Wochenende" geworden ist (126). Aus der erkannten
Problemlage ergebe sich notwendigerweise, wie in den letzten
Jahrzehnten mehr und mehr erkennbar, die Pflicht zur „ Neubesinnung
auf den Sabbat". Die Arbeit teilt sich in vier größere Abschnitte
auf, die historisches Sachwissen, abgewogene Reflexion
und weiterführende, praktische Anregungen zu verbinden suchen
, nämlich: 1. Der Sabbat in der Geschichte Israels (11-80)-
2. Der Sabbat in Synagoge und Haus (81-108), 3. Die Sabbatrezeption
in der Kirche (109-141), und 4. Anregungen für die Praxis
(143-156). Hinzu kommt ein gründlicher Anmerkungs- und
Literaturteil (157-218). Ein separat beigelegtes Blatt erläutert die
rabbinisch-jüdische Fachsprache zum Thema. Wie die Dinge in
der vermeintlich christlichen Gesellschaft der modernen Welt
und der mehr und mehr säkular ausgehöhlten Sonntagsordnung
liegen, so wünschen wir den Thesen des Verfassers eine aufgeschlossene
Leserschaft, die in der Tat gewillt ist, das praktischtheologische
Anliegen dieser Studie zum Besten der eigenen Tradition
und Ordnung zu beherzigen und zu bedenken. Unsere
kirchliche Sonntagsfeier, mag sie noch so sehr durch Nicäa abgesegnet
und verordnet sein, hat nur dann wirklich ein praktisches
Lebensrecht in der modernen Welt, wenn und sofern sie auch
wirklich in das Leben des Einzelnen, der Gemeinde und der Gesellschaft
einbringt, was ihr von Anfang an als gestaltende Ordnung
beigelegt und zugedacht war, nämlich das traditionelljüdische
Moment der Ruhe und der Heiligung des Lebens vor
Gott. Dazu bedarf es gewiß der Wahrung des sabbatlichen Charakters
des Erinnerungstages der Auferstehung, der, wie der VC
zweifellos profiliert und zutreffend zu bedenken gibt, in vielfacher
Weise von seinen jüdischen und biblischen Ursprüngen neu
belebt werden sollten. Daß hierin dem Samstag und ebensosehr
vor allem dem Samstagabend eine elementare Bedeutung zukommt
, kann selbst für eine ausschließlich christlich traditionelle
Sehweise, sofern sie sich den Sinn für wirklichkeitsnahes effektives
Handeln bewahrt hat, niemals außer Frage stehen. Die
Angelegenheit ist schließlich ebensosehr ein heute zwingendes.