Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1991

Spalte:

495-497

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Deutsche Bibeldrucke 1466 - 1600 1991

Rezensent:

Martin Petzoldt

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

495

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 7

496

Schon früh im 19. Jh. beginnen die Bemühungen um die Revision
der Lutherbibel, die dann endlich 1892 vorliegt (Kap. 11).
Die Prinzipien der Revision gebieten bei einer Änderung der
Kernstellcn Zurückhaltung. Tatsächlich wurde die Anzahl der
Kernstellcn erheblich vermehrt und verändert. Nur 53 finden
sich auch in der Bibel von 1545. Der Vf. kann nachweisen, daß
dafür die Württemberger O. Schmoller und der dem Pietismus
nahestehende Tübinger Systematiker R. B. Kübel die Verantwortung
tragen. Die beiden haben dabei auf das Spruchkastenverfahren
Hedingers und eines pietistischen Basler Bibelwerkes von
1 730 zurückgegriffen. Das ist eines der überraschendsten Ergebnisse
der Arbeit. Denn ungeachtet aller theologischer Entwicklungen
hatte die aus dem Pietismus übernommene Auswahl 70
Jahre Bestand. U.a. herrscht hier ein enger Moralismus und Untertanengeist
. Der neuen Revision seit 1956 war auferlegt, diese
„Kernstellen besonders pfleglich zu behandeln". Die Änderungen
hielten sich denn auch in Grenzen. Eine neue Konzeption lag
nicht vor. Die Nachrevision des Neuen Testaments von 1975 hat
wieder stärker in den Kernstellenbestand eingegriffen, manchmal
auch durchaus einleuchtend. Aber der Vf. stellt mit Recht die
Frage nach der Legitimation des Verfahrens, die nicht ausgewiesen
ist. Eine Konzeption läßt auch das Luther-NT von 1984 nicht
erkennen. Der Vf. stellt u.a. eine „Indoktrination der bürgerlichen
Moral*' fest.

Die abschließenden „Erwägungen" des Vf.s stellen nochmals
Luthers Intention mit den Kcrnstellen der gegenwärtig immer
noch geübten Spruchkastenpraxis gegenüber. Theologisch ist der
derzeitige Zustand ziemlich bodenlos, selbst wenn man dem pek-
toralcn Bezug zur Bibel ein Recht zuerkennt. Die Forderung der
Untersuchung ist eindeutig und eigentlich unabweisbar: Hier besteht
Handlungsbcdarf für die Kirche. Kernstellen sollen ein
schriftgemäßes Verstehen ermöglichen, und sie sollen „ repräsentativ
sein für ihren Sinnzusammenhang und ihn sachgemäß gewichten
". Von allen Einzelheiten abgesehen ist es schon ein Ereignis
, wenn eine historisch-dogmatisch-praktischc Arbeit zu
solch zwingenden Konklusionen kommt.

Münstcr/W. Martin Brecht

Strohm, Stefan: Deutsche Bibeldrucke 1466-1600, beschrieben
unter Mitarb. von P. Amelung, I. Schauffler, E. Zwink. Stuttgart
-Bad Cannstatt: frommann-holzboog 1987. LVI.480S. 4°=
Die Bibclsammlung der Württembergischen Landesbibliothek
Stuttgart. 2.Abt., l.Bd. Lw. DM 720.-.

Die Bibelsammlung der Württembergischen Landesbibliothek
Stuttgart (= WLB) hat nicht nur hinsichtlich ihres Umfangcs
einen weitbekannten und guten Ruf, sondern auch und vor allem
wegen ihrer mustergültigen bibliographischen, bibliothekarischen
und sachlichen Aufbereitung. Mit dem vorliegenden
Band 1 der zweiten Abteilung der Deutschen Bibeldrucke setzt S.
Strohm seine verdienstvolle Bearbeitung dieses Bibelkatalogs
fort (Erste Abteilung: Griechische Bibeldrucke, 1984), dem noch
drei weitere folgen werden (Band 2: Deutsche Bibeln 1601-1800;
Band 3: Deutsche Bibeln 1801-ca. 1988; Band 4: Niederdeutsche
und judendeutsche Bibeln, Register zu den Bänden 1-4).
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellte erhebliche Mittel
bereit ; unterstützt wurde der Bearbeiter bei der Bestimmung der
Einbände, der Provenienzen, der Drucker bei Inkunabeln durch
P. Amelung (der auch die Kollationsformeln erstellte, die Arbeit
von Rubrikatoren beschrieb und Hinweise zur Druck- und
Kunstgeschichte gab), sowie durch 1. Schauffler, E. Zwink, W. Ir-
tenkauf, 1. Krekler. R. Hausmann. A. Butz, H. Spilling. Die Photographien
für die Druckvorlage der hervorragenden Abbildungen
fertigte J. Siener an.

Fünf typographisch voneinander abgehobene Abschnitte ge-
statten dem Benutzer einen Überblick über jede Ausgabe:
1 Schlagwortartige Identifikation. II Titel und Umfang, III Erschließung
, IV Hinweise auf Bibliographien, V Einband und Pro-
venienz. Um die in diesen Abschnitten benutzten Siglen jederzeit
ohne aufwendiges Nachblättern auflösen zu können, liegt ein
entsprechender Spiegel lose bei. Daneben ist es wesentliches Anliegen
der aufwendigen Einleitung, den Benutzer in die vielfältig1*
und hochinteressante Welt der Besonderheiten und Eigenheiten
der Buchgestaltung, der Beiträgcrmcrkmalc (Strohm versteht
darunter Angaben z. B. zu Verlag. Drucker. Veranlasser. Verfasser
von Widmungsvorreden, von Vorreden, von Summarien.
Marginalien und Glossen. Kommentaren, zu Privilegien. Illustratoren
, zu Abbildungen), der Bibliographien zur Bibel und der
individuellen Buchmerkmale einzuführen. In jedem der genannten
Abschnitte kann der Bearbeiter sich sowohl auf spezielle Vorarbeiten
stützen, wie er auch damit rechnen muß, daß er absolut
auf seine und seiner Mitarbeiter Findigkeit und Kombinationsgabe
angewiesen ist. Insgesamt kommt sowohl in der Einleitung
als auch in den Beschreibungen der einzelnen Bibelausgaben und
-teilausgaben ein Werk zustande, das seinesgleichen suchen
dürfte. Was hier an Einzelrechcrchen und darstellender Leistung
geboten wird, dürfte erst so richtig deutlich werden, wenn auch
die Register für alle drei Bände des Katalogs der deutschsprachigen
Bibeln im vierten Band vorliegen. Geboten wird nicht weniger
als ein wesentlicher Teil der unverzichtbaren Grundlagen für
eine Wirkungsgeschichte der Bibel und damit des Christentums
im deutschen Sprachraum (was ähnlich gilt für die anderen Abteilungen
). Die Aufarbeitung dieser Wirkungsgeschichte beschränkt
sich keinesfalls auf eine Christentums- oder kirchenge-
schichtliche Darstellung landläufiger Art. Was dort bisher fehlt-
nämlich die Auswirkungen des christlichen Glaubens in künstle
rische und handwerkliche Bereiche hinein ebenso zu verfolgen
wie in die selbstverständlichen geistigen und idellen Bereiche-
einschließlich der politischen, ethischen und wirtschaftlichen
Wirkung, wird hier in grundlegenden und markanten Strichen
sichtbar. Hinzu kommen etwa Aussagen zu Illustrationswanderungen
, Wirkungen auf Einzelpersonen, wenn man die Angaben
zu den Provenienzen durchsieht, wie auch Auskünfte zu den verslosen
oder versweisen Drucken (versweise erstmalig in einem
Heidelberger Druck von 1568). Wirkungsgeschichte der Bibel is'
immerzugleich das Aufzeigen theologischer, kultureller und ethischer
Wirkung. Insgesamt ist dieser Katalog eine Fundgrube für
sehr viele Interessen- und Wissenschaftsgebiete.

Die Stuttgarter Sammlung enthält Exemplare fast aller wicht'"
gen deutschen Bibel- und Bibclteilausgaben. An einem Beispiel-
das nach dem subjektiven Interesse des Rezensenten ausgewählt
ist. soll exemplarisch gezeigt werden, welche Beziehungen herstellbar
sind:

Unter der Signatur Bb deutsch 1562 02 ist eine Bibelausgabe (**
B) in Folioformat (= b), gedruckt in Wittenberg 1562: Hans Luft'-
zu finden, deren Titelblatt im Rot- und Schwarzdruck erscheint-
die als Zwischentitel vor den Propheten ein weiteres Titelblatt
enthält; dann folgt eine Umfangsbeschreibung des Stuttgarter
Exemplars, also in diesem Falle u.a. der Hinweis auf die falsche
Einbindung des ersten Bogens; als Ubersetzer (= Us) ist Martin
Luther genannt; als Illustratoren sind Hans Brosamer, Georg
Lemberger und ein mit AW sich abkürzender Monogramniis'
identifiziert. Der Hinweis auf eine ähnliche Bibelausgabe von
1561 trägt zur weiteren Beschreibung bei. Besonderes Interesse
ziehen die individuellen Buchmcrkmale (dazu gehören in der
Regel die Einbände, die erkennbare Provenienz und eventuelle
Exlibris und Kaufvermerke) dieses Exemplars auf sich, handelt
es sich doch um eine Bibel aus dem Besitz Franz Julius Dötebers
(hier: Dötcbier), jenes Schnitzers, der die Figuren des kunstvollen
Taufsteindeckels der Thomaskirche zu Leipzig geschaffen