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Ausgabe:

1991

Spalte:

471-474

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Nipkow, Karl Ernst

Titel/Untertitel:

Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung 1991

Rezensent:

Lachmann, Rainer

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 6

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ins Auge gefaßten Schulart und der entsprechenden Altersstufe
verlangen vom Lehrer/der Lehrerin nicht die Identifikation mit
vorgegebenen Inhalten, sondern fordern Echtheit und Offenheit.
Als so „echt" erwiesen sich aber viele der befragten Kollegen und
Kolleginnen. Sie wollen zusammen mit ihren Schülerinnen und
Schülern fragen, suchen und finden. Lehrer und Lehrerinnen, die
sich mit jungen Menschen auf den Weg begeben und sich für Gefundenes
einsetzen, sind das Gebot der Stunde. Wenn wir das aus
dem Buch lernen, ist das viel.

Bremgarten Klaus Wegenast

Nipkow, Karl Ernst: Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung
. Kirchliche Bildungsverantwortung in Gemeinde, Schule
und Gesellschaft. Gütersloh: Mohn 1990. 625 S. gr. 8°geb. DM
68,-.

Es bleibt dabei: N. präsentiert sich auch in seinem jüngsten
sechshundertseitigen Werk als Meister religionspädagogischer
Vermittlung und Verbindung oder - wissenschaftstheoretisch -
als Meister „dialektisch-konvergenztheoretischer Denkweise"
(294). Was er 1962 mit seinem erfolgreichen Büchlein „ Evangelische
Unterweisung oder evangelischer Religionsunterricht?" begann
: eine Synthese zwischen Evangelischer Unterweisung und
hermeneutischem Religionsunterricht (RU), das setzte er in den
„Wendejahren" um 1970 fort mit seinen Vermittlungsversuchen
zwischen bibelorientiertem und problemorientiertem RU und
gelangte darüber zu seinem „ Konvergenztheoretischen Orientierungsmodell
", das er unter der leitenden Maßgabe „ interpretati-
ver Vermittlung" 1975/1982 in seinen drei Bänden „Grundfragen
der Religionspädagogik" vorstellte. Programm und Prozeß
Nipkowscher Vermittlungsarbeit sind nun eingemündet in sein
vorläufig letztes Werk, das selbst ein Stück weit den Charakter bilanzierender
Integration seiner bisherigen wissenschaftlichen Arbeit
angenommen hat. Das integrierende, nicht „integralisti-
sche" (19) Bemühen ist vielschichtig, mehrperspektivisch und
spannungsvoll verschränkt strukturiert und begegnet auf und
zwischen allen Ebenen der Argumentation. Es zeigt sich in der -
Religions- und Gemeindepädagogik übergreifenden und das
Ganze des Werkes intergrierenden - Leitkategorie der Bildung,
in der Zusammenschau dreier Ansätze kirchlicher Bildungsverantwortung
, an der „zusammenhängenden Behandlung der
wichtigsten Handlungsfelder" sowie der durchgängig integrati-
ven Sicht und Beachtung der dreimal drei Perspektiven von „Gemeinde
, Schule und Gesellschaft", Schule, Kirche und Schüler
und kirchlichem, persönlich-privatem und gesellschaftlichem
Christentum. Charakteristische Signatur für N.s leitendes Vermittlungsanliegen
ist „das dialektisch verbindende Paradigma"
bzw. das „Paradigma der gespannten Verschränkungen" (493/
495). Es bestimmt Anlage und Durchführung der ganzen Untersuchung
und läßt sich sprachlich wie inhaltlich allenthalben identifizieren
: So verschiedene Wendungen wie „Zusammenhang",
„Verbindung". „Unterscheidung" (nicht „Trennung"!), „Spannung
" und „Paradoxie" gehören ebenso dazu wie die Plädoyers
für Verstehen und Verständigung, die Suche nach dem „dritten
Weg" und die Sehnsucht nach dem „verbindenden Glauben". Es
macht die Lust und die Last der Lektüre dieses Buches aus, den
integrativen Signaturen in der Vieldimensionalität und Mehrper-
spektivität ihrer Ausprägungen und Windungen nachzuspüren
und sich in dem kunstvoll geknüpften Netz immer wieder des
„verbindenden Paradigmas" zu vergewissern.

Programmatisch nennt N. sein integratives Konzept „Theorie
kirchlicher bzw. evangelischer (!) Bildungsverantwortung" (17).
In bewußter geschichtlicher Bezugnahme auf Luther, Comenius
und Schleiermacher hat sie ihren Standort in der reformatorisch-
protestantischen Tradition verbunden mit der Weite ökumenischen
Geistes. Zentrales Anliegen ist die (religions-)pädagogische
Wiedergewinnung des Bildungsbegriffs. Diesem Anliegen gelten
unter dem Stichwort „Erneuerung" die grundlegenden Überlegungen
in den vier Kapiteln des ersten Buchteils. Mit „Erneuerung
" definiert N. Bildung als wesenhaft „kritischen Begriff" mit
regulativer Funktion, dem er in begründeter Entscheidung den
Vorzug gibt vor Begriffen wie „Sozialisation", „Lernen" und
„Erziehung", wobei besonders letztere insgesamt sehr negativ
gewertet wird. Der Bedeutungsumfang des die Arbeit bestimmenden
Bildungsbegriffs wird durch „fünf Grundmerkmale'
umschrieben: Bildung und Politik/Utopie/Subjektivität/Überlieferung
/Verständigung (32ff). Dabei kommt im Duktus der
Untersuchung insbesondere der Subjektorientierung des Bü"
dungsverständnisses durchgängige kritische Bedeutung zu. M'1
seiner Betonung persönlicher Mündigkeit, sittlicher Selbstverantwortung
und Reflexionsverpflichtung konvergiert es nicht
nur mit N. Verständnis evangelischen Glaubens, sondern verhindert
auch mögliche Mißverständnisse und Gefährdungen, die
mit N. bewußtem Festhalten an der „Kirchlichkeit" seines Bü'
dungskonzeptes ansonsten begegnen könnten. Ähnliches gilt in
weniger prononcierter Weise für die anderen aufgeführten
Grundmerkmale der Bildung. Die „theologischen Annäherungen
" des ersten Kapitels, die „ Bildung und Lebenserneuerung in1
Glauben" bedenken, lassen das deutlich werden und weisen dem
mit der Untersuchung angestrebten evangelischen Bildungs- und
Glaubensverständnis jenseits von ordnungstheologisch-ordnungspädagogischen
und liberalistisch-idealistischen Positionen
einen „dritten Weg", der darin besteht, „die Kategorie der Freiheit
mit der der Schöpfungsgemeinschaft zusammenzubinden-
Freiheit im weitesten Sinne kommunikativ zu buchstabieren und
Kirche wie Gesellschaft unter die selbstkritische Frage ihrer substantiellen
Erneuerung zu stellen" (60). Dabei ist im Sinne der
lutherischen Zwei- Regimenten-Lehre als wichtiger „Grundsatz
der Arbeit vorausgesetzt, daß die Bildungsverantwortung der
Kirche sowohl „als mit anderen geteilte pädagogische Mitverantwortung
im öffentlichen Bildungssystem" wie auch „als ungeteilte
Verantwortung bei der Erschließung der Glaubensüberlieferung
im Generationenzusammenhang" verstanden werden
muß (59).

In Fortsetzung des Grundlagenteils wird in den Kapiteln 2-*
der Begriff der kirchlichen Bildungsverantwortung in drei sich
von innen nach außen erweiternden Kreisen 1. auf die Gemeinde
(Kap. 2), 2. auf das „neuzeitliche Christentum" mit seinen Auf'
klärungs-bedingten Entwicklungen (Kap. 3) und 3. auf die gesellschaftlichen
Herausforderungen im Kontext des öffentlichen Bildungsdiskurses
der Gegenwart (Kap. 4) bezogen. Unter dem
kirchlich-gemeindlichen Blickwinkel geht es um die Glaubenssituation
in der Volkskirche und Wege zur Erneuerung der Gemeinden
. Dabei gelangt N. nicht nur zu wichtigen bildungskonvergenten
Bestimmungen des Glaubens, sondern stellt sich auch
als erster Religionspädagoge der Auseinandersetzung mit den diversen
Ansätzen zum sog. Gemeindeaufbau. Sein Fazit ist so eindeutig
wie bedenklich: „Eine kirchenvergessene Religionspädagogik
trifft auf einen weithin bildungsvergessenen Gemeindeaufbau
" (74), dem es zudem noch an „einer Analyse der Situation
des Christentums unserer Zeit" mangelt (140). Was diese zu
beachten und zu leisten hätte, zeigt N. mit seinem Doppelschritt
vom „modernen" zum „postmodernen Ansatz". Danach ist da*
nachaufklärerische moderne Christentum, wie N. an Schleierrna-
eher aufzuweisen sucht, ganz wesenhaft bestimmt durch die „ Ka'
tegorien subjektiver Freiheit und Selbstbestimmung" und ihrt
konsequenten Entsprechungen „religiöser Individualisierung
und Pluralisierung" (1400- Die gegenwärtige Kritik an diesen
Merkmalen der Moderne greift N. mit seinem „postmodernen
Ansatz" auf, mit dem zugleich der Bereich des geistlichen Reg1'
ments Gottes verlassen und der Ausgang bei den gesellschaft'1'