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Ausgabe:

1991

Spalte:

463-467

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Grözinger, Albrecht

Titel/Untertitel:

Praktische Theologie und Ästhetik 1991

Rezensent:

Drehsen, Volker

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 6

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Gerlach, Henry, u. Reiner Wimmer: Bedarf die Moral der Religion?
Überlegungen zu Carl Friedrich von Weizsäckers Moral- und Religionsverständnis
(NZSTh 32, 1990, 75-84).

Jens, Walter [Hg].: Frieden. Die Weihnachtsgeschichte in unserer Zeit.
München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1989. 134 S. 8° Kart. DM 9,80.

Jüchen, Aurel von: Wie politisch war Jesus Christus? Mit einem Vorwort
von C. Heitmann. Hildesheim-Zürich-New York: Olms 1990. VI, 124 S. 8
= Anstöße zur Friedensarbeit, I. Kart. DM 17,80.

Kettner, Matthias: Verantwortung als Moralprinzip? Eine kritische Betrachtung
der Verantwortungsethik von Hans Jonas (Bijdr. 51,1990, 418-
439).

Lachenmann, Hans: Der Christ in der Welt. Perspektiven christlicher
Ethik. Stuttgart: Steinkopf 1990. 191 S. 8°geb. DM 48,-.

Lienemann, Wolfgang: Zur theologischen Begründung der Menschenrechte
(ÖR 39, 1990, 307-317).

Low, Reinhard: Anthropologische Grundlagen einer christlichen Bioethik
(In: Low, Reinhard [Hg].:Bioethik. Köln: Communio 1990. S. 10-27).

Mohr, Hans: Mensch und Natur - Aus der Sicht des Biologen (In: Dem-
bowski, Hermann [Hg].: Natur und Mensch. München-Zürich: Schnell &
Steiner 1990. S. 10-22).

Ratzinger, Joseph Kardinal: Der Mensch zwischen Reproduktion und
Schöpfung. Theologische Fragen zum Ursprung des menschlichen Lebens
(In: Low, Reinhard [Hg.]: Bioethik. Köln: Communio 1990. S. 28-47).

Reuter, Hans-Richard: Gerechtigkeit. Bemerkungen zur theologischen
Dimension eines sozialethischen Grundbegriffs (EvTh 50, 1990, 172-
188).

Rostagno, Sergio: La contraddizione ci farä liberi. L'omosessualitä alla
luce della teologia (Protest. 45, 1990, 36-46).

Vischer, Lukas: Spender des Lebens - erhalte dein Schöpfung (ÖR 39,
1990, 261-269).

Praktische Theologie: Allgemeines

Grözinger, Albrecht: Praktische Theologie und Ästhetik. Ein Beitrag
zur Grundlegung der Praktischen Theologie. München:
Kaiser 1987. XII, 322 S. gr. 8°. Kart. DM 65,-.

(1) Zu den auffälligen Kennzeichen der religiösen Gegenwartsszene
gehört eine vielschichtige Requalifizierung des Ästhetischen
: Ein wachsendes Interesse an Liturgie, die Wiederentdek-
kung des gottesdienstlichen Festcharakters und anderer religiöser
Feiern, die Hinwendung zur Kultur des anschaulichen Bildes
statt nur des gesprochenen Wortes, die zunehmende Beliebtheit
narrativer Theologie, die über alle Anschaulichkeit hinaus
mit den Mythen zugleich den Wert des Symbolischen überhaupt
wieder zu schätzen lernt, - all dies erweist sich gegenwärtig einer
religiösen Verstehens-, Verständigungs- und Darstellungspraxis
als unentbehrlich, um darin eigene Manifestationgestalten
zu finden. Es sind zugleich Symptome einer Gegenbewegung, die
sich teils konstruktiv- ergänzend, teils kritisch-alternativ jener
Tendenz entgegenstellt, die besonders im protestantischen Bereich
Gefahr zu laufen droht, in der Abstraktheit des sprachlichlogischen
Wortes und seines wissenschaftlich-diskursiven Auslegungsmonopols
in der Theologie eine dem Glauben verheißene
Lebensfülle zu versäumen. Bei der Suche nach ästhetischer Bereicherung
drückt sich eine religiöse Unmittelbarkeit aus, die ihre
Wahrheit sachgemäßer zur Erscheinung zu bringen hofft, als es in
der methodischen Selbstbeschränkung theologischer Dauerreflexion
notwendigerweise gelingen kann. Hieran zeigt sich zugleich,
wie christlicher Glaube tief und weit in elementare Lebensprozesse
verflochten oder auch verstrickt ist. So ist die Wiederentdeckung
der Ästhetik ihrerseits ein Beitrag zur Vitalisierung
eines Glaubensverständnisses, das sich in seinen theoretischen
Auslegungen und Normierungen nicht erschöpft, sondern an
einer reichhaltigeren, polyvalenten Lebensfülle teilhat, die den
Überschußcharakter der Praxis gegenüber ihrer Theorie schlechthin
ausmacht. Um diese Bewegungsrichtung jedoch nicht dem
Verdikt eines irrationalistischen Rückfalls oder einer ästhetizisti-
schen Beliebigkeit auszuliefern, ist es freilich nötig, auf die wechselseitigen
Begrenzungen und Bereicherungen, auf das konkur-
rente wie konstruktive Verhältnis zwischen Theologie und
Ästhetik zu reflektieren. Damit ist eine Fülle von Problemen angesprochen
, die sich sowohl für die theologische Erkenntnistheorie
als auch für die Kulturpraxis der christlichen Frömmigkeit
selbst ergeben.

(2) Es ist das Verdienst der ursprünglich aus einer Mainzer Habilitationsschrift
(1985) hervorgegangenen Monographie von Albrecht
Grözinger, die differenzierte Problemvielfalt ebenso wie
zahlreiche anregende Perspektiven dazu vorgestellt zu haben, um
Berührungspunkte und Beziehungsgeflechte zwischen „Praktischer
Theologie und Ästhetik" näher zu erläutern. Bereits die
„Einleitung" (1-26) sucht annähernd die fundamentaltheologische
, historische und praktisch-theologische Bedeutung des Themas
durch seine hermeneutische und praxis-theoretische Einordnung
zu fassen: An literarischen Beispielen von Johann Gottfried
Herder, Matthias Claudius und Paul Gerhardt, aber auch an theologiekritischen
Passagen einiger Schriften Thomas Manns (Doktor
Faustus, Betrachlungen eines Unpolitischen) verdeutlicht der
Vf., daß mit der Beziehung von Theologie, Religion und Ästhetik
ein Zusammenspiel nicht bloß reklamiert wird, sondern dessen
Programm schon immer eine erkenntnis- und ausdrucksmäßige
Einlösung erfahren hat; mehr noch: Poesie war der theologischen
Reflexion oftmals voraus, und jene stellte für diese nicht selten
„ein unerläßliches opus alienum" dar (26).

(3) Diese These durchzieht die umfassende Bestandsaufnahme
, die der Vf. in drei Hauptkapiteln näher entfaltet:

a) So wird im ersten Abschnitte, Ästhetik - Wahrheit - Theologie
, 27-72) der Wahrheitsanspruch der allgemeinen Ästhetik in
seiner problemgeschichtlich-exemplarischen Relevanz für die
Theologie erörtert. Ausgehend von der Frage nach dem Wahrheitsanspruch
des Schönen unbeschadet des Ausdrucks, den es
jeweils im menschlichen Kunstbemühen findet, schildert der Vf.
zunächst die platonisch-aristotelische Kontroverse: Während
Plato die Absolutheit des Schönen nur dadurch zu wahren weiß-
daß die Kunst aus den konkreten Lebenszusammenhängen evakuiert
bleibt, billigt Aristoteles der Kunst innerhalb der polis eine
auf die Idee gelungenen Lebens zurückgehende kathartische
Funktion zu, indem sie dem menschlichen Handeln über seine
Wirklichkeitsangemessenheit hinaus einen Möglichkeitssinn
einstiftet. Die antike Vorstellung von der Objektivität des Schönen
bestimmt weitgehend auch die mittelalterliche Theologie-
nun freilich bezogen auf Gott selbst (Augustin: Gott als pulchri-
tudo pulchrorum omnium, 38) oder sein natürliches Schöpfungswerk
(Thomas vonAquin, 42); entsprechend erscheint die Kunst
entweder als genießende Teilhabe (fruitio) an der Herrlichkeit
Gottes oder als intellektuelle Einsicht in die wahre Beschaffenheit
der Natur. Erst mit der Frühneuzeit, andeutungsweise bereits
mit der Mont-Ventoux-Besteigung Petrarcas, spätestens
aber seit Leonardo da Vinci (43ff), beginnt sich der vernunftbegabte
Künstler neben Gott als alter deus zu begreifen, ein emanzipiertes
Autonomiebewußtsein der Kunst auszubilden und Ästhetik
statt als Erkenntnis des Schönen jetzt innerhalb eines
umfassenden Subjektivierungsprozesses als Theorie des eigenen
produktionsästhetischen Vermögens zu entfalten. Grözinger verfolgt
diese Traditionslinie, die sich schrittweise von Guilio CesarC
Scaliger (48) über Friedrich Schiller (49ff), Charles Baudelaire
(54ff) bis zu Friedrich Nietzsche (55ff) fortsetzt. Gegenüber einer
„subjektivistischen Verengung" der produktionsästhetisch gefaßten
Kunstaufgabe sieht der Vf. in der modernen Philosophie
eine Rückwende zur Rezeptionsästhetik als Frage nach dem objektiven
, d. h. ontologischen bzw. moralischen Wahrheitsansinnen
vollzogen, das einem Kunstwerk „ aus der Signatur der Dinge