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Ausgabe:

1991

Spalte:

455-458

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Moltmann, Jürgen

Titel/Untertitel:

Der Weg Jesu Christi 1991

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 6

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seine Kompatibilität mit kritischer Vernunft s.o.). Die christliche
Tradition verdient kritische Rechenschaft (170 - aufgrund
welchen Maßstabes?), der Fundamentalismus wird in Frage gestellt
(179), wohl aufgrund der Forderung nach argumentativen,
provisorischen und kritikoffenen theologischen Bekenntnisaussagen
(1820, die gerade in der geschichtlichen Auslegung die
Wahrheit der Schrift für alle Zeit festhält (185). Aber wie soll das
systematisch entfaltet werden? Vielleicht doch wieder in einer
Hermeneutik der Verschmelzung von Sinnhorizonten? Hier
stünde auch der vom Vf. propagierte Gegenstandsbezug der
Theologie auf der Probe. Er richtet sich offenkundig an einem Bedürfnis
aus, das in seiner südafrikanischen Theologietradition
gründet, aber dem europäischen Leser nicht ohne weiteres einsichtig
wird.

Bochum Christofer Frey

Moltmann, Jürgen: Der Weg Jesu Christi. Christologie in messia-
nischen Dimensionen. München: Kaiser 1989. 379 S. 8. Kart.
DM 48,-.

Mit diesem Buch legt Moltmann den dritten Band seiner Reihe
„Systematische Beiträge zur Theologie" vor, nach den Bänden
„Trinität und Reich Gottes" 1980, und „Gott in der Schöpfung"
1985(vgl.ThLZ 107, 1982, 918ff sowie 112, 1987, 81 ff)- Geplant
ist noch ein weiterer Band mit einer ausführlichen Eschatologie
(vgl. 345 u.ö.). Ein eigener ekklesiologischer Band ist offensichtlich
für diese Reihe nicht vorgesehen, vielmehr verweist M. hier
auf sein Buch „Kirche in der Kraft des Geistes" von 1975 (13),
das allerdings seinerseits als dritter Band der früheren Trilogie
des Vf. (nach „Theologie der Hoffnung" 1964, und „Der gekreuzigte
Gott" 1972) geschrieben worden war.

Wir haben jetzt also einen zweiten umfangreichen christologi-
schen Entwurf aus Moltmanns Feder vor uns, und ein Vergleich
mit dem Buch von 1972 legt sich nahe. Damals entwarf Moltmann
eine Theologie des Kreuzes, die ihr sachliches Zentrum in
einem vom Kreuz her entwickelten trinitarischen Gottesverständnis
„jenseits von Theismus und Atheismus" hatte. Dies
stieß u.a. auf die herbe Kritik von D. Solle (in ihrem Buch „Leiden
" 1973), der M. jetzt ein Mißverständnis seiner damaligen
Position unterstellt (197). Mit der Aufzeigung von „Wegen zur
psychischen und zur politischen Befreiung" des Menschen gab
M. seiner Christologie damals den praxisorientierten Horizont.

Die jetzt - 17 Jahre danach - vorgelegte Christologie unterscheidet
sich in mehrfacher Hinsicht von dem damaligen Entwurf
. Als „Christologie in messianischen Dimensionen" ist sie
besonders den Fragestellungen des jüdisch-christlichen Dialogs
verpflichtet. Dem dient eine ausführliche Darstellung von Weg
und Werk des vorösterlichen Jesus, die in einen „ Ergänzungsvorschlag
zu den beiden altkirchlichen Glaubensbekenntnissen"
mündet (171), die diese Dimension der Wirklichkeit Jesu Christi
faktisch ausgeblendet haben. Den zweiten spezifischen Akzent
erhält die jetzige Christologie Moltmanns durch Gesichtspunkte,
die sich von der ökologischen Krise unserer Welt her ergeben und
die insbesondere in einer Neuaufnahme der Thematik „kosmischer
Christus" (Kap. VI), aber auch sonst durchgängig, ihren
Niederschlag finden. Ein Akzent liegt schließlich auf der eschato-
logischen Perspektive dieser Christologie, wie sie ein eigenes Kapitel
über die Parusie Christi (Kap. VII) entfaltet, wie sie aber
ebenfalls das ganze Buch durchzieht und dabei die Elemente des
Sabbats, der Eucharistie, die Vision endgültigen Friedens zum
Tragen bringt.

Das Buch ist insgesamt in sieben Kapitel gegliedert. In Kap. I „ Das Mes-
sianische" skizziert der Vf. die alttestamentlich-jüdische Messiaserwartung
und versucht eine vorläufige Antwort auf den christologischen Dissens
im jüdisch-christlichen Dialog: das jüdische „Nein" zu Jesus als dem
Messias sei nicht das Nein Ungläubiger, sondern beruhe auf dem Unvermögen
, angesichts der offenbaren Unerlöstheit der Welt im gekommenen Jesus
schon die Erfüllung der messianischen Verheißung zu sehen (51). Das Positive
dieses „Nein" sei die auf seinem Hintergrund entstandene Völkermission
, die aber die Erwählung Israels nicht ausschließt, vielmehr Christen und
Juden im Glauben Abrahams und in der Hoffnung auf die künftige Vollgestalt
der Erlösung zusammenschließt (54). Kap. II „Wege und Wandlungen
der Christologie" versucht, in kritischer Betrachtung sowohl der klassischen
2-Naturen-Christologie wie der neuzeitlichen Christologie des „gelungenen
Menschseins" (81; Schleiermacher, Rahner) angesichts der
Widersprüche der wissenschaftlich-technischen Zivilisation die Notwendigkeit
und den Sinn einer „therapeutischen" (56) Christologie anzuzeigen
, die auf dem Hintergrund deralttestamentlichcn Verheißungen und in
Betrachtung des geschichtlichen Weges Jesu als „Christologie der eschato-
logischen Geschichte Gottes" (90) zu entfalten ist. Diese Entfaltung geschieht
in den folgenden 5 Kapiteln. Kap. III „Die messianische Sendung
Christi" deutet den Weg des vorösterlichen Jesus als Weg aus dem Heiligen
Geist. In weithin eindrücklich einfacher Diktion entfaltet Moltmann eine
„Geist-Christologie" (92) im Blick auf Jesu Geburt aus dem Geist. Jesu
Taufe, seine Predigt- und Heilungstätigkeit, seine Zuwendung zu den Sündern
(als den sozial Ausgestoßenen). Besondere Beachtung dürfte der Abschnitt
über die Bergpredigt als die messianischen Tora für alle Völker (in
Erfüllung, nicht als Ende des alttestamentlichen Gesetzes) finden. Sie ist
die Magna Charta einer „Kontrastgcsellschaft" und gewinnt Gestalt in der
Gemeinschaft derer, die Jesus nachfolgen. Als „eigentliche Sünde der
Menschheit" erscheint in diesem Zusammenhang der Gebrauch von Gewalt
, der allerdings legitimen A/at/j/gebrauch (als „gerechte Anwendung
von Kraft" 150) nicht ausschließt.

In dem allen erweist sich Jesus als „messianische Person im Werden'"-
deren Geheimnis vor allem in seinem „Selbstverlust" (159) am Kreuz erahnbar
wird. Dem Ereignis des Kreuzes ist sodann das IV. Kapitel „Die
apokalyptischen Leiden Christi" gewidmet. Die Überschrift zeigt bereits
an. daß das Leiden Christi hineingezeichnet wird in den „ apokalyptischen
Horizont der Weltgeschichte" in ihrer letzten Epoche (180). Jesus stirbt als
Kind Gottes in Gottverlassenheit, als Jude, als Sklave, als der. der den Tod
alles Lebendigen, die „Tragödie in der Schöpfung" (191), erleidet. Gegen
Sölles Kritik und in Aufnahme von Gedanken des Buches von 1972 unterstreicht
M. den Schmerz und das Leiden Gottes im Leiden Jesu. Das Ziel
ist Vergebung, Befreiung und Dienst und schließlich das Ende allen Leides
in der Auferstehung der Toten.

Kap.V „Die eschatologische Auferstehung Christi" läßt das Auferstehungszeugnis
in der „inneren Erfahrung" der frühen Christen begründet
sein, in ihrer Geisterfahrung. Für das theologische Verständnis reichen die
von E. Troeltsch festgestellten Axiome historischen Fragens nicht aus (25 L
vgl. 265ff9). Die theologischen Entwürfe Barths und Bultmanns führen allerdings
de facto zu einer Enthistorisierung und Enteschatologisierung des
Auferstehungszeugnisses. Pannenberg gewinnt zwar die Dimension der
Geschichte wieder, kann aber den „Überschuß dergöttlichen Verheißung""
nicht zureichend zur Geltung bringen. M. will Auferstehung weniger als
Faktum, als vielmehr als zukunftsoffenen Prozeß begreifen. Sic ist entscheidend
bestimmt durch Leibhaftigkeit, mit der die Hoffnung für die leidende
Schöpfung insgesamt angezeigt wird. Moltmann fordert eine neue
„ physische Erlösungslehre" (281), die auch zu entsprechender sozialer und
naturbezogener Praxis anleitet.

Damit schließt sich das wichtige Kapitel VI. über den „kosmischen Christus
" sachlich stringent an. Unter Rückgriff auf den berühmten Vortrag J-
Sittlers in Neu Delhi 1961 geht M. hier Schritte in der Richtung einer Christologie
der Natur. Christus ist Grund der Schöpfung (wobei nach Gen I
von einer schon vorausgesetzten „ Vibration des präsenten Geistes Gottes"
im Urchaos gesprochen werden muß, 312). Und er ist „ Erlöser der Evolution
" (325): diese bemerkenswerte Formulierung stellt die kritische Antwort
auf evolutionistische Thesen Teilhard de Chardins und Karl Rahners
dar. M. macht nämlich eine in der Geschichte anzutreffende „Gegenläufig'
keit" namhaft und verweist auf die „Opfer der Evolution" die eine endgültige
Hoffnung allein auf den kommenden Erlöser zu setzen erlauben (328).
Dennoch sind bereits jetzt vorläufige Gestalten einer eschatologischen
Schöpfungs- als Rechtsgemeinschaft (mit dem Sabbat als Gottes „ökologischer
Weisheit" 335) möglich.

Das Buch schließt mit dem VII. Kapitel „Die Parusie Christi". Dieses in
der vorliegenden dogmatischen Literatur häufig zurückgedrängte oder ausgelassene
Thema gibt M. (vorlaufend zu seinem geplanten Eschatologie-
Buch) Anlaß, über das Ineinander von Zeit und Ewigkeit, von bleibender