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Ausgabe:

1991

Spalte:

452-453

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Zöhrer, Josef

Titel/Untertitel:

Der Glaube an die Freiheit und der historische Jesus 1991

Rezensent:

Petzoldt, Matthias

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 6

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der cusanischen Philosophie bemüht. In zahlreichen Publikationen
kreist er um den cusanischen Grundgedanken der coinciden-
tia oppositorum. Der Vf. ist sich aber dessen bewußt, daß NvK
nicht nur philosophisch zu begreifen ist: „Sein Philosophieren
vollzieht sich in jener tiefgehenden lebendigen Einheit mit der
Theologie, wie sie besonders der von Augustinus herkommenden
und über Meister Eckhart gehenden Traditionslinie des abendländischen
Denkens entspricht" (VII).

Der Vf. geht konsequent von den beiden - sich ergänzenden
und sich gegenseitig durchdringenden - Grundsätzen der coinci-
dentia oppositorum und der docta ignorantia aus - im „ Hindenken
auf die ,Einheit'" (1), damit dem aristotelischen Nichtkoinzidenzprinzip
widersprechend.

Im 1. Teil („ Der Ineinsfall der Gegensätze und die Weisheit des
Nichtwissens" (1-36) befaßt sich der Vf. mit dem ontologisch-
metaphysischen („Einheit über Vielheit"), dem gnoseologischen
(„Einsicht über Verstand") und dem mystisch-theologischen
Motiv („Gott über Einheit und Vielheit, über Einsicht und Verstand
"). Bei aller platonischen Einheitsmetaphysik betont NvK
doch die Dialektik zwischen dem Einen und dem Vielen, der Ursache
und dem Verursachten, die er miteinander verbindet; er
betont die Ineinsfaltung von allem, was in Vielfalt ausgefaltet ist.
Gott ist nicht einfach die coincidentia oppositorum, er steht über
ihr, er ist die „Einfaltung von allem, insofern alles in ihm ist" und
die „Ausfaltung von allem, insofern er in allem ist" (7, De docta
ign. II, 3).

NvK wehrt der Verabsolutierung rationalen Denkens, weil dies
„den Aufstieg zur mystischen Theologie", den Zugang zum verborgenen
Gott verbaut, um die „gottinnige Gottsuche" (19) geht
es NvK vor allem. Alle unsere Erkenntnis geht von Gott aus.
Nicht wir erkennen ihn, er erkennt uns. Unser Geist (mens) kann
nur bis zur „Mauer der Koinzidenz" gelangen und nicht darüber
hinaus. In unseren Geist muß sein Licht hineinstrahlen. Alle unsere
Gotteserkenntnis setzt Gott insoweit voraus, als er in unserem
Denken und Erkennen schon immer gegenwärtig ist und wir
ihn nur erkennen können, wo er sich uns zu erkennen gibt. Diese
nun eminent theologischen Gedanken hat der Vf. hervorragend
dargestellt. Der Theologe wird sie gern mit der cusanischen Lehre
von der fides konfrontieren. Und bei dem NvK eigenen Ringen
um den rechten Gottesnamen (s. u.) möchte er ausgesagt wissen,
wie (und nicht daß) Gott ist.

Im 2.Teil geht es um die Anthropologie („Das Bild vom Menschen
und der unnennbare Name Gottes" 37-83). NvK begreift
den Menschen als „ lebendiges Bild Gottes", er vereint in sich als
Mikrokosmos die Hauptkomponenten des ganzen Kosmos, er
hat Anteil am schöpferischen Geist Gottes und ist insofern
„zweiter Gott". Menschliches Wissen „weiß, daß es das Wesen
des Unendlichen nicht weiß, daß es aber in diesem Nichtwissen
gerade von ihm als Unendlichem weiß" (57), denn Gott ist das
„Nicht-Andere" er ist nichts von allem, was begriffen werden
kann (62). St. möchte im cusanischen Ringen um den rechten
Gottesnamen, der zuletzt um das „Possest" (Können-Ist) kreist,
eine Vereinigung beider Grundgedanken abendländischer Metaphysik
sehen: Gott als Wirklichsein alles Könnens und als einfache
und zugleich unendliche Wesensform (69), als Koinzidenz
von Plato und Aristoteles. Nur wird man nicht ergänzen müssen,
daß NvK den Aristoteles in den Plato und nicht umgekehrt
hineinnimmt?

Das wird im 3. Teil besonders deutlich („ Einheitsmetaphysik -
Seinsmetaphysik - Geistmetaphysik" 85-119). Noch einmal
kommt St. auf die Suche nach dem rechten Gottesnamen zurück.
Für NvK ist die (ps.-dionysische) theologia negationis bedeutungsvoll
. Der Nicht-Andere, das Nicht-Seiende (d.h. vor und
über allem vielen Seienden) ist Gott, er ist mehr als der Schöpfer,
mehr als der Absolute, zu dessen Wesen Entfaltung und Selbstvermittlung
gehören würde (97-99).

Zusammenfassend stellt der Vf. fest: „ Die cusanische Philosophie
ist wesenhaft Philosophie des Geistes" und hat „ ihre Phänomengrundlage
in der Selbsterfahrung des Menschen" in seiner
Rückbesinnung auf sich als „geistbegabtes Wesen" (116). Hier
würde der Theologe einhaken, aber St. schränkt selbst ein. daß
nach NvK der menschliche Geist um seine Grenzen, um seine
Endlichkeit weiß (1160- Der Vf. meint, daß sich im cusanischen
Denken „eine Schwerpunktverschiebung von der objektW-
intentionalen zur reflex-transzendentalen Vorgehensweise" vollzieht
(118). Ein umfangreicher Anmerkungsteil und das Literaturverzeichnis
folgen dem Text.

Wie nicht anders zu erwarten hat der Vf. die „Grundzüge" cu-
sanischer Philosophie äußerst solide erarbeitet, fußend auf vorzüglicher
Quellen- und Literaturkenntnis. Er krönt damit seine
jahrzehntelange Arbeit am Werk des NvK.

Freiberg/Leipzig Karl-Hermann Kandier

Zöhrer, Josef: Der Glaube an die Freiheit und der historische
Jesus. Eine Untersuchung der Philosophie Karl Jaspers* unter
christologischem Aspekt. Frankfurt/M.-Bern-New York:
Lang 1986. VI, 192 S. 8 = Regensburger Studien zur Theologie-
35. Kart. sFr45,-.

Erst drei Jahre nach ihrem Erscheinen ist diese für den Druck
überarbeitete Dissertation (an der Kath.-Theol. Fakultät Regensburg
) dem Rez. in die Hände gekommen. So ist es nur zum Teil
seinem Versäumnis anzulasten, daß diese interessante Studie so
spät angezeigt wird. Auf den ersten Blick mag sich durch diese
mehrjährige Verzögerung das Bedenken des Vf.s hinsichtlich
einer „unzeitgemäßen" Beschäftigung mit der Philosophie Karl
Jaspers' (1) noch verstärken. Doch ist im fortschreitenden Säkularisierungsprozeß
West- und Mitteleuropas die Jasperssche
Säkularisierung von Theologie (Ricoeur) mehr denn je von Wichtigkeit
und eine Untersuchung ihrer Gedankenfülle aus theologischer
Sicht aufschlußreich.

Während das Unterthema die Aufgabenstellung ankündigt-
markiert das Oberthema lediglich die Eckpunkte, die inhaltlich
den Spannungsbogen der anstehenden Fragen abstecken. Nach
einer kurzen Einführung in Jaspers' „ philosophisches Grundwissen
" (l.Kap.) arbeitet der Vf. die These von der prinzipiellen
Verborgenheit der Transzendenz als einem „entscheidenden Angelpunkt
" dieser Philosophie heraus (34) und baut auf dieser
Feststellung seine zentrale These zur Interpretation und Kritik
des Jaspersschen Denkens auf: Weil die Transzendenz nicht als
sie selbst erscheint, ist das phänomenologisch Erhellbare zugleich
das für alle Menschen Letztverbindliche. Durch alle Sachthemen
und Kapitel des Buches hindurch kehrt dieser Gesichtspunkt
wieder, so im 2. Kap. zur Frage nach Struktur und Art der
Gewißheit des philosophischen Glaubens wie im 3. Kap. (Verhältnis
des philosophischen Glaubens zur Christologie), welches
einen ersten Höhepunkt in der Erörterung darstellt. Erkenntnistheoretisch
- so Z. - schließt Jaspers' Vernunftglaube eine Offenbarung
als Möglichkeit aus, verwechselt der Glaube an eine
Menschwerdung Gottes Chiffer und Leibhaftigkeit der Transzendenz
. Und über das erkenntnistheoretische Urteil hinaus wird für
Jaspers das Erscheinen Gottes unnötig, weil der philosophische
Glaube in seinem Wissen um das „Chiffersein als Vermittlung
zwischen Gott und Menschen", um die Freiheit der Existenz vor
der Transzendenz, um das Scheitern als den Weg des Menschen
zum Sein, und in seiner Erfahrung des Sichgeschenktseins „in geradezu
frappierender Weise die Thematik der Christologie bzw.
der Soteriologie nachzeichnet, jedoch so, daß die Christologie enthistorisiert
und zum Prinzip" des allen Menschen Möglichen erhoben
erscheint. (52) Indem der philosophische Glaube fak-