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Ausgabe:

1991

Spalte:

448-450

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kühn, Rolf

Titel/Untertitel:

Deuten als Entwerden 1991

Rezensent:

Engemann, Wilfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 6

448

sie, die Übernahme der Verantwortung für die Gemeinschaft und
vor Gott.

Barth beschreibt die Strukturen des allgemeinen Priestertums
als Lebensstil des einzelnen und der Gemeinschaft, als unmittelbare
und mittelbare Gegenseitigkeit, als Ganzheitlichkeit und
Gemeinschaftlichkeit, als Spontaneität, Disponibilität und Flexibilität
sowie als Prozeß und Wachstum. Das Verhältnis von
Amt und allgemeinem Priestertum ist nicht als Konkurrenz zu
verstehen, sondern das ordinierte Amt ist eine besondere Gestalt
des allgemeinen, gegenseitigen und gemeinsamen Priestertums,
ein Instrument, durch das sich das allgemeine Priestertum organisiert
. Deshalb darf das Amt im Interesse des letzteren nicht nivelliert
werden. „Das Proprium des durch die Ordination bezeichneten
Amtes besteht in seinem Bezug zur Gemeinschaft ; es
ist das Amt der .Einheit des Leibes Christi'" (236). Abschließend
interpretiert Barth das allgemeine Priestertum von den Kennzeichen
der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche
her.

Das Buch enthält eine Fülle ekklesiologisch wichtiger und auch
direkt für die Gemeindepraxis hilfreicher Gedanken in treffenden
Formulierungen. Sowohl für die ökumenische Diskussion als
auch für die innerevangelischen Überlegungen zum Gemeindeaufbau
gibt Barth wichtige Anstöße und Informationen, obwohl
er letzteres gar nicht beansprucht. Überzeugend zeigt er,
daß es sich lohnt, die ekklesiologische Relevanz der These vom
allgemeinen Priestertum ernst zu nehmen, um die vom heiligen
Geist ausgelöste Basisbewegung der Kirche zu erfahren. Barth
nimmt an, daß die Zeit der Volkskirche zu Ende geht und die Kirche
künftig in Gestalt von Zellen und geistlichen Zentren leben
wird. Doch auch wenn die „flächendeckende Institution zur Betreuung
von Mitgliedern" (243), deren positive Möglichkeiten
nicht geringgeschätzt werden sollten, auf absehbare Zeit erhalten
bleibt, ist der praktisch-theologische Impuls des allgemeinen
Priestertums höchst wichtig. Barth beweist mit diesem Buch wieder
, daß eine gute systematisch-theologische Arbeit praktischtheologisch
unentbehrlich ist.

Gutenberg bei Halle (S.) Eberhard Winkler

Eggenberger, Oswald: Die Kirchen, Sondergruppen und religiösen
Vereinigungen. Ein Handbuch. 5., Überarb. u. erg. Aufl. Zürich
: Theologischer Verlag 1990. 358 S. 8° Pp. sFr 42,-.

Der „Eggenberger" bedarf keiner neuen Einführung. Seit Jahren
gehört er zu den unentbehrlichen, weil zuverlässigen Nachschlagewerken
auf dem Gebiete der Konfessionskunde. Bei der
Besprechung der 3. Aufl. (1983, s. ThLZ 110, 1985, 2120 konnte
das hinreichend unterstrichen werden. Seinerzeit folgte bald eine
4. Aufl. (1986, in der ThLZ nicht angezeigt). Nun - und das
spricht für sich - liegt bereits die 5. Aufl. vor, selbstverständlich
weiter überarbeitet und ergänzt. Schon der äußere Zuwachs um
80 Seiten gegenüber der 3. Aufl. macht das Ausmaß der Veränderungen
deutlich. Zwar ist der große und bewährte Aufriß unangetastet
geblieben, nur ein Hauptabschnitt ist hinzugekommen, ein
Anhang über Esoterik und alternative Spiritualität (288-302).
Innerhalb der großen Abschnitte jedoch hat sich vieles verändert.
Eine Reihe von Gemeinschaften (nicht weniger als 19!) sind gegenüber
der 4. Aufl. nicht mehr vertreten, da sie entweder auf ein
Minimum an Mitgliedern zusammengeschrumpft sind, sich
gänzlich aufgelöst haben oder nicht mehr in den Zusammenhang
des Buches passen (303). Erheblich mehr jedoch sind neu aufgenommen
worden, und eigentlich in allen großen Abteilungen.
Am deutlichsten ist der Zuwachs im Abschnitt 5, der die Pfingst-
bewegung behandelt. Hier ist die „ Freie Evangelisch-Lutherische
Gemeinde", die „ Anskar-Kirche" von Wolfram Kopfermann von

1988 ebenso aufgenommen (123f) wie das "Power Evangelisme'
eines Kenneth E. Hagin oder die Heilungs-Seminare von John
Wimber (126). Auf dem neuesten Stand ist auch - um nur noch
ein Beispiel anzuführen - die Entwicklung in den apostolischen
Gemeinschaften durch die Aufnahme der 1989 gegründeten
„Apostolischen Gemeinde" durch den aus der Neuapostolischen
Kirche ausgeschlossenen Apostel Rockenfelder und den Propheten
Heubach (154). Und selbst der 1989 gegründete Freidenker-
Verband der DDR ist aufgenommen (215).

Daß nichtsdestoweniger sehr genau differenziert wird und
nicht jede faktische Spaltung oder separatistische Tendenz sofort
mit einer selbständigen Aufnahme hier „geahndet" wird, zeigt
die Behandlung der Sezession von Alt-Erzbischof Lefebvre von
der römisch-katholischen Kirche und seiner Exkommunikation.
Der Kasus wird zwar erwähnt (28), zugleich aber auch betont,
daß damit keine eigene kirchliche Gründung verfolgt wird und
sich andererseits auch Rom um die Wiedereingliederung bemüht
.

Das sind nur wenige Schlaglichter. Sie zeigen die Bewegung auf
diesem Gebiete ebenso, wie sie das Bemühen des Autors unter
Beweis stellen, dem Benutzer des Handbuches tatsächlich den
neuesten Stand aufzuweisen.

Schöneiche bei Berlin Hubert Kirchner

Borggrefe, Friedhelm: Die Aufgaben des Gustav-Adolf-Werkes heute
(EvDia 59, 1990, 115-125).

Fischer, Robert H.: Lutheran ministry in America (CThMi 17, 1990.
34-44).

Gang, Dietrich: Plädoyer für die Diasporawissenschaft (EvDia 59. 1990.
25-37).

Otter, Jiri: Zur Geschichte der Diasporaarbeit in den tschechischen Ländern
(EvDia 59, 1990, 127-135).

Palma, Samuel, u. Hugo Billela: Die Pfingsbcwegung als Volksreligion
des lateinamerikanischen Protestantismus. Einige Elemente zum Verständnis
der Dynamik der Pfingstkirchen in Lateinamerika (ZfM 16. 1990.
24-33).

Petri, Heinrich: Der Anspruch der New-Age- Bewegung aus christlicher
Sicht (ThGI 80, 1990, 58-73).

Wengenroth, Karl: Die Evangelisch-Lutherische Kirche von Brasilien
(Missionsblatt ev.-luth. Freikirchen 82, 1990, 14-16).

Winkler, Eberhard: Der Auftrag des Gustav- Adolf-Werkes in unserer
Zeit (EvDia 59, 1990, 11-23).

Wysoczariski, Wiktor: Patriotische, kirchcnrcchtlichc und doktrinäre
Bande der Polnischen Nationalen Kirche in den USA und in Kanada mit
der Polnisch-katholischen Kirche in Polen (1KZ 80, 1990, 16-39).

Philosopie, Religionsphilosophie

Kühn, Rolf: Deuten als Entwerden. Eine Synthese des Werkes Simone
Weils in hermeneutisch-religionsphilosophischer Sicht.
Freiburg-Basel-Wien: Herder 1989. XIV, 457 S. gr. 8°= Freiburger
theologische Studien, 136. Kart. DM 58,-.

Wenngleich ich es auch nach der Lektüre der 1985 als These de
Doctorat en Philosophie vorgelegten Arbeit für unangemessen
halte, in Simone Weils Werk „den Entwurf einer vollkommen
zeitgemäßen Philosophie" (XII) zu sehen, finde ich es nach wie
vor verlockend, das in starkem Maße aus verschiedenen philosophischen
Traditionen schöpfende Argumentationsrepertoire
Weils auf der Ebene der Semiotik, der Symbolik und der Poetik zu
synthetisieren - so jedenfalls die Absicht des Vf.s. Ähnlich angelegte
Studien für andere philosophische Werke liegen vor, man