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Ausgabe:

1991

Spalte:

439-440

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hall, Basil

Titel/Untertitel:

Humanists and protestants 1991

Rezensent:

Guggisberg, Hans R.

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Seite 1

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439

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 6

440

Kirchengeschichte: Neuzeit

Hall, Basil: Humanists and Protestants 1500-1900. Edinburgh:
Clark 1990. X, 380 S. S°.

Elf größere Aufsätze über sehr verschiedenartige Einzelthemen
hat der bekannte englische Kirchenhistoriker Basil Hall in diesem
Band versammelt. Sie sind alle schon früher veröffentlicht
worden, nämlich in den Jahren 1965-1979. Für die Neuausgabe
wurden sie zum Teil sehr eingehend revidiert, inhaltlich ergänzt
und dokumentarisch beträchtlich ausgeweitet. Der Gesamttitel
erweckt die Erwartung, es gehe hier überall um die Frage nach der
Auswirkung humanistischer Wissenschafts- und Forschungstradition
auf protestantische Strömungen und Einzelpersönlichkeiten
. Dies ist aber nicht durchweg der Fall, und bei mehreren Aufsätzen
hat man etwas Mühe, den Zusammenhang mit der
implizierten allgemeinen Fragestellung zu erkennen.

Die erste und längste Studie ist einem zentralen Thema aus der
Geschichte des biblischen Humanismus in Spanien gewidmet:
"Cardinal Jimenez de Cisneros and the Complutensian Bible".
Sehr eingehend wird hier die Entstehung des großen Bibelwerks
geschildert; man erfährt viele Einzelheiten über die Beziehungen
des Projekts zu den parallelen Bemühungen des Erasmus von
Rotterdam, man wird über wichtige Mitarbeiter wie z. B. über
Antonio de Nebrija ausführlich orientiert, man verfolgt die
Reaktionen der Inquisition und die verteidigenden Stellungnahmen
bedeutender spanischer Gelehrter des späten 16. und des
17.Jh.s wie Benito Arias Montano und Juan de Mariana. Die
zweite Studie, "Erasmus: Biblical scholar and Catholic Reformer
" befaßt sich hauptsächlich mit der Entstehung der Edition
des griechischen Neuen Testamentes, mit dem Verhältnis des
Erasmus zu Hieronymus, mit seinen Hebräisch-Studien und mit
der Kritik am Novum Instrumentum von Martin Luther bis zu Joseph
Lortz und Hubert Jedin.

Im Aufsatz über "The Reformation City" wird nachdrücklich
vor ausschließlich sozialhistorisch-strukturalistischer Interpretation
und vorschneller Verallgemeinerung gewarnt. In kritischer,
wenn auch im Ton sehr fairer und zurückhaltender Auseinandersetzung
mit Autoren wie Hans Baron, Bernd Moeller, Thomas A.
Brady u.a. plädiert Hall für vermehrte Berücksichtigung der
theologischen Ideen führender „städtischer" Reformatoren. Der
Arbeit über die Stadtreformation folgen zwei Studien über " Dia-
konia in Martin Bucer" und "The Colloquies between Catholics
and Protestants, 1539-41", die zahlreiche Hinweise zum gleichen
Themenbereich enthalten. Die Studie über die Religionsgespräche
enthält am Schluß eine kritische Betrachtung über die
neuere katholische Forschung. Die Abhandlung "John a Lasco:
The Humanist turned Protestant, 1499-1560" darf als sehr nützliche
, übersichtliche und für erste Orientierung brauchbare biographische
Darstellung bezeichnet werden.

In den Bereich der frühneuzeitlichen Geschichte Englands führen
die Aufsätze über "The Early Rise and Gradual Decline of
Lutheranism in England, 1520-1600", "Puritanism: The Problem
of Definition", "Defoe: The Protestant Flail" sowie "'An
Inverted Hypocrite': Swift the Churchman". Den nichtenglischen
Leser dürfte hier vor allem die Auseinandersetzung englischer
Theologen des 16. Jh.s mit Luther interessieren. Ebenfalls
sehr beachtenswert erscheint die Abhandlung über den Puritanis-
mus-Begriff. Sie ist essentiell theologiegeschichtlich ausgerichtet
und enthält eine skeptische Beurteilung der bekannten (und auch
sehr wirkungsvollen) Definitionsansätze, wie sie etwa von Christopher
Hill vorgebracht worden sind.

Am Schluß steht eine Studie, die thematisch zwar aus dem
Rahmen fällt, aber dennoch äußerst lesenswert ist. Sie handelt
von dem Barnabitenpater Alessandro Gavazzi (1809-1889),

dem Mitbegründer der "Chiesa libera cristiana in Italia" der als
Befürworter der italienischen Einigung hervortrat, nach 1849 in
England als leidenschaftlicher Kritiker des römischen Katholizismus
bekannt wurde, zum Protestantismus übertrat und bis zu
seinem Lebensende einen glühenden und oft ans Fanatische
grenzenden Risorgimento-Nationalismus vertrat. Da die Literatur
über Gavazzi nicht besonders reichhaltig ist, darf die sorgfältige
Studie Halls als sehr verdienstvoll bezeichnet werden.

Im ganzen ist festzustellen, daß die im vorliegenden Sammelband
abgedruckten Studien zahlreiche Hinweise auf oft übersehene
Zusammenhänge enthalten. Dies gilt m. E. in ganz besonderem
Maße von den Studien über Jimenez de Cisneros und über
den gewiß etwas schillernden Alessandro Gavazzi. In den anderen
Arbeiten findet man neben gelegentlich aufleuchtenden Ansätzen
zu origineller Neuinterpretation allerdings auch viel Bekanntes
. Die Auseinandersetzung mit der neueren englischen
und nichtenglischen Reformationsforschung (besonders im Aufsatz
"The Reformation City") bezieht sich vornehmlich auf
Werke der 60er und 70er Jahre und wirkt daher nicht mehr aktuell
.

Basel Hans R. Guggisberg

Hildebrandt, Jörg, u. Gerhard Thomas [Hg.]: Unser Glaube
mischt sich ein ... Evangelische Kirche in der DDR 1989. Berichte
, Fragen, Verdeutlichungen. Berlin: Evang. Verlagsanstalt
1990. 135 S., 42 Abb. 8!

Überholt sind die Beiträge dieses EVA-Bändchens nicht - nicht
für die spätere Forschung. Wohl aber haben sie in der Entwicklungsdynamik
seit Herbst 1989 für den derzeitigen Leser viel von
ihrer kritischen Kraft eingebüßt. Die Stunde der wissenschaftlichen
Analyse des Weges der evangelischen Kirche in der „sanften
Revolution" ist noch nicht gekommen, und die Stunde der Augenzeugenberichte
ist schon vorbei. Überdies ist in den letzten
Monaten eine so große Fülle ähnlicher Literatur auf den Buchmarkt
niedergeprasselt, daß man kaum noch weiß, wer was wo
geschrieben hat.

Dennoch. Das von Jörg Hildebrandt und Gerhard Thomas betreute
Sammelwerk ist wichtig. Es enthält Beiträge, die man an
anderer Stelle so nicht findet. Erwähnt seien nur - und dies nicht
aus bloßer Artigkeit - die Beiträge der Herausgeber selbst. Thomas
beschäftigt sich in medienpolitischer Optik mit dem Platz
der Kirche in der Öffentlichkeit („Fehl am Platz: Selbstgefühl
und Dünkel" 62-68). Hildebrandt untersucht die Kirchenpresse
der Ex-DDR („Mein Blatt, das sich nicht wenden muß" 69-79).
Die Überschriften weisen auf einen Duktus hin, der für das gesamte
Sammelwerk charakteristisch ist. Man trägt journalistischen
Ansprüchen Rechnung. Im Gewerbe nicht ganz so stilsichere
Autoren vergreifen sich dabei mitunter. Der Titel „Es
bogen sich die morschen Balken" (22-29) dürfte dem abgehandelten
Thema, dem Wahlbetrug vom 7. Mai 1989, kaum angemessen
sein.

Ohne den Informationswert der übrigen Beiträge herabmindern
zu wollen, seien nur noch hervorgehoben die Beiträge von
Clemens M. März (ein erfreulich selbstkritischer Bericht über die
Gründe für die Absenz der römisch-katholischen Kirche in der
Wende), von Günter Lorenz (über den Platz der Freikirchen im
Reformprozeß) und der aus intimer Kennerschaft geschriebene
Beitrag Wolfgang Ulimanns über „Kirche und Runder Tisch"
(80-91). Von Ullmann sind jetzt auch gesammelte Aufsätze erschienen
: Demokratie-jetzt oder nie! München 1990.

Leipzig Kurt Nowak