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Ausgabe:

1991

Spalte:

382-384

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Durchblicke - Einblicke - Ausblicke 1991

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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381

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

382

Jedenfalls ist dies nicht die Absicht der Hg. und Autoren der einzelnen
Beiträge. Ihr leitendes Interesse ist eine gemeindliche Erneuerung
, die eigene Betreuungsmentalität überwinden hilft und
Berührungspunkte von Gemeinde- und Alltagswirklichkeit
wahr- und ernst nimmt.

Der aus weitgefächerten Beiträgen zusammengefaßte Band
besteht aus theologischen Erörterungen und praktischen Umsetzungen
. Beide Teile betonen ihre Verbundenheit zur Gemeinwesenarbeit
. Sie hilft Kirchgemeinden, eigene Handlungsmög-
•'chkeiten und Aufgaben zu entdecken. Die grundlegenden Beiträge
verstehen Gemeinde als aufgerufen, sich in der Nachfolge
selbst an die Welt zu „entäußern". Glaube erweist sich dort als
aktivierende Kraft, wo dessen Lebensbedeutung im Kontext des
Alltags erfahren wird. Gemeinde, die auf die Bedürfnisse der sie
"mgebenden Welt eingeht und Glaube, der Kräfte und Menschen
freisetzt, finden sich unterstützt durch Elemente der Gemeinwesenarbeit
. Aktivierende Gemeindearbeit versteht sich als eine
öffnende Arbeitsform, die an der Kommunikation des Evange-
'■ums teilnimmt.

Lingscheid fragt in seiner Einleitung nach der Bedeutsamkeit
des Priesteramtes aller Gläubigen für eine Gemeinde, die „stets
an den gesellschaftlichen Strukturen orientierte Arbeitsformen
sucht". Es geht um Menschen, die von ihren Erfahrungen ausgehen
und Glauben so verwirklichen, daß er für die Lebensgestal-
tung relevant wird.

Der Aufsatz: „Theologie und aktivierender Gemeindeaufbau"
'Schieder) sucht eine grundlegende Ortsbestimmung bei
Schleiermacher als einem Kronzeugen für einen selbständigen
und selbst verantworteten Glauben. Dieser „anthropologische
Ansatz" liegt aktivierender Gemeindearbeit zugrunde. In ihrer
Kommunikation über Glauben, Leben und Handeln findet Befreiung
der Gemeinde aus „bürgerlicher Gefangenschaft" statt.

Um eine Darstellung aktivierender Gemeindearbeit müht sich
Gegner. Er wendet sich ebenso gegen eine theologischdogmatische
Normierung der Gemeindepraxis wie gegen ein Verständnis
von Kirche als „einem kontrollierten Bereich ohne Störung
durch die gesellschaftliche Realität". Im Ineinander von
Kirche und Welt vollzieht sich durch die aus dem Glauben
wachsenden Kräfte: Geduld, Mut, Stärke, Lebensbewältigung.

Das Konzept des Gemeindewachstums entspricht nach Auffassung
von Müller-Weißner/Volz (Heimat auf Zeit) dem „bürgerlich
- repressiven Identitätsmodell von Selbstbehauptung und
Herrschaft. Eine gastfreie Gemeinde lebt aus biblischer Tradition
'n liebevoller Zuwendung zu dem Außenstehenden ohne eigene
^erlustängste. Eine Gemeinde, die Heimat bietet, setzt einen
Prozeß in Gang, in dem Glaube Lebensgestalt gewinnt, unterstützt
von den Erfahrungen der Gemeinwesenarbeit.

Lingscheid faßt anschließend Methoden, Aufgaben und Hand-
'ungsbereiche der GWA seit Mitte der 60er Jahre zusammen.

Der Bericht über den Aufbau einer Industriegemeinde (Läwen)
erinnert an die notwendige Verknüpfung mit der Ortsgemeinde.

.-Wir bauen eine Gemeinde" (Müller-Weißner/Volz) beschreibt
ein 3jähriges Projekt. Der gesellschaftsdiakonische Ansatz
, vertieft durch Elemente der GWA, führt zur Hinwendung zu
verschiedenen Gruppen (Alleinerziehende, Jugendliche,
Zwangsruheständler u.a.) und eröffnet so organisch Arbeitsfelder
mit neuen Einsichten und Anfragen.

Unter der Überschrift: „Aktivierung zur Selbsthilfe - Aktions-
Untersuchungen für diakonische Gemeinden" stellt Peters einen
Modellversuch vor. in dem Menschen erreicht werden.

Die Arbeit an den Rändern beschreibt der Bericht über eine
Gruppe von Freizeitfußballcrn, denen als Kirchenfernen Ge-
rneindenähe angeboten wird. (Kuschnerus)

Wegner bietet eine Darstellung zur „Jugendarbeit mit Lust und
Liebe". Gemeinden sind aufgerufen, dem gemeinsamen Leben
und dem sozialen Lernen Raum zu geben.

Wolf unterstreicht mit seinem Aufsatz die Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit
, und Schabram stellt ein Arbeitslosenprojekt in
seiner Zuordnung zur Gemeinde dar.

In ihrem Aufsatz berichtet Möller über Erfahrungen zweier
Initiativgruppen von Frauen. Die Funktion der „Arbeitsgruppe
Feministische Theologie" wird als die eines Katalysators beschrieben
. Der „Frauentag" auf der Ebene einer Landeskirche
brachte die Erfahrung, die Situation der Frauen in der Gemeinde
mitzugestalten durch Visionen und Schritte zur Umsetzung.

Zum Thema: „Aktivierter Glaube sucht eigene Sprachformen
" finden sich Beiträge zur Bibelarbeit mit Arbeitslosen (Wegner
), zu Andachten im Bildungsurlaub (Heinecke) und zum Lektorendienst
im Gottesdienst und Alltag (Berner).

Lukatis berichtet über Vermittlung von Aspekten der GWA in
der Vikarausbildung und der Fortbildung. Im theoretischen Bereich
werden Abfolgen gemeinwesenorientierter Arbeit vorgetragen
. Eine andere Kurseinheit dient dazu, die Methode der GWA
auf aktivierende Gemeindearbeit zu beziehen. Schließlich fördert
das Ausbildungsmodell die Fähigkeiten, unter theologischen
Perspektiven die einzelnen Konzepte zu prüfen und regt dazu an,
die Praxisbeispiele auf ihre Übertragungsmöglichkeiten hin zu
befragen.

In dem abschließenden Fazit (Wegner) wird deutlich, daß alle
Beiträge von einem Verständnis von Glauben ausgehen, das auf
Handeln zielt. Aktivierende Gemeindearbeit ist ein Prozeß, bei
dem Menschen „gemeinsam und allein selbständig werden, ihre
Kräfte und Fähigkeiten entdecken, sie einsetzen für sich selbst
und für andere und ebenso Mut bekommen, ihr Leben zu gestalten
."

Als Leser des Buches wünscht man sich ebenso ehrenamtliche
wie hauptamtliche Mitarbeiter, Gemeindekirchenräte, Visitationsgruppen
, Konvente und Seminarteilnehmer Praktischer
Theologie. Hier liegt ein materialreicher, anregender Band vor,
der zu einem Lernen durch praktizierte Anwendung einlädt. An
manchen Stellen ist ein Rechtfertigungsdruck angesichts des Verkündigungsauftrages
, der unverhältnismäßig wenig wahrgenommen
wird, zu spüren. Neben dem Stellenwert des Gottesdienstes
als einem vitalen, lebenspendenden Ort für Nachfolge, bleibt
auch das Verhältnis zur Ortsgemeinde in ihrer Zuständigkeit im
Zwielicht. „Aktivierende Gemeindearbeit" wird noch einmal
spannend, wo sie sich der Frage stellt, bedürfnis- oder nachfolgeorientiert
zu handeln. Derartige Nachfragen unterstreichen
den Innovationswert dieses Sammelbandes.

Greifswald Friedrich Krause

Möller, Christian: Lehre vom Gemeindeaufbau. 2: Durchblicke -
Einblicke - Ausblicke. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1990. 401 S. 8°. Kart. DM 38,-.

Der erste Band dieses wichtigen Werkes erschien 1987 und
fand viel positive Resonanz (vgl. ThLZ 112, 1987,625-627). Die
Vorzüge des ersten Bandes finden sich im zweiten wieder. Möller
versteht es ausgezeichnet, geschichtliche Befunde für heutige
Themen fruchtbar zu machen. Er geht mit Recht davon aus. daß
viele „Chancen und Schwierigkeiten im Gemeindeaufbau heute
erst dann wirklich verstanden werden, wenn sie in ihrer geschichtlichen
Tiefendimension ausgelotet werden" (137). Methodisch
verfährt er so, daß er „die Geschichte rückwärts entdek-
kend" von der Gegenwart bis in die Reformation zurückgeht, um
„Durchblicke in geschichtliche Zusammenhänge der Evangelischen
Gemeinde" zu gewinnen, dann „ Einblicke in biblische Ursprünge
der christlichen Gemeinde" vermittelt und schließlich
„Ausblicke auf Dimensionen von Gottes Dienst im Gemeindeaufbau
" unternimmt.

Hatte Möller im ersten Band bis zur Gemeindebewegung am