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Ausgabe:

1991

Spalte:

368

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Atlas d'Histoire de l'Eglise 1991

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Seite 1

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367

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

368

hauptung angefügt wird, Luther habe „die Formstruktur seiner
Psalmbereimung ... gewissermaßen auf der Zunge" gelegen
(64)? Bei Nr. 24 (Wir glauben all an einen Gott) ist mit der Möglichkeit
zu rechnen, daß Luthers eigene Melodie in Zwi 25 und
nicht bei Walter vorliegt. Hat das der Leser zur Kenntnis genommen
, sieht er sich anschließend mit seltsamen Deutungen konfrontiert
: Lu ther habe gegen die künstlerisch überlegenere Melodie
Walters in der Folgezeit nichts gehabt. Oder gar: „Vielleicht
bemerkte er es auch gar nicht. Er hatte ja schließlich noch andere
als Kirchenlieder-Sorgen" (90). Derart subjektiv eingefärbte Bemerkungen
, die auch einmal die Form einer rhetorischen Frage
(68: „Ob es je gelingen wird ...") oder die des Optativs (134:
„Möge es späterer Forschung gelingen ...") annehmen können,
provozieren die Frage, wie groß der Spielraum für die Gestaltung
eines Kommentars ist.

Zu korrigieren sind einige Angaben bei Nr. 31 (Herr Gott, dich loben
wir). Die Datierungsbegründung mit 2LB1 Zwi 1529 entfällt. Sie ist aus der
falschen Angabe bei Clemen in WA Br 10, 487 abgeleitet. Clemen kannte
nur den in Zwickau als Fragment vorhandenen Zweitdruck von 1525 (?),
der aber nicht Luthers, sondern Müntzers Prosaübersetzung des Te deums
sowie eine Prosaübersetzung von Ps. 114 enthält (nicht Greiters Lied). Die
erste Ausgabe erschien bereits 1524, vgl. Helmut Claus: Die Zwickauer
Drucke des 16. Jahrhunderts. T. 1. Gotha 1985, 114f Nr. 85 und 130 Nr.
113. Müntzers Te deum ist, zusammen mit dem Benedictus 1524, auch bei
Johann Loersfeelt in Erfurt erschienen, desgleichen bei Mathes Maler in
Erfurt 1525, nunmehr mit der Lutherübersetzung von Ps. 114 und 115. J.
nimmt irrtümlich an, die Lutherübersetzung der beiden Pss. sei erst im
Wittenberger Gesangbuch von 1526 zu finden (43).

Das schmale 4. Kap., „Die gedruckten Quellen" (137-146)
bietet wichtige Hilfsmittel, eine chronologische Quellenübersicht
und eine alphabetische Konkordanz-Tabelle der alten und neuen
Quellen-Sigel.

Im umfangreichsten 5. Kap. finden sich die Editionstexte der
47 Lied-Nrr. mit den Wiedergaben der zeitgenössischen Melodien
in heutiger Notation, aller Textstrophen sowie den Varianten
bei Überschriften, Melodien und Texten (147-342). In seltenen
Fällen sind Anmerkungen beigegeben, bei schwer verständlichen
Texten wie Nr. 14 (Nun komm, der Heiden Heiland),
bei einer nicht einsichtigen Textverteilung wie bei Nr. 21 (Mit
Fried und Freud), bei liturgischen Texten (Nr. 31: Te deum; Nr.
43: Ps 111), bei den Texten und Inhaltsübersichten von Nr. 46
(Wittenberger Gemeindegesangbuch von 1533) und Nr. 47 (Begräbnisgesänge
von 1542).

Das 6. Kap. faßt Nachträge, Verzeichnisse und Register zusammen
(343-389). Zu den Nachträgen gehören Luthers Auto-
graph von „Vater unser im Himmelreich" mit Einleitung, Transkription
und Erläuterungen, ein Exkurs zu Entstehung und
Datierung von „Ein feste Burg", der Hinweis auf die Edition von
Luthers lateinischen Begräbnisgesängen in AWA 5, 455-474, Bemerkungen
zur Frage nach weiteren Bearbeitungen mittelalterlicher
Lieder durch Luther und zur Erwägung, ob sich in Nr. 13
eine verschollene mittelalterliche Leise erhalten hat. Die differenzierten
Register werden dem Bearbeiter besonderen Dank
eintragen.

Es ist verständlich, wenn sich bei einem so komplizierten Druck Satzfehler
einschleichen (vgl. 141: 487 statt 287; 340 und 342 lebende Kolumnen).
Bei der inkorrekten Wiedergabe der frühneuhochdeutschen Orthographie
können sich leicht Sinnveränderungen einstellen. So ist bei der Halberstädter
Version „Sancte maria won unß bey" aus dem Imperativ „hilff" die
Präsensform „hilft" geworden (82). Für die Orthographieabweichungen
sind aber vermutlich nicht nur Satzfehler verantwortlich zu machen. Das
zeigt ein Blick auf den dreifachen Abdruck der Halberstädter Fassung (82,
84-87, 87). Keiner der Abdrucke ist fehlerfrei. Bei Nr. 24 (91-95: Wir
glauben all an einen Gott) scheint Lücke die korrektere Orthographie überliefert
zu haben (vgl. z.B. WA 35, 173 „ewickeith" statt „ewickeicht").
Selbst die Transkription der Handschrift Luthers von „Vater unser im
Himmelreich" stimmt nicht völlig mit dem Faksimile überein (346-348).
Abgesehen von einem fehlenden Wort in Strophe 6 (348) betreffen die Abweichungen
allerdings in der Regel Kleinigkeiten. Der Frage, wie zuverlässig
die Textwiedergaben wirklich sind, müßte dennoch genauer nachgegangen
werden, zumal durch Modernisierung der Interpunktion gleichfalls
philologische Probleme entstehen können. Die Problematik der Melodieübertragung
in heutige Notation muß dem Urteil der Musikgeschichtler
überlassen werden.

J. hat WA 35 bescheinigt, der Bd. sei „in mehr als einer Hinsicht
leider ein recht glückloses Unternehmen" gewesen (AWA 5,
461). Wie wird das Urteil über seine eigene Neubearbeitung ausfallen
? Seine große Mühe, die er darauf verwandt hat, um über
den Editionsstand von 1923 hinauszuführen, ist dankbar anzuerkennen
. Im einzelnen ist es ihm gelungen, eine neue Grundlage
zu schaffen. Dennoch, Lutherforschung und Hymnologie stehen
künftig im Blick auf die Lutherlieder vor keiner leichten Aufgabe.
Sie haben WA 35 und die Neuedition nebeneinander zu benutzen
, denn das von J. angegebene Ziel, das Ganze so zu gestalten,
„daß es einem Benützer auch ohne den Bd. 35 U.A. dienen"
könne (7), ist mit dem vorliegenden Bd. leider nicht erreicht worden
. Bei allem Dank für die entsagungsvolle Arbeit des Bearbeiters
ist der Wunsch nach einer wirklich umfassenden und kritischen
Neubearbeitung von WA 35, die wohl nur als
interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft vorstellbar ist, kaum zu
unterdrücken.

Corrigenda zur chronologischen Quellenübersicht 140f.: 1525 05 ErfL
1525a Faks. Kassel 1983 (ebf. 130: 152403 ErfL 1524a); 152522 Rst. 1525
Faks. Leipzig 1986; 152703 ErfL 1527 ist nach H. Claus/M. A. Pegg: Ergänzungen
zur Bibliographie der zeitgenössischen Lutherdrucke. Gotha 1982,
155 Nr. 3542 (fehlt im Lit.-verzeichnis) vermutlich ein Lohndruck Valentin
Schumanns/Leipzig für J. Loersfelt; 1530°' LzgBl um 1530 ist nach H.
Claus: Das Leipziger Druckschaffen der Jahre 1518-1539. Gotha 1987,
1.77Nr.81 erst 1532 anzusetzen; 152902 2LB1 Zwi ist zu streichen (s. o.).

Berlin Siegfried Bräuer

Jedin, Hubert, Latourette, Kenneth Scott et Jochen Martin/Ed./:
Atlas d'Histoire de l'Eglise. Les eglises chretiennes hier et au-
jourd'hui. Avec la collaboration de nombreux specialistes, la-
boration J. Martin. Traduction Centre: Informatique et Bible,
Maredsous. Turnhout: Brepols 1990. 84* S., 152 S. m. 257 Ktn
u. Übersichten in Farbe, XXXIX S. 4. Pp. bfr 2259,-.

In ThLZ 113(1988) war über den Atlas zur Kirchengeschichte
(Herder-Verlag 1987) berichtet worden (2770- Ein Vergleich mit
der jetzt vorgelegten französischen Ausgabe zeigt völlige Übereinstimmung
vom Vorwort über die Karten, die Kommentare bis
hin zum Index. So bekommt nun also auch der französische Benutzer
des Werkes u. a. die „ Exemples de constitutions ecclesia-
stiques lutheriennes" in schematischen Skizzen vor Augen mit
den einzelnen Unterschieden zwischen den Landeskirchen von
Hannover, Oldenburg und Württemberg (1180- Es wird also eine
sehr reiche, mitunter wohl fast überreiche Fülle von Informationen
geboten. Die Reformation wird auf Seite 73 unter die Überschrift
gestellt: „L'introduction de la Reforme par les autorites
jusqu'en 1570". In der deutschen Ausgabe hieß es „Die obrigkeitliche
Einführung der Reformation in Deutschland bis 1570".
Tatsächlich haben die Obrigkeiten insgesamt die Reformation
eher zu verhindern gesucht; das gilt gerade für Frankreich, so daß
die Verallgemeinerung der Überschrift den französischen Leser
besonders stutzig machen könnte. Im Vorwort gesteht Jochen
Martin zu, daß es Bewegungen der Reformation gebe, die man
nicht in die Kategorie „Reforme introduite par les autorites"
stellen könne. Das hatte er auch schon im Vorwort zur deutschen
Ausgabe bemerkt und auf eine Neubearbeitung gehofft. Diese
Hoffnung auf eine „version corrige" findet sich auch am Ende
des Vorwort der französischen Ausgabe.

G. H.