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Ausgabe:

1991

Spalte:

358-359

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lupieri, Edmondo

Titel/Untertitel:

Giovanni Battista fra storia e leggenda 1991

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

358

Sche Grunderzählung) mit einem hymnischen Schlußsignal (Lk
'•50a „in Generationen und Generationen") und einen Grup-
Penhymnus (Magnifikat II, 50b-55). Woher kamen die „echten"
Hymnen? Antwort, man habe in beiden Liedern von den Aoristen
auszugehen, die auf ein bereits vollzogenes Ereignis zurückverweisen
. Da für Kaut der Gedanke an christliche Tradition
ganz außerhalb jeder Erwägung liegt, plaziert er Benediktus I in
eine zelotische und Magnifikat II in eine mehr pharisäische
Gruppe, die - beidemal gleich! - vom Anfangserfolg im jüdischen
Aufstand um 66 p. Chr. n. ausgegangen seien. Wenn man
diese, beidemal als vage bezeichneten, Hypothesen verfolgen
Wl". müßte erst noch kritisch geprüft werden, ob Aufständische
dieser Jahre tatsächlich (verfrühte) Siegeslieder angestimmt
haben oder wenigstens haben könnten. Hier komme ich nicht
mehr mit. Auch die Annahme, z. B. Lk 1,48b (also die vorlukani-
sche Schicht) habe den Aufstandserfolg auf die Christologie überragen
, halte ich für unglücklich. Christologie entsteht doch nicht
arn Schreibtisch! Das reizt zu weiteren Gegenfragen:

Wenn man die Aoriste beider Hymnen nicht einfach weg-
d'skutieren will (etwa mit Gunkel als angeblich „eschatologi-
sche" Aoriste) und zugeben muß, daß sie vor Lukas christolo-
gisch gedeutet wurden, warum dann diese Umwege? Waren sie
etwa von vornherein christologisch gemeint? „Horn des Heils"
Lk 1,69, dazu noch im Aufgesang, reizt, von einem Messiashymnus
zu reden. Wenn „Aufgangaus Höhen" Lk 1,78 eine Messiasbezeichnung
für Johannes war (so auch Knaut), könnte Lukas das
Benediktus I dem Täuferlied vorgeschaltet haben, um dessen
^essianologie zu dämpfen! Das spricht rundheraus für urchrist-
'iche Schöpfungen!

2. Nicht alle linguistischen Beobachtungen werden von Kaut
Sachgemäß ausgewertet. Er beobachtet richtig, daß das Magnifikat
mit dem Einzellob beginnt und ins Gemeinschaftslob mündet
. Das geschieht allerdings bereits Lk 1,50, also einen Vers zeitiger
, als es dessen Hypothese zuläßt. Zudem ist der Übergang vom
Einzel- zum Gemeinschaftslob für alttestamentliche Tradition
das Normale, da hier das Ich des Sängers öfter das Überich (des
Königs. Priesters usw.) ist und richtig von uns mit „wir" übertragen
werden müßte. Teile von Vers 50 an Vers 51 zu binden, um
" Generationen und Generationen " zum Schlußsignal erheben zu
können, hilft wenig; denn schon 50a „sein Erbarmen (geht) auf
Generationen..." signalisiert den Übergang zum Gemeinschaftslob
! Das Corpus des Magnifikat vom Aufgesang zu trennen
ist folglich durch linguistische Signale nicht begründet!
Zudem „wachsen" Erzählungen erheblich häufiger als Hymnen!
Wenn Hymnen in einen religionsgeschichtlich fremden Bereich
-verpflanzt" werden, geschehen Veränderungen, die zu ganz erheblichen
Narbenbildungen führen. Man vergegenwärtige sich
das an Strophe 2 von „ Es ist ein Ros entsprungen" das vom katholischen
in den evangelischen Bereich transferiert und dabei bis
heute spürbar verletzt worden ist! Man wird deshalb fordern
Füssen, daß künftige Übertragungs-Hypothesen mit gewichtigeren
Argumenten begründet oder aufgegeben werden sollten. Hier
könnte die Vorsicht in der alttestamentlichen Psalmenforschung
der Gegenwart zum Vorbild genommen werden.

3. Wenn einem Forscher bei der Synthese das Überspringen
der christlichen Traditionsstufe zugunsten vorchristlicher Kreise
möglich erscheint, rechne ich mit einer Störung in der geschichtlichen
Optik, nennen wir das das religionsgeschichtliche Syndrom
, das man bekanntlich einer ganzen Bibliothek der letzten
Jahrzehnte nachsagen kann. Vor Lukas hat es mindestens vierzig
Jahre lang urchristliche Tradenten gegeben, die nicht nur in der
vagen Vermutung in Gemeindegruppen versammelt waren. Wer
das übersieht, kann bei Aoristen in Hymnen nach angeblich zelo-
•ischen oder pharisäischen Gruppen von jüdischen Aufständischen
suchen, weil er das Nächstliegende, die Christologie der
v'orlukanischen Tradenten, übersieht. Er hat methodisch den ersten
Schritt unterlassen, um einen vagen zweiten nachzuvollzie-
hen! Er kann sich offenbar nicht vorstellen, daß vorlukanische
Christen Hymnen schufen, die im einen Fall PsSal 17 nahestehen
und im anderen etwas anderen (aber doch nicht zelotischen!)
Meinungen. Zum religionsgeschichtlichen gesellt sich ein Ein-
heitssyndrom. Urchristliche Geschichte kann offenbar weder als
solche noch gar als theologisch uneinheitliche begriffen werden.
Ich frage weiter: Wenn dem so ist, kann man dann überhaupt
noch nach dem suchen, was man früher „urchristliche Tradition"
nannte? Oder schrumpft die „christliche" Aussage ein zu ge-
schichtslosen literarischen Zeugnissen?

Trotz meiner Kritik möchte ich dem Autor Dank zollen. Er hat
ja an einem brauchbaren Beispiel vorgeführt, daß Linguistik
nicht gegen tradtionsgeschichtliche Fragen immunisieren muß.
Eine heilsame Lektion an einem dafür brauchbaren Stoff! Denn
die luk. Kindheitsgeschichte läßt sich nicht anders als „gewachsene
" Einheit verstehen, auch wenn man dem Schriftsteller
Lukas erheblich mehr als Kaut zuzutrauen bereit ist.

Borsdorf Gottfried Schille

Lupieri, Edmondo: Giovanni Battista fra Storiae Leggenda. Bres-
cia: Paideia 1988. 476 S. 8"= Biblioteca di Cultura Religiosa,
53. Kart. L 45 000.

Lupieri, Edmondo: Giovanni Battista nelle tradizioni sinottiche.
Brescia: Paideia 1988. 126 S. 8°=Studi Biblici. 82. L 13000.

Johannes dem Täufer hat sich in jüngster Zeit die Aufmerksamkeit
der Neutestamentier verstärkt zugewendet: die beiden
Monographien des an der Turiner Universität lehrenden Vf.s
sind also von besonderer Aktualität.

Die in der Reihe „Biblioteca di cultura religiosa" erschienene,
umfangreiche Untersuchung beschäftigt sich im ersten Hauptteil
mit der Darstellung des Täufers in den Quellen des 1. Jh.s n. Chr.
Hinsichtlich der Evangelien werden die jeweiligen Täuferbilder
redaktionsgeschichtlich nachgezeichnet. So betont L. für Markus
u. a. die Vorläuferbedeutung des Johannes in seinem Leiden und
Sterben und die Abhebung der Jesusjünger von den Johannesjüngern
. - Bei Lukas bemerkt L. eine starke Christianisierung des
Täufers, der den Übergang zur neuen Zeit und deren Anfang
(16,16) repräsentiert und „vorzeitiger Christ" („cristiano ante
litteram" S. 65) ist. Die weitere Feststellung, daß Johannes für
Lukas Vertreter eines Judenchristentums sei, das das Kommen
des Geistes noch erwarte, läßt sich jedoch mit Apg 19,2 nicht
schlüssig belegen. - Matthäus vermeidet eine Christianisierung
des Täufers, stellt ihn vielmehr als letzten Propheten dar, dessen
Wirken in Jesus Erfüllung findet. - Bei Josephus. Ant. 18,116-
119, vermutet L. den Einfluß von Traditionen einer palästinischen
Täufergruppe um den Einsiedler Bannus, dessen Schüler
Josephus einige Zeit war. Diese Traditonsvermittlung ist jedoch
fraglich, da sich Bannus durch seine tägliche und mehrfache
Selbsttaufe von Johannes wesentlich unterscheidet (vgl. Vita
2,110- - Für das Täuferbild des vierten Evangelisten wird die
Prägung durch die Auseinandersetzung mit Täuferjüngern herausgearbeitet
. L. zeigt auch deutlich, daß 3,22ff Konstruktion des
Evangelisten ist und daß die in 4,2 erfolgende Korrektur in 1,33b
und 7,39 begründet ist. - Am Schluß des ersten Hauptteils wird
das über Johannes den Täufer historisch zu Ermittelnde festgehalten
. In diesem Zusammenhang wird die Täuferanfrage (Matth
11,2ff par. Luk 7.18ff) als Gemeindebildung bewertet: die grundlegende
Studie von W. G. Kümmel bleibt dabei leider unberücksichtigt
. - Der abschließende Passus über das Täuferbild in der
Gnosis, den Pseudoclementinen, im Koran und bei den Samari-
tanern leitet zum zweiten Hauptteil über, in dem die Bedeutung
des Täufers bei den Mandäern untersucht wird.