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Ausgabe:

1991

Spalte:

356-358

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kaut, Thomas

Titel/Untertitel:

Befreier und befreites Volk 1991

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

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1972, 121-129), in denen die jüdische Komponente derGnosis
(belegt durch alttestamentliche und rabbinische Zeugnisse) kräftig
herausgestellt wird.

In der Reihe der Paulusstudien werden zunächst Arbeiten
noch einmal vorgelegt, die bereits bei ihrer Veröffentlichung Beachtung
fanden: „Der Katechon" (293-311 = NTS 9, 1962/63,
267-291) sowie drei Festschriftbeiträge mit Exegesen umstrittener
Stellen: „Die Vision des Paulus im Tempel in Jerusalem"
(91-102 = Verborum Veritas, FS G. Stählin, Wuppertal 1970,
113-124) über Act 22,17-21; "Paulus als Pharisäer nach dem
Gesetz "(103-113 = Treue zur Thora, FS G. Härder, Berlin 1977,
54-64) über Phil 3, 5-6; „Fleischliche und geistliche Christuserkenntnis
" (114-128= Th Beitr 14,1983, 167-179, FS O.Michel)
über 2Kor 5,16. Zwei weitere Beiträge bieten exegetische Fundierung
aktueller kirchlich-theologischer Auseinandersetzung: „ Die
heilsgeschichtliche Rolle Israels bei Paulus" (312-337 = Theol
Beitr. 9, 1978, 1-21) und „Der biblische Hintergrund der pauli-
nischen Gnadengaben" (252-274 - New Perspectives on Ancient
Judaism 2, London 1987).

Als Höhepunkt des Bandes könnte man die noch unveröffentlichten
Paulusstudien ansehen. Der Aufsatz „Der fleischliche
Mensch und das göttliche Gesetz" (129-196) richtet sich gegen
eine antinomistische Interpretation der paulinischen Gesetzestheologie
, verweist auf wenig beachtete Bezüge zu Gen 4,7; 6,6
und Ex 32 an den einschlägigen Stellen und ordnet die Frage des
Gesetzes der Adam-Christus-Relation zu. Der Beitrag „Die
Übertragungen von Jes 53 (LXX, Targum) und die Theologia
crucis bei Paulus" (197-216) stellt die Rezeption dieses Komplexes
bei Paulus als Kontrast zu den Targumen, aber in Nähe zur
LXX dar. Die Arbeit „Das Mahl des Herrn bei Paulus" (217-
250) hält mit guten exegetischen Gründen an der Authentizität
der Einsetzung durch Jesus und am Passacharakter, der auch von
der urchristlichen Gemeinde durchgehalten wurde, fest und betont
auch hier die Prägekraft von Jes 53.

Im Alter werden die Konturen schärfer. Grundentscheidungen
, vor allem hermeneutischer und theologischer Art, treten
deutlicher heraus.2 Im Vortrag auf dem Wiener Theologenkongreß
1981 (im vorliegenden Band 407-424) über die traditionsgeschichtliche
Exegese (so nennt er die eigene, den Traditionsprozeß
vom Alten zum Neuen Testament nachzeichnende Position)
als Beitrag zur theologischen Toleranz mit seiner scharfen Abgrenzung
gegen den „Mischmasch von religionsgeschichtlichem
Irrtum und formgeschichtlicher Gewalt" (411) kann er nahe bei
Martin Kähler formulieren: „Die Differenz zwischen dem irdischen
Jesus und dem kerygmatischen Christus ist gering" (419).
Eine Art Anwendungsfall bietet die abschließende Studie über
das Gnadenamt des Apostels Paulus und des Jüngers Johannes
(447-465 = Martyria, FS P. Beyerhaus, Wuppertal 1989, 72-82),
wo ähnlich der von Theodor von Zahn vertretenen Position der
„gewandelte Eiferer" der Zebedaide Johannes, als Vf. des 4.
Evangeliums reklamiert wird - eine Sicht, die der altkirchlichen
Tradition entspricht, aber heute mehr Widerspruch als Zustimmung
finden wird.

Ordnet man die Lebensarbeit, deren Querschnitt in den Beiträgen
der beiden Aufsatzbände vor uns liegt, in das personelle
Umfeld des Autors ein, wie es durch Widmungsaufsätze und
Herausgeberschaften charakterisiert ist, so ist man geneigt, von
einer neuen Tübinger Schule zu sprechen, wäre dieser Begriff
nicht vom vorigen Jahrhundert her bereits doppelt - durch Ferdinand
Christian Baur und Johann Adam Möhler - besetzt. Die
Gemeinsamkeit neutestamentlicher Arbeit, die den Vf. dieser
Studien mit Martin Hengel, Peter Stuhlmacher und Otfried Ho-
fius verbindet, hat unverwechselbare Wesenszüge: das Eintreten
für die Zusammengehörigkeit der beiden Testamente, die Präsenz
des Judentums, die zentrale Stellung der Versöhnungslehre
und die Kritik an der Kritik. Über Otto Michel und Adolf Schlatter
reichen die Wurzeln zurück bis zu den Schwabenvätern.3 Tübingens
Neutestamentier haben die Theologie in Deutschland im
letzten Drittel des Jahrhunderts mitgeprägt. Otto Betz hat in diesem
Quartett seine unverwechselbare Stimme. Möge sie auch ferner
gehört werden.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

1 Nicht alle opera minora der letzten Jahre haben Eingang gefunden. So
vermißt man: Jesus und die Zeloten. Zur Perikope von der Kaisersteuer
Mk 12, 13-17, in: P. Beyerhaus - W. Künneth, Gewalt in Jesu Namen?
Bielefeld 1987, 30-45; ferner: Der gekreuzigte Jesus, unsere Weisheit und
Gerechtigkeit. Der alttestamentliche Hintergrund von 1 Kor 1 -2, in: FS E.
Ellis, Tübingen 1988, 195-215.

2 In populärer Form: Wie verstehen wir das Neue Testament? Gladbeck
1981; vgl. schon früher: Wie legen wir das Neue Testament aus? Wuppertal
1961.

3 Signifikant das Zitat F. Chr. Oetinger, S. 131, Anm. 7.

Kaut, Thomas: Befreier und befreites Volk. Traditions- und redaktionsgeschichtliche
Untersuchung zu Magnifikat und Benedik-
tus im Kontext der vorlukanischen Kindheitsgeschichte.
Frankfurt/M.: Hain 1990. VII, 350 S. gr. 8°= Athenäum Mono-
grafien: Theologie. Bonner Biblische Beiträge, 77. geb. DM
88,-.

Die vorliegende, 1987/88 in Bonn als Dissertation angenommene
Arbeit wurde auf Anregung von G. Lohfink bei H. Merklein
gearbeitet. Sie gehört in den Kreis linguistischer Studien und
versucht, in die traditionsgeschichtliche Diskussion einzugreifen
, wobei methodisch unterschiedlichste Wege genutzt werden.
Die luk. Kindheitsgeschichte als ein gewachsener Komplex empfiehlt
sich diesem Ansatz. Daß der deutsche Sprachduktus nicht
immer bewältigt ist (272 Anm. 25 besetzt ein einziger Satz fast
eine engbeschriebene Seite!) und linguistische wie grammatikalische
SpezialWörter, besonders in Ein- und Überleitungen, auf
den Leser herabhageln, möge man der Anfangsarbeit zugutehalten
. Druckfehler sind selten. Was die Siglen S. 288f. Anm. 115
und 116 bedeuten, habe ich nicht herausgefunden; vielleicht verdanken
sie sich einer unverstandenen Umsetzung ursprünglich
griechischer Vokabeln.

Die Studie widmet sich zwei Themenblöcken, die in nahezu
gleichbreiten Abschnitten (anders die Gliederung!) behandelt
werden, der Komposition der luk. Kindheitsgeschichte (15-172)
und den luk. Hymnen (173-327). Als ältester Bestandteil der luk.
Kindheitsgeschichte gilt eine Täufergeschichte, deren Zielpunkt
der täuferische Hymnus (Vielhauer) Lk 1,76-79 (hier Benediktus
II genannt) sei. Eine im ganzen vorlukanisch-christliche Schicht
habe diese im Blick auf den größeren Jesus erweitert. Hierher gehöre
die Ankündigung der Geburt Jesu, die Besuchsszene Marias
bei Elisabeth (mit dem ursprünglichen Elisabeth-Lied Lk 1,46-
50a ohne 48b), der mit Lk 1,48b das Lied für Maria abgenommen
worden sei, ferner die Geburtsgeschichte Jesu samt der Simeon-
Hanna-Episode. Dagegen sei die Erzählung vom Zwölfjährigen
eine von Lukas nachgetragene selbständige Einheit. Die im gegenwärtigen
Text dieses Stoffes erkennbare doppelte Pointe wird
mit Hilfe linguistischer Einsichten aus der Traditionsgeschichte
erklärt. Ursprüngliche Pointe war hier die Wendung Lk 2,49 vom
Haus des Vaters.

Bei den Hymnen rechnet Kaut jeweils mit mehreren Liedern.
Vor der täuferischen (literarischen) Einheit Lk 1,69ff (Benediktus
II) habe man mit einer ursprünglich selbständigen Einheit (Benediktus
l, Lk 1,68-75) zu rechnen, einem Hymnus. Ähnlich zerfalle
das Magnifikat in eine literarische Einheit (I), das Lied einer
Einzelsängerin (Kaut denkt an Elisabeth. und die täuferi-