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Ausgabe:

1991

Spalte:

354-356

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Jesus, der Herr der Kirche 1991

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

354

•0,46-12,44; 14,1-16,8). In diese seien vier Lehrszenen eingeschoben
(4,1-34; 7,1-23 [163: 6,53-7,23]; 9,30-10,45; 13,1-
37), die alle das Thema der nichtöffentlichen Jüngerunterwei-
Sung enthalten, deren erste und letzte stark den Bildkreis des
Sehens und Hörens beanspruchen und die insgesamt den Platz
des Chores im hellenistischen fünfaktigen Drama einnehmen.
Der Mk-Aufbau ist damit zwar ungewöhnlich (und für mich -
auch abgesehen von den Abgrenzungen - in der hier vorgenommenen
Unterscheidung "narrative - teaching" nicht einleuch-
tend) bestimmt, aber der zeitgenössische Leser hätte diesen Aufbau
des Werkes "readily" erkannt (127). Die anschließende,
einer "holistic interpretation" (133) verpflichtete und an traditionsgeschichtlichen
Fragen wenig interessierte Analyse von
4,11 f und seiner Kontexteinbindung (Kap. 5) bewegt sich in Einzelheiten
häufig in vorgezeichneten Bahnen. Die Vfn. setzt folgende
Akzente: Für die Komposition 4,1-20 (-34) verweist sie
C33ff) auf ein "prophetic/apocalyptic pattern" (Vision oder
Won: V. 1-9; Mißverständnis bzw. Frage: V. 10; Tadel: V. 13;
Erklärung: V. 14ff) sowie auf das rabbinisch-didaktische Modell
der öffentlichen Lehre und privaten Erläuterung; das Schema
wird durch V. 11 f als erster Teil des doppelten Tadels (vgl. V. 13)
n'cht durchbrochen, vielmehr halten diese Verse die Gleichnisse
•n Mk 4 zusammen, verleihen ihnen "an apocalyptic flavour"
und fordern die Adressaten auf zu verstehen: Das Kommen der
Basileia steht bevor und ist sicher (136f. 1530- In den Schlußka-
Piteln werden die Ergebnisse gebündelt. Die zentrale Bedeutung
v°n 4.11 f Tür das MkEv werde zudem daran ersichtlich, daß einander
verwandte Perikopen sich auf die Verse zurückbeziehen
<vgl- o. zu Kap. 4), d ie so wie ein Orakel in der griech.-röm. Literatur
den Gang der weiteren Erzählung ansagen (1640- Alles,
Worte und Taten Jesu (Jes 6,9f stehe auch hinter 8,17f: 91), die
Schriften und die Ereignisse in der Zeit der Adressenten, habe
e'ne tiefere Bedeutung, müsse glaubend und verstehend „gesehen
" und „gehört" werden (Kap. 6). Das MkEv sei Teil des Lehr-
materials des Evangelisten, den B. nicht nur als Missionar und
Lehrer, sondern auch als Schriftgelehrten und "scholar" bezeichnet
, entstanden in tiner soziologisch als Sekte beschreibbaren
Gruppe (170.229 A 26), die allerdings für - gerade auch durch die
esoterischen Elemente des Werkes ansprechbare - Außenstehende
offen war (Kap. 7).

Von ihrem Interpretationsansatz her belegt die Vfn. erneut,
daß 4,1 lf keineswegs ein fremdes Element im MkEv darstellen,
sondern auf das Gleichniskap. und das ganze Werk bezogen sind.
Doch zögert sie. sich der an Boden gewinnenden Auffassung, V.
1 '(0 sei eine redaktionelle Bildung, anzuschließen, weil sie V.
'0-12 als eine Chrie ansieht und deshalb ein traditionelles Lo-
gion vermutet (140f. 154 mit A 85; vgl. schon 25ff). Hier erweist
sich an einem Detail, wie leicht der durchaus anregende Versuch,
d'e sog. „Parabeltheorie" und das ganze MkEv im Licht "of
Graeco-Roman reading. education. and rhetoric" zu interpretie-
ren (175), zur Verengung des Blickwinkels führen kann. Die
durchgehenden Verweise auf Sach- und Strukturparallelen in der
hellenistischen (einschließlich der jüdischen) Literatur sind
interessant, verdienen z.T. weiter verfolgt zu werden, fordern
aber auch nicht selten zum Widerspruch heraus. (Ähnelt z. B. das
Gleichniskap. in seiner "overall structure" wirklich der Sammlung
von Aussprüchen in griech.-röm. Biographien [so 140f.
'54]) Wer es unternimmt, aus der Perspektive der ursprünglichen
Adressaten heraus das MkEv zu betrachten, steht in einer Gefahr
. der mir B. mehr als einmal erlegen zu sein scheint: Über die
^ezipienten. ihren vermutlich nicht allzu geringen Bildungsgrad
"ur B. genügt: "moderately educated" [42]) und eine Vorstellung
v°n dem. was solche Leser/Hörer vermeintlich wahrgenommen,
(wieder)erkannt hätten (oder'doch haben könnten: vgl. z.B.
44.127.129.135.166.175). wird recht viel in den Text eingetragen
, nicht aber von konkreten, die exegetische Phantasie vorab

zügelnden Textbeobachtungen ausgegangen. Damit soll nicht bestritten
werden, daß der Evangelist die "literary and educational
Conventions" seiner Zeit (45) kannte und von ihnen beeinflußt
ist. Doch entbindet diese generelle Annahme nicht von der Notwendigkeit
, solche Einflüsse am Text plausibel aufzuzeigen. Das
dürfte der Vfn. jedenfalls für die Behauptung, in " plot and structure
" gleiche das MkEv einem hellenistischen Bühnenstück (vgl.
im deutschen Sprachraum F. G. Lang, ZThK 74, 1977, lff, mit
anderer Abgrenzung der „Akte"), es eigne sich deshalb formal
zur öffentlichen Aufführung, was wiederum zu seinem Sitz im
Leben in der Missionsverkündigung passe (175, vgl. 66), nicht gelungen
sein.

Münster Jens-W. Taeger

Betz, Otto: Jesus. Der Herr der Kirche. Aufsätze zur biblischen
Theologie II. Tübingen: Mohr 1990. VIII, 516 S. gr. 8°= Wissenschaftliche
Untersuchungen zum Neuen Testament, 52.
geb. DM 188,-.

Mit einem Abstand von drei Jahren ist auf die Veröffentlichung
des ersten Bandes der gesammelten Aufsätze von Otto
Betz ein zweiter gefolgt. Erst mit ihm wird die Breite und Vielgestaltigkeit
eines Lebenswerkes erkennbar, das sich vorzugsweise
in der Form der knappen, materialreichen Studie darstellt.1 Für
einen Theologen, dem die Orientierung an Jesus zentrales Anliegen
ist, erscheint es angemessen, dies ein zweites Mal im Titel des
Buches zum Ausdruck zu bringen. Nach dem Band „Jesus der
Messias Israels" in dessen Beiträgen die Linien vom Alten Testament
und dem Frühjudentum zum synoptischen Jesus gezogen
werden, liegt nun das Gegenstück vor: „Jesus, der Herr der Kirche
" in dessen Mitte Arbeiten zur Theologie und Biographie des
Paulus stehen, flankiert von Untersuchungen, die das zeitgeschichtliche
Umfeld der urchristlichen Botschaft beleuchten.

Die erste Gruppe der ausgewählten Stücke erinnert daran,
daß Otto Betz nicht nur zu den Qumranologen der ersten Generation
gehört, sondern auch zur kleinen Zahl jener Gelehrter,
die sowohl zur Interpretation der Texte von Qumran als auch
zur Erforschung der Gnosis im Anschluß an die Nag-Hammadi-
Funde wichtige Beiträge geleistet haben. Ansonsten erscheinen
Qumranisten und Nag-Hammadisten eher als getrennte Familien
. Die fünf Aufsätze über Qumran gehören der Mehrzahl
nach den frühen Jahren zu, jedoch sind drei von ihnen 1989
durch aktualisierende Postscripta ergänzt worden: „Der heilige
Dienst in der Qumrangemeinde und bei den ersten Christen"
(3-20 = RechBibl 4, 1959, 162-202); „Die Proselytentaufe der
Qumrangemeinde und die Taufe im Neuen Testament" (21-48
= RQ 1, 1958/59, 213-234); „Zungenreden und süßer Wein.
Zur eschatologischen Exegese von Jes 28 in Qumran und im
Neuen Testament" (49-65 = FS H. Bardtke, Berlin 1968,
20-36); "The Eschatological Interpretation of the Sinaitradition
in Qumran in the New Testament" (66-90 = RQ 6, 1964/
65, 89-108); „Göttliche und menschliche Gerechtigkeit in der
Gemeinde von Qum ran und ihre Bedeutung für das Neue Testament
" (275-292 - FS H. H. Schrey, Darmstadt 1982, 1-18).
Durchgängig gilt: Betz liest die qumranischen Texte mit den
Augen des Bibeltheologen, für den die Schriftauslegung der
Sekte das Entscheidende ist.

Unter der Überschrift „Gnosis" sind drei Stücke vereint: ein
Überblick über den Forschungsstand seit der Entdeckung der
Texte von Nag Hammadi (361-395 = VuF 1976, 2, 46-80). wo
vor allem deutschsprachige und auf das Neue Testament bezogene
Beiträge vorgestellt werden und die beiden am besten komplementär
zu lesenden Aufsätze „ Was am Anfang geschah " (341 —
360 - Abraham unser Vater, FS O. Michel, Leiden 1964, 24-43)
und „Der Name als Offenbarung des Heils" (396-404 = JIJT