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Ausgabe:

1991

Spalte:

339-343

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Islamische Kultur, zeitgenössische Strömungen

Titel/Untertitel:

Volksfrömmigkeit 1991

Rezensent:

Lohmann, Theodor

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339

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 5

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gie. Ausführlich befragt er biblische Texte auf ihr Zeugnis vom
kosmischen Christus hin. Dabei spielt die Lehre von der Sophia
eine Rolle. Der volkstümlichen, exklusiven Fassung der Geschichte
vom kosmischen Christus stellt er eine inklusive Fassung
an die Seite, in der die Erkenntnisse historischer Forschung
berücksichtigt werden. Zur Klärung des „Christus-Mythos"
zieht der Vf. Tillichs Theologie heran. Ein ganzes Kapitel ist der
Frage gewidmet, ob der historische Jesus Gott, zweite Person der
Trinität, sei. Der Vf. bemüht das Denkmodell der Partizipation,
führt die Dogmengeschichte an wichtigen Stellen als Beispiel an,
bis zum (mit k geschriebenen) Extra Calvinistikum. Der Gnosis
wird Platz eingeräumt, und dann der Anthroposophie Steiners.
St.s Deutung der beiden Jesus-Knaben bringt der Vf. eigentümlicherweise
gerade nicht mit einem Beharren auf dem Wortlaut
von Bibeltexten (Stammbäume) in Zusammenhang, doch ist die
Gesamtdarstellung zutreffend.

Das vierte Kapitel ist der Trinitätsdarstellung gewidmet. Hier
versucht der Vf., christliche Überlieferung einsichtig zu machen,
indem er Mißverständnisse ausräumt und die Besonderheiten
der göttlichen Personen erörtert. Universalität - Personalität -
Lebendigkeit geben den Rahmen, innerhalb dessen christliche
Gottesvorstellungen einsichtig gemacht werden sollen. Sehr
knapp fallen Bemerkungen zu den Triaden in der Religions- und
Philosophiegeschichte aus.

Die zweite Hälfte des Buches geht der Frage nach, wie der kosmische
Christus zur Natur stehe, welche Rolle er in der Menschheit
spiele und wie er im Horizont der Religionen zu sehen sei.
Überlieferungen vom Schöpfungsmittler erlauben es dem Vf.
nicht, den Christus lediglich existential zu deuten. Die Briefe an
die Kolosser und Epheser, der Aquinate, A. D. Müller und Teil-
hard de Chardin sind des Vf.s Zeugen für die Einbeziehung der
Natur in die Christologie, ohne daß die Linien bis zur Ökologie
ausgezogen werden. In der Geschichte der Menschheit sieht der
Vf. zwei extreme Deutungen: entweder wirkt der Christus exklusiv
unter entschiedenen Christen, oder, mit Loisy und E. v. Hartmann
, erscheint der Christus als Repräsentant der Menschheit
schlechthin. Dazwischen versucht der Vf., seine Position zu bestimmen
mit dem Symbol der Schwestern und Brüder Jesu, des
„Christus in uns", der Manifestationen des „Neuen Seins". Meister
Eckhart und seine Schüler stehen hier Pate, Jungs Position
wird kritisch dazu erörtert. Auf das letzte Kapitel und seine Fragestellung
läuft das ganze Buch hinaus. Joh 14,6 wird inklusi v gedeutet
. Mit den Grundmodellen der „Steigerung" und des „Universalismus
" wird versucht, außerchristliche Religion am Heil
partizipieren zu lassen; Panikkar, Mann, Takizawa werden
zitiert - für den weiten Leserkreis ohne nachdrückliche Begegnung
mit fremder Religiosität sicher eine geeignete Basis zum
Nachdenken. Wen die Schicksalsfügung intensiv außerchristliche
Religion erfahren läßt, der braucht im weiten Kreis der Gemeinde
die Schar der Gelassenen, Getrosten, der zum Frieden
Gekommenen. Dieser Schar dient das vorliegende Buch.

Rostock Peter Heidrich

Schimmel, Annemarie u.a.: Der Islam, III. Islamische Kultur -
Zeitgenössische Strömungen - Volksfrömmigkeit. Von M.D.
Ahmed, J. C. Bürgel, K. Dilger, K. Durän, P. Heine, T. Nagel,
B. S. Amoretti, A. Schimmel, W. Walther. Stuttgart-Berlin-
Köln: Kohlhammer 1990. XII, 486 S. gr. 8°= Die Religionen
der Menschheit, 25,3. Lw. DM 132,-.

Nunmehr ist auch der III. und letzte Band der Darstellung des
Islams in der von Christel Matthias Schröder begründeten und
von Peter Antes, Hubert Cancik, Burkhard Gladigow und Martin
Greschat fortgeführten und herausgegebenen Reihe „Die Religionen
der Menschheit" (Bd. 25,3) erschienen. Im Unterschied

zu den beiden vorangegangenen Bänden, an deren Abfassung nur
je zwei Gelehrte beteiligt waren, ist der III. Band, für den insgesamt
neun Wissenschaftler verantwortlich zeichnen, „ein Spiegelkabinett
nicht nur des Islams, sondern auch der Islamkund-
ler" (Vorwort von A. Schimmel, XII). Dieser Tatbestand hat
notwendigerweise eine gewisse Uneinheitlichkeit in Stil und Gestaltung
zur Folge. Auf den beiden vorhergehenden Bänden, die
ausschließlich dem klassischen Islam gewidmet waren, aufbauend
, trägt dieser III. Band insbesondere den modernen Ideologien
, der zeitgenössischen Rechtsentwicklung des Islams, seinen
Sekten, seiner Mystik und Volksfrömmigkeit sowie seinen
kulturellen Aspekten und seinen Auswirkungen auf Europa
Rechnung. Dabei ist man sich völlig im klaren, daß der Islam -
wie übrigens jede andere Religion - keine monolithische Größe
ist, und daß man lediglich in der Lage ist, ein der Wirklichkeit des
Islams einigermaßen entsprechendes Bild zu zeichnen.

Tilman Nagel (Universität Göttingen) eröffnet die Darstellung
mit dem Thema „Theologie und Ideologie im modernen Islam"
(1-59), wobei erden Versuchen führender Köpfe der islamischen
Geistesgeschichte im späten 19. und frühen 20. Jh. nachgeht, den
Islam nach jahrhundertelanger Erstarrung einerseits durch den
Glaubenseifer der Massen, durch Freimachung von aufgehäufter
Gelehrsamkeit und durch selbständige Interpretation von Koran
und Sünna, andererseits durch Auseinandersetzung mit den Errungenschaften
Europas und deren nutzbringender Übernahme
seitens der Herrschenden zu reformieren und zu erneuern. Dabei
wird hauptsächlich auf die Vorläufer und Bahnbrecher des Reformismus
(Muhammad ibn Abd al-Wahhab, Dschamal ad-Din al-
Afghani) sowie die Anhänger der Salafiyya (insbesondere Muhammad
Abduh, Muhammad Raschid Rida) und den Gründer
der Moslem-Bruderschaft (Hasan al-Banna) eingegangen, während
- mit Ausnahme von Muhammad Iqbal - die Reformer Indiens
(z. B. Sayyid Ahmad Chan) und der Türkei (z. B. Ziya Gök
Alp, Mustafa Kemal Atatürk) merkwürdigerweise keine oder nur
geringe Erwähnung finden.

Einen ausgezeichneten Überblick vermittelt Konrad Dilger
(Hamburg) über „Die Entwicklung des islamischen Rechts"
(60-99; vgl. Bd. I, 233ff). Diesem im Vergleich zur Dogmatik
einen bedeutenderen Stellenwert einräumend, werden zunächst
die Grundlagen des islamischen Rechts (insbesondere Rechtsquellen
und Rechtsschulen), dann Familien- und Erbrecht, Vermögens
- und Strafrecht dargestellt, wobei der Vf. es glänzend versteht
, in klarer Sprache und kürzester Form auf die Vielgestaltigkeit
der Rechtslage in den einzelnen islamischen Ländern
in Theorie und Praxis einzugehen sowie das Bestreben nach
eigenen Lösungen der Anwendung islamischen Rechts und die
Methoden der Anpassung desselben an die modernen Lebensverhältnisse
europäischer Länder aufzuzeigen.

Ein weiterer Beitrag von Biancamaria Scarcia Amoretti (Rom)
- aus dem Italienischen übersetzt von Peter Antes und Peter
Heine - behandelt „Die historische Entwicklung der Sekten im
Islam" (100-156). Mit Recht wird den Ausführungen eine Klärung
des Begriffes „Sekte" vorangestellt, da dieser im Islam eine
ganz andere Bedeutung zukommt als im Christentum, das von
der Unterscheidung zwischen „Orthodoxie" und „Häresie" im
Hinblick auf dogmatische Lehrmeinungen geprägt ist, während
im Islam die Frage nach der rechtmäßigen Nachfolge des Propheten
als Leiter der Gemeinde im Vordergrund steht. Der Vf. gibt
einen guten, bis in Einzelheiten gehenden Überblick über die
Entwicklung der islamischen Sekten angefangen von der Übernahme
des Kalifats durch Ali (656-661) und der sich von ihm
trennenden Charidschiten (vgl. Bd. II, 1 ff) über die Regionalisie-
rung und Staatsbildung solcher Gruppen (9./10 Jh.), die Entstehung
der verschiedenen Bruderschaften und halbunabhängigen
schiitischen Dynastien (15.-18. Jh.) bis hin zu den Bewegungen
und weiteren Abspaltungen in der vorkolonialen Zeit und Kolo-