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Ausgabe:

1991

Spalte:

308

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Theodizee - Gott vor Gericht? 1991

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Seite 1

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307

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang Nr. 4

308

Judaism, wird dann in Anlehnung von Rom 8,1 ff mit der Möglichkeit
gespielt: „Dann würden die Tora und der Christus Jesus zusammengerückt
zu einem geeinten Subjekt der Befreiung" (278).
Faktisch wird die Person Jesu Christi verschiedenen geschichtlichen
Manifestationen untergeordnet, und damit wird sie auf eine funktionale
Bedeutung zurückgenommen, z B: „Die Tora bleibt also
auch in und nach dem Tode Christi das Gesetz der Bundesbeziehung
. Nur ist mit dem Tode Christi eine weitere, offenere Betätigungsmöglichkeit
des Gesetzes aufgebrochen ..." (200) oder: „Jesus
interpretiert den Gott, der an die Zeugungen Israels gebunden
ist..." (210).

Man wagt kaum, das Zitierte im Blick auf naheliegende Vorbilder
neuerer Geschichte zu entfalten. Aber es geht auch gar nicht um
historische Entsprechungen, sondern um dogmatische Grundlagen,
und hier zeigt sich unbestreitbar, daß eine wie auch immer bestimmte
Wirklichkeits- und Welterfahrung zum dogmatischen Prinzip
erhoben und an die Stelle des Wortes der Heiligen Schrift getreten
ist.

4. Diese Christologie, soweit sie in diesem Band die Grundlagen
darstellt, ist nicht eine Entfaltung, sondern eine Auflösung des Christusbekenntnisses
, und zwar sowohl nach den biblischen Grundlagen
wie auch nach dem Glauben der christlichen Gemeinde. Allerdings
, und dies sei noch einmal betont, ist dies die Konsequenz von
dogmatischen Entscheidungen und Voraussetzungen, die in unserer
heutigen Theologie weithin und völlig unreflektiert in Geltung stehen
. Darum ist ein Vorzug dieses Buches darin zu sehen, daß dies
in einer unübersehbaren Weise deutlich wird. Das erklärte Anliegen
des Vf. besteht darin, den unauflösbaren Zusammenhang von Kirche
und Judentum herauszustellen, wie das durch Jesus, den Juden,
vertreten und in ihm erkennbar werden soll. „Das Verhältnis vom
Neuen zum Alten Testament ist nichts, wenn es nicht reale geschichtliche
Partizipation zwischen Juden und Christen stiftet"
(162). Nun mag die Vergangenheitsbewältigung eine bedrängende
Aufgabe sein, aber es ist doch in jeder Hinsicht verfehlt, wenn zur
Bewältigung des geschichtlichen Phänomens des Antisemitismus
das ganze heilsgeschichtliche Thema des Israel nach dem Fleisch
und nach dem Geist auf die Bewältigung menschlicher, nationaler
und rassischer Widerwärtigkeiten umgebogen wird. Es ist dann kein
Wunder, wenn in einer m. E. falschen Auslegung von Rom 1-3 und
4,12ff die menschheitliche Sündenverfallenheit ausdrücklich bestritten
und aufgehoben wird: „So wahrt Paulus die theologische
Fundamentaldifferenz der biblischen Ontologie in seinem Sprechen
von Gottes Zorn und der Menschen Sünde. Alle sündigen. Aber
nicht sündigen alle gleich, sondern auf eine unverwechselbare Weise
, je verschieden, nach ihrem verschiedenen Verhältnis zu Gott.
Soweit geht die Differenz: Nicht einmal im Sündigen sind alle Menschen
gleich ..." (195). Wenn so im Blick auf die Juden und gegen
alle Offenbarung wie Erfahrung die Treue Gottes zu seinem Wort
in ihrem Gegensatz zur menschlichen Untreue umgebogen wird auf
eine verschiedene Wertigkeit im Sündigen, dann kann man das nur
noch damit erklären, daß sämtliche theologische Grundlagen aufgegeben
sind.

Der sich darin abzeichnende Humanismus, der an einer Menschlichkeit
des Menschen orientiert ist, hat sein Gegenstück in der bisher
noch nicht erwähnten Einleitung „Christus peregre proficiscens
- Jesus außer Landes (Mt 25,14)". Hier wird die ebenso bekannte
wie falsche These von den verschiedenen Heilswegen auf „nichtchristliche
Verständnisse Jesu" „bei Juden, Moslems, Buddhisten
und Hindus, Philosophen und Sozialisten" ausgedehnt. Die Zufälligkeit
der Auswahl und die Unzuverlässigkeit der Darstellung eines
komplizierten Materials auf diesen Seiten interessiert dabei weniger
als der dogmatische Grundgedanke, der darin besteht, ein verbindendes
Element bei allen religiösen Differenzen in dem Interesse an
der Menschlichkeit vorzuführen. Es ist kein Wunder: wenn alles,
was das Zeugnis der Schrift und die Lehre der Kirche von der Präexistenz
und Schöpfungsmittlerschaft des Logos, von der kosmischen
Herrschaft des Gekreuzigten und Auferstandenen und von
dem Gericht über alle Welt des Wiederkommenden bezeugt, schon
im Ansatz weggewischt wird wie z. B. mit der nur Unverständnis
offenbarenden Bemerkung, „eine Wiederholung der alten Lehre
vom logos asarkos zielte'heute an der Gegenständlichkeit außerkirchlicher
Jesus-Erfahrungen vorbei" (95), dann muß man natürlich
nach bekannten Vorbildern der Theologie- und Philosophiegeschichte
eine Universalität von Menschlichem postulieren. Wohin
aber kommen wir, ja sind wir bereits gekommen, wenn auf diese
Weise gerade unter Verdrängung unterscheidender Gotteserkenntnis
das Menschliche und Natürliche zum Prinzip, zur Norm erhoben
und verehrt wird, ganz gleich, ob es jüdisch oder christlich, indisch
oder germanisch, sozialistisch oder liberal ist?

Wenn nun in Rom ll,16ff immer wieder der national-romantische
Organismusgedanke eingetragen wird, dann sei zum Schluß
wenigstens noch ein Zitat rabbinischer Auslegung angeführt. Darin
wird Gott, nicht also Israel, als „Baum des Lebens" verstanden, „in
dessen Zweigen die Seelen der Gerechten als darin ruhend/bleibend
dargestellt sind. Daher, wenn ein Israelit die Tora erfüllt, wird von
ihm gesagt, daß er am Baum des Lebens hänge" (Zohar engl. Ausgabe
. 1978. Vol. V 394, vgl. I, 106). Das ist also auch für Israel eine
Sache des Glaubensgehorsams (Rom 1,5).

Erlangen/z. Z.Jerusalem Reinhard Slenczka

Oelmüller, Willi [Hg.]: Theodizee - Gott vor Gericht? Mit Beiträgen
von C.-F. Geyer, P. Koslowski, O. Marquard, J. B. Metz, W.
Oelmüller. München: Fink 1990. 120 S. 8. Kart. DM 28,-.

Die Beiträge dieses Bandes gehen auf eine Tagung in der Evang.
Akademie Iserlohn im Jahr 1989 zurück. Als Ausgangspunkt vieler
Überlegungen zur Sache gilt oft die ungeheure Bandbreite der Benutzung
des Theodizeebegriffs: einerseits dessen Ablehnung wegen
Annahme der Nichtexistenz Gottes, andererseits dessen Anerkennung
als Inbegriff natürlicher Theologie. Die Vf. der Beiträge tragen
je aus ihrer Forschungsrichtung die neuesten Ergebnisse vor und
stellen sie zur Diskussion: Carl-Friedrich Geyer, Das Theodizeepro-
blem - ein historischer und systematischer Überblick, 9-32; Peter
Koslowski, Der leidende Gott - Theodizee in der christlichen Philosophie
und im Gnostizismus, 33-66; Willi Oelmüller, Philosophische
Antwortversuche angesichts des Leidens, 67-86; Odo Marquard
, Schwierigkeiten beim Ja-Sagen, 87-102; Johann Baptist
Metz, Theologie als Theodizee? 103-118. Einige Widmungen an
den Hg. machen den Bund zu einer Gabe zu dessen 60. Geburtstag.

M. P.

Berkhof, H.: Het Nieuws en het Nieuwe van Jezs' Opstanding (KeTh 41.
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