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Ausgabe:

1991

Spalte:

304-308

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Marquardt, Friedrich-Wilhelm

Titel/Untertitel:

Das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Juden 1991

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang Nr. 4

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dieser widmet sich das 2. Kapitel zum "Absolute Mind", womit zugleich
der Objektive Idealismus der Spätphilosophie Peirces angesprochen
ist. Damit hängt 3. die "Evolutionary Love", das kosmolo-
gische Gesetz, das es Peirce ermöglicht, den Schöpfungsgedanken
auf der Grundlage seiner universalen Kategorienlehre und Semiotik
zu entfalten, zusammen. Die erkenntnistheoretischen und existentiellen
Konsequenzen, wie sie sich im Peirceschen Pragmatizismus
entfalten lassen, und deren Grundlegung in der Ästhetik bei Peirce
sind 4. Gegenstand der Überlegungen zu "Habits and Values". Inwiefern
die lebensweltliche Praxis des Individuums wiederum jedoch
sowohl auf die Logik der Forschung als auch auf den damit
notwendig verbundenen Gottesgedanken verweist, wird 5. als "Mu-
sement" in einer Interpretation des berühmten Peirce-Aufsatzes "A
Neglected Argument for the Reality of God" dargestellt. Abschließend
unterstreicht Raposa nochmals, daß eine konsistente und kohärente
Interpretation der Peirceschen Religionsphilosophie nur im
Kontext des Gesamtwerkes zu sehen und zu leisten ist. Die Peirce-
sche Systemphilosophie muß an ihren eigenen Maßstäben und
Maßgaben gemessen und betrachtet werden, um nicht reduktioni-
stisch wahrgenommen zu werden. So drängt sich der Titel des 5.
Teiles als Ergebnis konsequenter Peirce-Interpretation auf, - die
Peircesche Religionsphilosophie: eine „Theosemiotik".

Wuppertal Marc Grünewald

1 Diese Quellenkenntnis ist eine keineswegs leichte und selbstverständliche
Anforderung, denn die textkritisch unzureichende Standardauswahl stellen
bislang immer noch die Collected Papers of Charles Sanders Peirce (Bd. I-
VI, hg. v. Ch. Hartshorne/P. Weiss, Harvard UP 1931-35; Bd. VII u. VIII,
hg. v. A. W. Burks, Harvard UP 1961) dar. Diese umstrittene Sammlung von
Peirce-Texten ist seit Anfang der 80er Jahre dabei, von den auf 20 Bänden
angelegten Writings of Charles S. Peirce - A Chronological Edition (hg. v. M.
Fisch et al., Bloomington; bisher erschienen Bd. 1: 1857-1866, 1982; Bd. 2:
1867-1871, 1984; Bd. 3: 1872-1878, 1986; Bd. 4: 1879-1884, 1989) abgelöst
zu werden. Für die wissenschaftliche Arbeit ist derzeit jedoch zumindest noch
die 1966 von der Harvard University Library besorgte Microfilm Edition, mit
der die Originalmanuskripte in Kopie vorliegen, unumgänglich. Darüber hinaus
wird man sich auch auf die 1974 von K. L. Ketner verbesserte Version
dieser Microfilm Edition stützen müssen. Der handschriftliche Nachlaß, der
ca. 80000 Manuskriptseiten umfaßt und damit lediglich den zu Lebzeiten un-
publizierten Teil darstellt, befindet sich in der Houghton Libraty der Harvard
University in Cambridge/Massachusetts.

2 "Scientific Theism" ist der Titel eines Werkes von F. E. Abbot (Boston
1885), das Peirce zweimal, zunächst recht skeptisch, später jedoch bedeutend
positiver, rezensierte. Wesentliche Grundüberzeugungen, insbesondere zur
Universalienfrage und zum metaphysischen Realismus der Wissenschaften,
die Peirce in späteren Jahren mit Vehemenz vertrat, sind durch Abbot inspiriert
und z. T. auch vorweggenommen. Das terminologische Pendant bei Peirce
lautet "Religion of Science"(s. CP 6.433).

Systematische Theologie: Dogmatik

Collet, Giancarlo [Hg.]: Der Christus der Armen. Das Christuszeugnis
der lateinamerikanischen Befreiungstheologen. Aus dem
Span, von A. Berz, G. Collet, V. M. Drasen-Segbers, H. Goldstein
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1988. 231 S. gr. 8. Pb. DM
44,-.

Das Buch enthält 12 Beiträge lateinamerikanischer Autoren aus
den Jahren 1975 bis 1984. Sie bieten einen authentischen Einblick
und Überblick über den Kern der lateinamerikanischen Befreiungs-
tehologie: die Christologie. Genauer gesagt: hier wird über die Chri-
stologie im lateinamerikanischen Kontext reflektiert, die eigentliche
lateinamerikanische Christologie selbst begegnet nach deren Selbstverständnis
in der Glaubenspraxis, der Spiritualität, der Jesus-

Nachfolge in den Basisgemeinden, im Neulesen der biblischen Geschichten
aus der Perspektive der Armen und Unterdrückten, wie
man sie in den sonntäglichen Faltblättern für die Gottesdienste in
Basisgemeinden findet.

Die christologischen Reflexionen im vorliegenden Band sind für
zwei Fragenkomplexe hilfreich: einmal für die Auseinandersetzung
mit der These der römischen Glaubenskongregation (Instruktion
von 1984), in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie sei der
Christus des Dogmas vom vermeintlichen geschichtlichen Jesus
verdrängt worden, so daß Glaube und Kirche ausgehöhlt und dem
Horizontalismus verfallen seien; und zum andern für die bevorstehenden
500-Jahr-Feiern der sogenannten Entdeckung Amerikas
(1992), bei denen die Probleme der Kolonisierung und Christianisierung
Lateinamerikas und die Frage, welches Christus- und Kirchenbild
dabei prägend war, sicherlich kritisch zur Debatte stehen
werden. Einige Beträge gehen der theologiegeschichtlichen Frage
nach (vgl. insbesondere Saül Trinidad: „Christologie - Conquista -
Kolonisierung", 23-36, und Gustavo Gulierrez: „Auf der Suche
nach den Armen Jesu Christi - Evangelisierung und Theologie im
16. Jahrhundert", 37-56). Sie zeigen, wie von der spanischen Christologie
des 16. Jh.s her vorwiegend eine Herrschaftschristologie.
ein „Christus der konstituierten Macht" den Traum eines „katholischen
Reiches" bestimmte, das von oben bis unten eine einheitliche
politische und christliche Struktur haben sollte. Die Aufsätze zeigen
ferner, wie parallel dazu, jedoch unscheinbarer, auch der „Christus
der konstituierten Ohnmacht" im leidenden Indio entstand. Damit
ist zugleich das Thema heutiger lateinamerikanischer Christologie
benannt: Welche Erfahrungen und welches erkenntnisleitende Interesse
bestimmt das Christusbild heute?

Hervorzuheben sind die Beiträge von Jon Sobrino („Die Bedeutung
des geschichtlichen Jesus in der lateinamerikanischen Christologie
, 81-106) und Leonardo Boj] („Eine Christologie von der Peripherie
her" 135-157). Beide sind mit der christologischen Debatte
in der europäischen Theologie wohlvertraut, sie würdigen sie auch
als einen vielleicht angemessenen Erkenntnisweg im jeweiligen geistesgeschichtlichen
Kontext, betonen aber nun leidenschaftlich das
Recht, aus ihrer lateinamerikanischen Perspektive des Elends und
der Unterdrückung „den Christus der Armen", den geschichtlichen
Jesus im Zeugnis der Evangelien, die Praxis Jesu in der Hingabe an
die Armen und im Opfertod am Kreuz herauszustellen. Diese perspektivische
Einseitigkeit will man konsequent durchhalten, weil sie
den Lebenserfahrungen der Basisgemeinden und dem Zeugnis der
Evangelien entspreche.

Das klassische Interesse an der Person Jesu und an den dogmatischen
Aussagen über seine zwei Naturen wird in den geschichtlichen
Ansatz integriert; aber bei den heutigen sakramentalen Christusinkarnationen
ist weniger die Institution Kirche im Blick, die
aus göttlichen und menschlichen Elementen zusammenwächst, als
vielmehr die „Kirche im Werden", die „Kirche des Volkes", die
„Kirche der Armen", die „arme Kirche". Hier liegt die Wurzel der
Kontroversen mit dem römischen Lehramt, das eine Ekklesiologie
wohl eher mit einer Herrschaftschristologie begründet.

Außer Saül Trinidad (evangelisch-methodistisch) kommen in diesem
Buch nur katholische Autoren zu Wort, doch ist deutlich, daß
die verschiedenen christologischen Optionen ihre unmittelbare Parallele
in der evangelischen Theologie haben. Die ekklesiologischen
und pastoralen Konsequenzen sind zweifellos ebenfalls eine ökumenische
Aufgabe und nicht nur eine lateinamerikanische Besonderheit
.

Bensheim Reinhard Frieling

Marquardt, Friedrich-Wilhelm: Das christliche Bekenntnis zu Jesus,
dem Juden. Eine Christologie. Bd. 1. München: Kaiser 1990. 308
S. gr. 8. Lw. DM 79,-.