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Ausgabe:

1991

Spalte:

300-303

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Raposa, Michael L.

Titel/Untertitel:

Peirce's philosophy of religion 1991

Rezensent:

Grünewald, Marc

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang Nr. 4

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stentums freigelegt zu haben vorgibt, redet er doch an dem Wesentlichen
des christlichen Glaubens, an Jesus Christus, vorbei." (147)

Um eine solche These zu erhärten, verfolgt der Vf. Feuerbachs
Entwicklung bis in sein Hauptwerk, das „Wesen des Christentums",
hinein. Dabei wird jeweils Feuerbachs Verhältnis zur zeitgenössischen
Philosophie im allgemeinen und von da seine Stellung vor allem
zur christologischen Frage zu erheben gesucht. Ansatzpunkte zu
einer Kritik an Feuerbach werden dabei von Anfang an angedeutet,
um dann besonders von S. 107 ab als Probleme breiter herausgearbeitet
zu werden. Die Sauberkeit und wohl auch Stichhaltigkeit dieser
Analysen macht das Buch sehr lesenswert für jeden, der sich mit
Feuerbach beschäftigen will, ohne ihm einfach zuzujublen, aber ohne
ihm gegenüber auch nicht ungerecht zu sein. Der Werdegang
und Höhepunkt von Feuerbachs längst nicht immer konsistenter
Philosophie entsteht so gut vor unseren Augen. Lediglich den
Schluß (138ff) hätte ich mir besonders philosophisch schärfer gewünscht
(er gerät im Gegensatz zum übrigen Buch in die Gefahr, in
theologischen Allgemcinplätzen zu argumentieren). Doch dürfte das
für das sonst gut durchdachte Buch kaum von Belang sein.

Der Inhalt gliedert sich in drei Studien. Die erste Studie „Gottmensch
im Pantheismus - Christologische Versuche in Feuerbachs
früher Hegel-Rezeption" (28ff) beschäftigt sich mit den Jahren
1824-1837 und damit mit dem Hegelanhänger Feuerbach. Feuerbachs
Abwendung von der Theologie zur Philosophie zieht fast ein
Schweigen zu christologischen Fragen nach sich. Den wenigen parenthetischen
Äußerungen Feuerbachs darüber geht der Vf. ausführlich
nach. Er sieht Feuerbach in dieser Periode als Pantheisten.
„Gott, Vernunft, Geist, Bewußtsein bilden eine Wirklichkeit. Im
Unterschied dazu kann das endliche, sinnliche, einzelne Dasein des
Menschen keine Wirklichkeit für sich beanspruchen. Der Gattung,
der Menschheit, dem menschlichen Wesen kommt sie zu." (44) Damit
kommt - noch in pantheistischer Einkleidung - der Gattung
Mensch die entscheidende Realitätssetzung zu. Dadurch wird für
Feuerbach das göttliche und das menschliche Wesen miteinander
identifizierbar, eine Identifizierung, für die dann Christus eingesetzt
wird. „Er" (Feuerbach) „versteht von spekulativ-idealistischer
Warte Christus als den Gottmenschen, das heißt als die Identität
des göttlichen und menschlichen Wesens." (50) Hier hebt der Vf.
aber gut den Unterschied zu Hegel heraus, dessen Denken nicht
einfach statisch auf dem Allgemeinen beruht wie bei Feuerbach,
sondern dynamisch das Allgemeine durch das Einzelne hindurch zu
sich selbst zurückkehren läßt. Bei Feuerbach verfestigt sich dagegen
das Allgemeine zu einer verselbständigten, vereinseitigten Gattungsmetaphysik
. „Eine derartige Verfestigung des Gattungsbegriffs
greift über Hegel hinaus." (43) „Feuerbachs allzu direkte Identifizierung
von Denken und Gattung Mensch steht aber in der Gefahr,
daß beide Begriffe, Denken und Gattung aus ihrer spekulativ-dialektischen
Verankerung sich lösen und in das Fahrwasser abstrakter
Allgemeinheit und schlechter Unendlichkeit geraten." (43)

Die zweite Studie „Gattung Mensch gegen Gottmensch - Die
Herausbildung der christologischen Grundsatzentscheidung im Zeichen
philosophischer Umorientierung" (64ff) behandelt dann die
Jahre 1838-1838. Durch D. F. Strauß' „Leben Jesu" beeinflußt
wendet sich Feuerbach jetzt vom Idealismus Hegels ab und dem
Sensualismus zu, um aber dennoch bei seiner grundsätzlich idealistisch
geprägten Gattungsmetaphysik zu bleiben. „Dieser Versuch
einer noetischen und ontologischen Begründung der Philosophie im
sinnlich wahrnehmbaren Sein involviert die Aufwertung der Sinnlichkeit
." (76) Dennoch: „Der idealistische Gattungsbegriff bleibt in
der philosophischen Umorientierung bestehen." (76) Hierbei wird
nun gezeigt, daß die neue sensualistische Position kaum mit dem
abstrakten Gattungsrealismus in Konsistenz zu bringen sein dürfte.
In dieser Hinsicht stellt der Vf. fest: „Aber auch Feuerbach selbst
stellt sich diese „Hauptfrage" nicht im echten Sinne des Abwägens
der Argumente pro und contra. Sondern er stellt ... apodiktisch fest
... Feuerbachs These weist ein axiomatisches Verständnis auf. Sie

ist für ihn nicht weiter hinterfragbar ..." (83) Vor diesem Hintergrund
kommt es jetzt in der den Vf. besonders interessierenden
christologischen Frage zu Feuerbachs „christologiekritischer
Grundsatzentscheidung" (wie sie der Vf. nennt), die alle Inkarnation
unter dem Argument ablehnt, daß kein konkretes Individuum
die Gattung als ganze in sich fassen könne: „Eine Inkarnation der
Gattung in ihrer ganzen Fülle in einer Individualität wäre ein absolutes
Wunder ... - wäre in der Tat der Untergang der Well." (77)

Die dritte Studie „Gottmensch: das Wesen des Christentums -
Feuerbachs Christologiekritik auf ihrem Höhepunkt" (87ff) beschäftigt
sich dann mit dem Hauptwerk „Wesen des Christentums"
und seinen Vorstufen. Neu ist in dieser Periode, daß das Emotionale
und der Wille, besonders aber die Libe in die Gattungsvernunft
hineingenommen werden. Vor allem aber gilt jetzt noch schärfer als
bisher, daß eine Inkarnation der Gattung in einer einzigen Person
völlig unmöglich ist, denn: „Die Existenz der Gattung unterscheidet
sich von der Existenz der Individuen .qualitativ'!"(89) Deshalb - so
hebt der Vf. immer wieder hervor - mußte sich Feuerbachs Kritik
dem spekulativen christologischen Dogma zuwenden, um es von
daher für unmöglich zu erklären, und an der tatsächlichen historischen
Person Jesu vorbeigehen, die als solche nicht für unmöglich
zu erklären ist. Ist aber so eine Inkarnation unmöglich, so muß die
Religion und ihr spezifischer Inkarnationsgedanke als eine Illusion
entlarvt werden und „genetisch-kritisch" aus dem Wesen des Menschen
abgeleitet werden. Es muß also gezeigt werden, wie es dazu
kommt, wie der Mensch sein eigenes Gattungswesen als objektiven
Gottmenschen mißverstehen kann. Weil in dieser ganzen Argumentation
Feuerbach am Vorrang der Gattung festhält, hält ihm der
Vf.s entgegen: „Wir können nun festhalten: Auch wenn Feuerbach
mit seiner „genetisch-kritischen" Methode sich von der spekulativen
Philosophie zu unterscheiden glaubt, ist er doch von dieser geprägt
und in ihr noch befangen." (101) Es folgt dann in Absatz IV
eine sehr lesenswerte Anfrage des Vf. an Feuerbach zu einzelnen
besonders wichtigen inhaltlichen Themenkreisen, die leider hier
nicht dargestellt werden kann, aber hoffentlich Beachtung finden
wird. Behandelt werden die Themenkreise Inkarnation, Offenbarung
, leidender Gott, Trinität, Christus im Widerspruch von Glaube
und Liebe.

Damit ist eine Monographie über Feuerbach vorgelegt worden,
die nicht nur sachlich informiert, sondern vor allem zum Mitdenken
anregt. Ihre Bedeutung geht weit über ihren eigentlichen Inhalt.
Feuerbachs Religionskritik, hinaus und trägt viel bei für das Problem
einer Auseinandersetzung des Christentums mit seinen Kritikern
im Anschluß an Feuerbach. Ob hier in der Freude des Vf.s am
Insistieren auf einen wirklichen, historisch-geschichtlichen Jesus
Christus die neutestamentlichen Probleme des historischen Jesus
nicht doch zu kurz behandelt sind und dabei dem Idealismus in to-
to nicht doch zu rasch der Abschied gegeben wird (schließlich ist ja
die Arbeit am historischen Jesus im vorigen Jh. auch von idealistischen
Prämissen her mitgeprägt), mag dahingestellt bleiben und ändert
nichts am Wert dieser Veröffentlichung: uns ins Werden und
in die Probleme der Feuerbachschen Religionskritik besonders unter
dem Aspekt der Christologie zu einer kritischen Neubegegnung
mitzunehmen.

Marburg/Lahn Günther Keil

Raposa, Michael L.: Peirce's Philosophy of Religion. Bloomington-
Indianopolis: Indiana University 1989. X, 180 S. gr. 8 = Peirce
Studies, 5. Lw. 25,-.

Charles Sanders Peirce (1839-1914), der große amerikanische
Mathematiker. Naturwissenschaftler und Philosoph, hat bis auf wenige
Aufsätze zu seinen Lebzeiten niemals eine größere Schrift zur
Religionsphilosophie publiziert. Folglich entsprechen sich die Qualität
einer Darstellung der Peirceschen Religionsphilosophie und die