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Ausgabe:

1991

Spalte:

296-297

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Domagalski, Bernhard

Titel/Untertitel:

Der Hirsch in spätantiker Literatur und Kunst 1991

Rezensent:

Strohmaier-Wiederanders, Gerlinde

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang Nr. 4 296

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hatte, die sich von den Konzeptionen der Mehrheit der deutschen
Universitätstheologen und Pfarrer deutlich abhoben. Einzelne Mahner
ausgenommen, hätten demgegenüber die in den protestantischtheologischen
Fakultäten „ungebrochen weiter dozierten antijudai-
stischen Theologumena" keinerlei wirksame Resistenz gegenüber
den antisemitischen Maßnahmen von NS-Partei und Staat erzeugen
können (480). Die Konzentrierung auf die Kirchenfrage habe die
Wahrnehmung der Judenfrage erschwert.

Hier werden Bonhoeffers Erlebnishorizont im Elternhaus (gesellschaftliche
Verbindungen zu zahlreichen Juden des Berliner Grunewaldviertels
), theologische Erkenntnisse im Zusammenhang mit seiner
Christologievorlesung, ethische Implikationen seines Kirche-
Staat-Verständnisses etc. als Motive einer frühen Sensibilisierung in
der Judenfrage in Rechnung gestellt. Bonhoeffer hat die politische
Seite der Judenfrage von vornherein in seine theologischen Überlegungen
einbezogen, die andererseits den gelegentlich mißverstandenen
Gedanken enthalten, daß die Ausschließung der Nichtarier aus
der Kirchengemeinschaft gerade eine Judenchristliche" Engführung
bedeuten würde, die abzuweisen sei. Vergleiche mit judenchristlichen
Theologen (so Lic. Leo, Hans Ehrenberg), die ebenfalls
eigenständige Konzeptionen gegenüber der Judenfrage zu Beginn
des Dritten Reiches entwickeln, dienen dazu, Bonhoeffers Haltung
komparativistisch zu konturieren. Den Kern der Untersuchung
stellt die Analyse des Bonhoeffer-Aufsatzes dar; doch ist die Bonho-
efferproblematik kontextual so extensiv in die zeitgeschichtliche Situation
hineingestellt, daß jeder Eindruck einer Momentaufnahme
vermieden, vielmehr der Ausgangspunkt der Bonhoefferschen Besinnung
zur Judenfrage auch perspektivisch deutlich wird. Man
liest die abgewogene und in gepflegtem Stil geschriebene Darstellung
über das „Entscheidungsjahr 1932/33", dem auch sonst in der
Forschung zum Judentum gezielte Aufmerksamkeit geschent wurde,
mit Gewinn.

Im Umkreis zu dieser Problematik ist auch hinzuweisen auf die
ebenfalls 1990 erschienenen Untersuchungen von Christoph
Strohm (Theologische Ethik im Kampf gegen den Nationalsozialismus
. Der Weg Dietrich Bonhoeffers mit den Juristen Hans von
Dohnanyi und Gerhard Leibholz in den Widerstand) und Christine-
Ruth Müller (Dietrich Bonhoeffers Kampf gegen die nationalsozialistische
Verfolgung und Vernichtung der Juden) in Bd. 1 und Bd. 5
der Heidelberger Untersuchungen.

Leipzig Kurt Meier

Christliche Kunst und Literatur

Arnold, Denis: J. S. Bach. Aus dem Engl, von M. Schmitz- Emans
u. R. Emans. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1989. 104 S.
8 = Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1539. Kart. DM 15,80.

Dieses Bändchen über Bach entstand 1984, also im Blick auf das
Jahr des 300. Geburtstages 1985, und erschien in englischer Sprache
. Sein Vf. ist Professor für Musik in Oxford und Präsident der
Royal Musical Association gewesen (t 1986). Monika Schmitz-
Emans und Reinmar Emans haben es übersetzt und bearbeitet. Der
Vf. geht mit seinem Thema spürbar liebevoll um; es ist ihm kein
auswechselbarer Gegenstand der Musikgeschichte. Die spannende
Frage jeder kleineren oder größeren Darstellung Bachs ist jedoch
m. E. folgende: Welchen Schlüssel benutzt der Darsteller, um aus
dem musikalischen Werk Bachs den Gewinn zu holen, den er bei
der historisch-biographischen Nachfrage aufgrund fehlender Masse
nicht erhält? Arnold geht den musikalischen Formen und Strukturen
nach, die Bach benutzt. In den Passagen der vier Kapitel (Die
Anfänge, Kapellmeister in Kothen, Leipzig, Das Erbe), die Werkinterpretationen
bieten, liegt die Stärke des Büchleins. In dem weniger
bekannten bzw. schwerer ergründbaren historisch-biographischen
Bereich erlaubt sich der Vf. dann eine Reihe von Ungenauig-
keiten und Überzeichnungen, die z. T. aus seiner konfessionell anderen
Umwelt begründbar sind, z. T. ein nicht wirklich sorgfältiges
Formulieren verraten und wegen der von ihnen unterstellten Selbstverständlichkeit
einfach ärgerlich sind: Bach habe niemals wirklich
gerne als Chorleiter fungiert (11), mit Improvisationen überbrücke
man Unterbrechungen im Ablauf der kirchlichen Zeremonie (13,
wo darüber hinaus auch noch vom „Mysterium der Wandlung" die
Rede ist!), in Mühlhausen habe Bach seine Kantaten mit einem guten
Chor, aber nur mit mittelmäßigen Solisten aufgeführt, in Weimar
sei das umgekehrt gewesen (18), Dialogszenen in Kantaten
werden auf die zeitgenössische Erbauungsliteratur zurückgeführt
(19), Bach sei u. a. auch wegen der guten lutherischen Schule für
seine Kinder nach Kothen gegangen, die er der traditionsreicheren
calvinistischen Schule vorgezogen habe (23; dazu gibt es keinerlei
Erkenntnisse!), schließlich habe man Bach in Leipzig „ziemlich
widerwillig" eingestellt (40). Ich breche hier ab. Ganz zum Schluß
kommt Arnold im Zusammenhang der Frage nach dem heutigen
Bachbild auf die durch Friedrich Blume forcierte Frage nach Bachs
Beziehung zum christlichen Glauben und zu seinem Kirchenamt zu
sprechen; dabei bleibt seine Meinung bei der Blumes von 1961/62
stehen (96-97). Das ist bedauerlich, da alle Bemühungen um Bach
seitdem doch in der Überzeugung zusammenlaufen, daß nur eine
weitgespannte Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen eine einigermaßen
hinreichende Sicht Bachs heute zu vermitteln imstande
ist. Es ist m. E. zu einfach, die Popularität Bachscher Musik heute
gegen Prediger und orthodox christlichen Glauben auszuspielen,
das Ansehen von problemlösenden und Strategien entwerfenden
Männern gegen das Bild eines hart dafür arbeitenden Menschen
oder die heutige Suche nach Trost und Kompensation gegen Bachs
Todessehnsucht (97). Ich betone nochmals die oben genannte Stärke
des Buches, kann es aber wegen der spürbaren anderen Tendenzen
nicht uneingeschränkt weiterempfehlen.

Leipzig Martin Petzoldt

Domagalski, Bernhard: Der Hirsch in spätantiker Literatur und
Kunst. Unter besonderer Berücksichtigung der frühchristlichen
Zeugnisse. Münster/W.: Aschendorff 1990. 198 S., 32 Taf. 4 =
Jahrbuch für Antike und Christentum, Erg.Bd. 15. Kart. DM
88,-.

Tierdarstellungen sind in der spätantiken Kunst üblich. Doch einige
Tiere erfreuen sich dabei besonderer Beliebtheit. Dazu gehört
zweifelsohne der Hirsch. Man kennt ihn allgemein als Christussymbol
. Daß sich seine Symbolik aber darauf nicht beschränkt, warum
es zu welcher Symbolik kam und in welchen Zusammenhängen
sonst das Hirschmotiv vorkommt, ist Inhalt der hier anzuzeigenden
Arbeit. Sie erschien als der 15. Ergänzungsband des Jahrbuchs für
Antike und Christentum. Entsprechend dem Profil des Jahrbuchs
handelt es sich in erster Linie um eine umfassende und präzise Materialsammlung
. Diese ist sorgfältig gearbeitet und geht sämtliche
Bereiche ab, in denen das Hirschmotiv vorkommt. Ausgangspunkt
sind antike naturkundliche Hinweise zum Hirsch, die die häufige
Rezeption verständlich machen. Es zeigt sich natürlich, daß bereits
auf dem Gebiet der Naturkunde viel Mythologisches und Phantastisches
(z. B. die angebliche Feigheit) in das Bild eingeflossen ist, das
seinerseits eine vielgestaltige Symbolik angeregt hat. Großen Raum
nimmt das Tierkampf-Motiv ein, das bekanntlich kosmische und
mythologische Zusammenhänge verdeutlichen soll (abgesehen von
reinen Kampf-Darstellungen, die es auch gibt). Interessanterweise
ist der Hirsch meist das gejagte Tier, auch im kirchlichen Kontext
(vgl. 51-52). Dies regt an, die Funktion von Bildsymbolik für frömmigkeitsgeschichtliche
Untersuchungen noch stärker einzubeziehen.