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Ausgabe:

1991

Spalte:

291-293

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lessing, Gotthold Ephraim

Titel/Untertitel:

Werke 1774 - 1778 1991

Rezensent:

Schultze, Harald

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ginns des 19. Jh.s in großer Breite mit Ausnahme der französischen
Aufklärung, aber unter Einschluß bestimmter Traditionen mittelalterlicher
Philosophie (Raymundus Lullus).

Dies alles wird für die Beschäftigung mit Friedrich Heinrich Ja-
cobi keine Überraschung darstellen. Dennoch wird die Forschung
im einzelnen noch manche Entdeckung machen können, und der
nun vorliegende Katalog wird dafür Anregung und Einstieg bieten
können. Ein Register der Personennamen und der Sachtitel anonymer
Werke sowie der handschriftlichen und gedruckten Widmungen
an Jacobi bilden dafür einen wichtigen Schlüssel.

Die vorliegenden beiden Halbbände sind der sehr gelungene und
gediegen ausgestattete Beginn einer eigenen Reihe, die Dokumente
zu Leben und Werk Friedrich Heinrich Jacobis veröffentlichen will.
Der Fortgang dieser Reihe wäre sehr zu begrüßen und im Blick auf
die Erforschung der Zusammenhänge der Bewegungen an der Wende
vom 18. zum 19. Jh. außerordentlich zu wünschen, die Mentalität
, Denken, Theologie, Bildung und Politik in Europa so stark beeinflußt
haben, aber in manchen Bereichen noch ganz im Dunkeln
liegen.

Leipzig Emst Koch

Lessing, Gotthold Ephraim: Werke und Briefe. Hg. von W. Barner
zus. mit K. Bohnen, G. E. Grimm, H. Kiesel, A. Schilson, J.
Stenzel, C. Wiedemann. Bd. 8: Werke 1774-1778. Hg. von A.
Schilson. Frankfurt/M.: Deutscher Klassiker Verlag 1989. 1188 S.
kl. 8 = Bibliothek deutscher Klassiker, 45.

Seit der ersten umfangreichen Ausgabe der Werke Lessings durch
Karl Lachmann haben Lessing-Editionen immer wieder Maßstäbe
gesetzt für die sorgfältige Darbietung der Schriften eines großen
Dichters. Der hier vorliegende 8. Band der neuen Lessing-Ausgabe
der „Bibliothek deutscher Klassiker" hält dieser Tradition stand mit
wiederum neuen, vorbildlichen Erweiterungen des bereits gewonnenen
Standards.

Wilfried Barner hat im ersten Band (1442-1446) die Prinzipien
der neuen Edition erläutert. In den Vordergrund treten insbesondere
zwei Vorhaben: (a) Der gesamte Stoff wird biographisch geordnet
. Im Unterschied zu den früheren Ausgaben, die zumeist nach
Gattungen gliederten, wird auf diese Weise der Schaffenszusammenhang
der so unterschiedlichen Schriften deutlicher. Dementsprechend
finden sich in Band 8 keineswegs nur theologische, sondern
auch kunstgeschichtliche und philosophische Schriften sowie
das Tagebuch der Italienreise von 1775. - (b) Inhaltlich geht es darum
, die Art und Weise zu dokumentieren, wie Lessing für seine
Anliegen Öffentlichkeit herstellte. Da immer stärker herausgearbeitet
wird, wie stark Lessings Schriften dialogischen Charakter haben,
ist es lohnend, auch Schriften solcher Autoren abzudrucken, auf die
sich Lessing unmittelbar (kritisch) bezieht. Dieser Grundsatz ist für
den Fragmentenstreit seit längerem anerkannt. Ältere Ausgaben
hatten bereits die umfangreichen Kapitel aus der „Schutzschrift für
die vernünftigen Verehrer Gottes' des Hermann Samuel Reimarus
ungekürzt gebracht. Göpfert/Göbel hatten in der Ausgabe des Hanser
-Verlages München 1979, Bd VIII) außerdem die Streitschriften
von Johan Melchior Goeze abgedruckt - eine wesentliche Hilfe, um
das Kernstück der Polemik Lessings im Fragmentenstreit präzise
würdigen zu können. Barner/Schilson gehen nun noch weiter, indem
sie auch Schriften der sog. „kleineren Rezensenten" ungekürzt
einfügen: Direktor J. D. Schumann/Hannover, Superintendent J. H.
Reß/Wolfenbüttel, F. W. Mascho/Hamburg und Pfr. G. C. Silberschlag
/Berlin kommen so unmittelbar zu Wort. Ihre Schriften haben
nicht den Rang von Standardwerken - es waren nur die ersten,
die auf die Wolfenbütteler Fragmente reagierten und Lessing daher
zur Antwort provozierten. Inzwischen sind diese Publikationen rar
und fast unbekannt. Es ist verdienstvoll, sie der Lessingforschung
neu zur Verfügung zu stellen.

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Mit Arno Schilson hat der Verlag einen katholischen Theologen
als Hg. gewonnen, der sich seit 20 Jahren kontinuierlich mit Lessing
beschäftigt und insbesondere durch seine Arbeiten zu Lessings
Geschichtsverständnis weiterführende Impulse für die Forschung
gegeben hat. Der umfangreiche Kommentar (723-1180) ist daher
nicht nur gründlich und verläßlich (wofür ausdrücklich zu danken
ist!), sondern auch sachlich profiliert. Nach einer allgemeinen biographischen
Einführung (723-744) werden zu jeder einzelnen
Schrift Einführungen zur Textüberlieferung, zur Werkgeschichte,
zur Rezeption und Wirkung (mit Auszügen aus zeitgenössischen
Stellungnahmen) und inhaltliche Einleitungen gegeben; dem
schließt sich ein detaillierter Stellenkommentar an (nach dem Vorbild
der Lessing-Ausgabe von Petersen/Olshausen). Wegen der
Überfülle gelehrter Anspielungen und wegen der vielen Hinweise
auf zeitgenössische oder ältere Literatur ist es für den heutigen Leser
unerläßlich, auf einen solchen Kommentar zurückgreifen zu
können. Durch Querverweise werden die Kommentierungen zu anderen
Schriften verfügbar gemacht. - Auf diese Weise erschließt
sich z. B. das (erstaunlich spröde!) Tagebuch der Italienreise von
1775; der Kommentar Schilsons ist gründlicher als der in dem parallelen
Briefband der gleichen Ausgabe (Band 11/2, 707-739 und
Kommentar).

Es ist vorgesehen, daß Schilson ebenfalls den 9. und 10. Band
dieser Ausgabe betreuen wird; dort werden der zweite Teil des
Schrifttums aus dem Fragmentenstreit und weitere Manuskripte
aus dem Nachlaß enthalten sein (Werke 1778-1781). Aus dieser
Einteilung ergibt sich, daß das Kommentarwerk noch nicht im ganzen
beurteilt werden kann - Wichtiges wird noch folgen. Schwerpunkte
in Band 8 sind die Darbietung des Werkes von Reimarus
mit den Lessingschen „Gegensätzen"- und der Dialog mit Schumann
, Reß und Mascho.

Wolfgang Kröger hatte in seiner Dissertation „Das Publikum als
Richter" (Tübingen 1979) bereits herausgearbeitet, daß deren
Schriften für Lessing die Möglichkeit boten, auf die theologische
Argumentation ihrer neologischen Lehrer (Gottfried Leß/Göttingen
und J. S. Semler/Halle) einzugehen. Von hohem Interesse ist insbesondere
der Vergleich zwischen dem historisch-apologetischen Ansatz
Schumanns mit der knappen, streng rationalistischen Hermeneutik
Lessings in der kleinen Schrift „Über den Beweis des Geistes
und der Kraft". Schumanns Abhandlung „Über die Evidenz der Beweise
für die Wahrheit der christlichen Religion" (355-435) zeigt
durchaus ein differenziertes Problembewußtsein; für ihn bleiben
aber die Verläßlichkeit historischer Zeugen und die Belegbarkeit
von Fakten Grundlage dafür, die Gültigkeit der Offenbarungsgeschichte
in der Geschichte Jesu zu erkennen. Für diese Materie bewähren
sich die theologiegeschichtliche Sachkenntnis und die sorgfältige
systematisch-theologische Deutung Schilsons in seinen
Erläuterungen.

Daß eine so profilierte eigene Position auch Grenzen hat, zeigt
die knappe, eher distanzierende Kommentierung zu dem dazugehörenden
Traktat „Das Testament Johannis". Diese Schrift gehört -
neben der Vorrede zum „Nathan" und einigen kleinen Nachlaß-
Stücken - zu denjenigen Äußerungen, die Lessings inneren Abstand
zur kirchlichen Christologie besonders stark zeigen. Müßte dies
nicht als Problem der Lessing-Interpretation deutlicher gemacht
werden?

Durch die Verarbeitung der neuesten Lessingforschung werden
die Aspekte seiner Methodik, der Relevanz seiner Metaphern-Sprache
, sein dialogisches Denken und seine Aufklärungs-Strategie sachgerecht
eingebracht. Querverweise auf Kernaussagen machen auf
den inneren Grund des theologischen Denkens bei Lessing aufmerksam
. Vorzüglich gelingt es, dem nichttheologischen Nutzer
wichtige Gedankengänge zu verdeutlichen, so daß diese Ausgabe
für Laien wie für Fachleute gleichermaßen hilfreich ist.

An einer wichtigen Stelle bleibt freilich ein Wunsch offen. Die
Nachlaßfragmente „Thesen aus der Kirchengeschichte" und „Neue

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang Nr. 4