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Ausgabe:

1991

Spalte:

284-285

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Towner, Philip H.

Titel/Untertitel:

The goal of our instruction 1991

Rezensent:

Weiser, Alfons

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283

Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang Nr. 4

284

Robinson, James M.: Messiasgeheimnis und Geschichtsverständnis.,
Zur Gattungsgeschichte des Markus- Evangeliums. Aus dem ame-
rik. Engl, von K. Fröhlich u. U. Berger. München: Kaiser 1989.
IX, 158 S. 8 = Theologische Bücherei, 81. Kart. DM 58,-.

Zwei Drittel des vorliegenden Bandes bildet die seit langem vergriffene
Erstlingsarbeit des Amerikaners J. M. R. zum „Geschichtsverständnis
des Markus-Evangeliums" (1956), in der schon einige
Fragestellungen vorhanden sind, die der Vf. später in seinem Buch
"The New Quest for Historical Jesus" (deutsch Kerygma und historischer
Jesus, 19682) thematisiert hat. R., der Rudolf Bultmann besonders
in seiner Kritik des liberalen Historismus nahesteht, hat
schon in dieser Studie an Käsemanns Aufsatz „Das Problem des historischen
Jesus" (1954) angeknüpft, in dem er u. a. vor einem
schwärmerischen Doketismus warnt. R. fragt nach der Rolle der
Geschichte in dem ältesten kanonischen Evangelium und im Unterschied
zu Bultmann hebt er hervor, daß das Markusevangelium ein
Selbstverständnis des Glaubens widerspiegelt, das „sich seinerseits
geformt und bestimmt durch die in der Geschichte Jesu enthaltene
Wirklichkeit" weiß (10). Das Evangelium als literarisches Zeugnis
des Glaubens hat also narrative Gestalt, und wenn die Erzählung
mit vielen mythischen Elementen verbunden ist, ist das nicht als
Auflösung der Geschichte in einem mythischen Geschehen zu deuten
, sondern umgekehrt: Die konkrete Geschichte Jesu ist danach
als das Geschehen qualifiziert, das kosmische Konsequenzen hat
und das über die Zukunft des Menschen entscheidet. Jesus kämpft
auf der Seite Gottes mit dem Gegner, der die Geschichte (diesen
Äon) beeinflußt. Die volkstümliche Tradition über die Wunder Jesu
hat Markus mit der Passionsgeschichte und mit der Tradition über
die Streitgespräche gerade mit Hilfe des gemeinsamen Nenners des
eschatologischen Kampfes verbunden, so daß der Gehorsam und
das Leiden Jesu als Fortsetzung seiner Exorzismen zu betrachten
sind.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf das Buch "A Myth In-
nocence. Mark and Christian Origins" (Philadelphia 1988) aufmerksam
machen, dessen Verfasser Burton L. Mack Markus beschuldigt
, daß er die Geschichte Jesu durch ihre mythische Deutung
verzerrt hat; der Mythos kann nach Mack kultisch manipuliert werden
und die Einmaligkeit der Geschichte Jesu geht verloren. Dies
ist ein Anachronismus, der schon bei Markus die Wurzeln der späteren
Entwicklung sieht, aber der Vergleich beider Studien ist lehrreich
. So verschieden und gegensätzlich sie auch sind (Mack zitiert
R. nur nebenbei), ist ihnen (im Anschluß an W. Wrede) die Voraussetzung
gemeinsam, daß die Bestimmung der Funktion der Passionsgeschichte
und der Auferstehungsbotschaft für die Deutung
des ganzen Evangeliums entscheidend ist.

Für die spätere Debatte ist vor allem Robinsons Beobachtung zu
Mk 4,34 und 8,32 bedeutend, die er auch in weiteren Beiträgen entfaltet
. In den Aufsätzen „Zur Komposition des Markus-Evangeliums
" (1971) und „Gnosis und Neues Testament" (1978) skizziert
er zwei mögliche Strukturen des literarischen Evangeliums: Diejenige
, die auf dem gekreuzigten irdischen Jesus gebaut ist und die
„gnostische", die in Gesprächen mit dem Auferstandenen besteht
(NHC 11,2; 111,4; 111,5; VIII,2; Pist. Sof. u. a.) und zu der auch das
Thomasevangelium und Q gehören. Nach dem gnostischen Evangelium
kann der irdische Jesus nicht zum Ziel führen, weil er verschleiert
gewirkt hat und erst die Begegnung mit dem auferstandenen
Christus, dem „lebendigen" Jesus nach seiner Auferstehung,
führt zur Erlösung. Das ist eine Entfaltung des nachösterlichen
Denkens, wie es in Mk 4,11.34 seinen Ausdruck findet. Jesu irdische
Verkündigung war in den Parabeln bzw. Rätseln verschleiert.
Das widerspricht zwar der ursprünglichen Funktion der Gleichnisse
im Munde Jesu, aber drückt trefflich das Denken mehrerer urchristlicher
Gruppen aus. Nun sagt R., daß Markus eine spezifische Auffassung
des literarischen Evangeliums begründet hat, derzufolge Jesus
nach der anfänglichen Geheimhaltung in der Rätselrede noch

während seines irdischen Lebens sein Geheimnis geoffenbart hat
(8,32). Es ist das Geheimnis der Bindung seiner einmaligen göttlichen
Sendung an sein Leiden. Dadurch gewinnt sein irdisches Leben
als hermeneutischer Schlüssel zum Osterglauben an Bedeutung.
Der erste, aretalogische Teil des Evangeliums ist also neu gedeutet
und mit dem mündlichen Evangelium verbunden. Mit dieser Frage
befaßt sich R. besonders in der letzten hinzugefügten Studie „Zur
Gattung des Markus-Evangeliums", in der er den apokalyptischen
Rahmen detailliert untersucht (er vergleicht ihn mit Off 12 und
Apok.Adam. - NHC V,5). Das Matthäus- und das Lukasevangelium
datieren die öffentliche Proklamierung des Evangeliums im
Vergleich mit Markus (und Johannes, s. Joh 16,25) noch mehr zurück
und relativieren dadurch den Umbruch durch das Osterereig-
nis. Die gnostischen Evangelien haben zwar den irdischen Jesus unterschätzt
, aber dafür das Bewußtsein der Bedeutung des
Osterglaubens betont. Was W. Wrede nur aufgrund der Pistis Sofia
(3. Jh.) rekonstruieren konnte, ist jetzt in Epistula Jacobi (NHC 1.2
- 2. Jh.) ausdrücklich belegt. Das Leben Jesu gipfelt darin, daß er
die Bedeutung seines Leidens offenbart.

R., der mehrere Jahre mit der Veröffentlichung und Erforschung
der Nag-Hammadi-Texte beschäftigt war, hat also die Evangelienforschung
nicht aus den Augen verloren. Die zwei Entwicklungslinien
, die er skizziert, sind wirklich gut erkennbar. Strittig ist nur
die Bedeutung des Umbruchs, die R. in Mk 8 sieht. Die Worte Jesu
sind alle, wie der Leser aus Mk 1,1 oder 1,11 weiß, die Offenbarung
Gottes. Mk 4,11.34 ist eher die Erklärung dessen, daß Jesus während
seines irdischen Lebens als der Sohn Gottes nicht erkannt
wurde.

Im Ganzen liegt da aber ein inspirierender Band vor, der wirklich
die Grundprobleme der Evangelienforschung behandelt.

Prag Petr Pokorny

Towner, Philip H.: The Goal of our Instruction. The Structure of
Theology and Ethics in the Pastoral Epistles. Sheffield: JSOT
1989. 346 S. 8 = Journal for the Study of the New Testament.
Suppl. Series 34. Lw. 26,50.

Die vorliegende Arbeit ist die "thouroughly revised form" (7) einer
1984 durch die Universität Aberdeen angenommenen Dissertation
. Der Vf. geht aus von der seit Dibelius verbreiteten Einschätzung
, daß das Ziel der ethischen Unterweisung in den
Pastoralbriefen (= Past) die „christliche Bürgerlichkeit" (9) sei. Da
von einer derartigen Einschätzung viel für das Grundverständnis
gegenwärtiger christlicher Lebensgestaltung abhänge, bedürfe es einer
sorgfältigen Überprüfung des seit Dibelius vorherrschenden
Auslegungstrends (15). Die Arbeit von R. Schwarz (1983) habe dies
noch nicht eindringlich genug getan (160- Es stellen sich die Fragen
, ob die Past ein verweltlichtes Kompromißchristentum repräsentieren
(15) und ob ihr Autor meinte, daß ehrbares und friedvolles
Leben in der Welt in sich selbst schon das Ziel christlicher Ethik
sei oder ob er die ehrbare Lebensführung zwar als Antwort auf zeitbedingte
Umstände sah, aber dabei doch ein höheres Ziel im Sinn
hatte (17). Mit diesen m. E. sachgemäßen und dem gegenwärtigen
Diskussionsstand entsprechenden Fragestellungen geht der Vf. in
der Durchführung so um, daß er in Kap. 2 die historische Situation
der Past bewußt macht (21-48), in Kap. 3-6 die theologische Struktur
der Botschaft der Past untersucht (49-141; mit den Teilthemen:
Gott, Christus, Hl. Geist; Eschatologie; Soteriologie als Zentrum
der Botschaft; Glaube, Kirche) und in den Kap. 8-10 die Ethik der
Past darstellt (169-241). Bevor die Darstellung der Ethik erfolgt, ist
in Kap. 7 sinnvollerweise eine grundlegende Reflexion über das
Verständnis christlicher Existenz nach den Past eingeschoben (145-
168). Mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse (245-257) sowie
mit Anmerkungen (259-321) und Registern schließt das Buch.