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Ausgabe:

1991

Spalte:

225-227

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Windisch, Hubert

Titel/Untertitel:

Sprechen heisst lieben 1991

Rezensent:

Ziemer, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

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Trösten die Klage nicht erstickt, sondern ihre Einwände aufnimmt.
Hiob leistet Widerstand gegen wohlgemeinte, aber fehlgeleitete Trostversuche
und „hält mit seiner abgründigen Klage gegen Gott zu Gott
den Riß offen, der durch sein Leben geht, und mit dem Bekenntnis der
Zuversicht den Spalt für den Trost, der nicht trügt, sondern trägt"
(30). Im Blick auf die 2. Seligpreisung (Mt 5,4), die den Trauernden
ßi't, die über Leiden klagen, sowie bei der Untersuchung der Bedeutungen
von „paraklein", stellt sich u. a. heraus, daß Trösten auf die
Wahrnehmung der Klage des Leidenden ebenso angewiesen bleibt wie
auf Gott als Gegenüber, der Trost zuteil werden läßt.

Die „Problematik des Wortes .Trost'" (41-66) wird gesehen in
einer, durch „religiösen Sprachgebrauch" begünstigten, Bedeutungsverschiebung
von „sichtbare/ Hilfe" zu „seelischer Stärkung". Trost
wird zur Beschwichtigung. Die Religionskritiker Marx und Freud
kritisierten daher mit Recht eine Tendenz, in der Trost als Ersatz für
Veränderung, als Ausflucht vor Realität fungiert, ohne damit die
Frage nach dem Trost, der trägt, erledigt zu haben. Wahrnehmungen
des Dichters Rilke (in der zehnten Duineser Elegie) weisen hin auf den
Zusammenhang von Trost und wahrhaftiger Sprache, die nicht eilfertig
über den Schmerz hinauswill. Der Einlinigkeit billigen Trostes,
der Konflikte übertönen will, widerspricht der Schriftsteller Dürren-
Watt. Zu trösten vermag hingegen das Aussprechen der Trostlosigkeit.
In seiner Tunnel-Erzählung (1952) ist am Schluß die Rede, daß
Menschen, von Gott fallengelassen, auf ihn zustürzen. Diese paradoxe
Wendung durchbricht einliniges Denken: „wo die Situation des
Menschen als Situation gleichsam zwischen Gott und Gott wahrnehmbar
wird, kann sich inmitten des Grauens Vertrauen und inmitten
des Schreckens die Freiheit des Lachens einstellen" (65).

Anstöße zum Thema „Trost in trostloser Situation" findet der Vf.
schließlich im 2. Korintherbrief (67-86). Auch für Paulus ist bezeichnend
, daß Bedrängnis und Trost zusammentreffen, was in paradoxen

Wendungen Sprache findet: .....bedrängt, aber wir ängstigen uns

n'cht..." (4,80- Daß inmitten des Grauens Vertrauen, inmitten des
Leidens Trost sich einstellt, geht letztlich nur vom Weg Jesu Christi
her auf. Paulus verschweigt eigene Schwachheit und Trostbedürftigkeit
nicht, wodurch Trostgemeinschaft entsteht. Als Perspektive
christlicher Seelsorge ist zu entdecken: „in Bedrängnis wird Trost
eröffnet, in Verzweiflung Mut.... in Schuld Vergebung, im Tod das
Leben" (86).

Der letzte Abschnitt „Trost als Perspektive christlicher Seelsorge"
(87-99) versucht in sechs Thesen mit Erläuterung Anstöße und Einteilten
für die christliche Seelsorge zu bündeln.

Insgesamt bringt dieser „Orientierungsversuch" m. E. wesentliche
Aspekte der Trost-Problematik in den Blick. Es geht vor allem um
eine authentische Sprache und Einstellung, die Trost nicht zur Vertröstung
verkommen läßt. Wird die Realität des Leidens nicht übertönt
, sondern in der Beziehung zum „Gott allen Trostes" zur Sprache
Bebracht, kann sich auch - in befreiender Gegensatzerfahrung - Trost,
der trägt und nicht trügt, ereignen.

Finintugu Tobias Mickel

^ indisch, Hubert: Sprechen heißt lieben. Eine praktisch-theologische
Theorie des seelsorgerlichen Gesprächs. Würzburg: Echter 1989.
289 S. gr. 8' = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge,
I • Kart. DM 39,-.

Diese Regensburger Habilitationsschrift bietet eine Art Fundamen-
'alpoimenik. Sie begibt sich damit auf ein Feld, das in den letzten
•Jahren mehrfach „beackert" wurde, ohne daß bisher im ganzen über-
zeugende Entwürfe hätten vorgelegt werden können. W. geht es im
strengen Sinne um die pasloral-theologische Begründung für die
Praxis des seelsorgerlichen Gesprächs. Dessen humanwissenschaft-
'■che Begründung setzt er als bekannt voraus (42), und die „Berücksichtigung
kommunikationstheoretischer Faktoren und Bedingungen
" (37) gilt ihm als selbstverständlich. Sein Hauptaugenmerk gilt

der „theologischen Haltung des Seelsorgers selbst" (42), durch die
Seelsorge für ihn ja erst als solche qualifiziert wird.

Das Buch führt in die Tiefe. Der Autor verleugnet seine katholische
Herkunft nicht, vermeidet aber konfessionelle Engführungen und
entspricht in der Art seiner Gedankenführung selbst dem dialogischen
Ansatz, den er für jedes seelsorgerliche Gespräch fordert.

Im ersten Kapitel - „Seelsorger werden im Gespräch" (17-68) -
geht es um die theologische Bestimmung der Seelsorge. In ihr „möchte
die Seelsorge Gottes in, durch und mit Jesus Christus lebendig werden
" (19). Die Aufgabe des Seelsorgers bestünde aus seinem Glauben
heraus darin, dem „entfremdeten Menschen", durch „Zusammen-
hanglosigkeit" und „Sinnzerrissenheit" charakterisiert, „die Situation
zu erschließen" und ihm zu helfen, „die Kräfte seines Glaubens für
die Bewältigung seiner Situation zu finden und zu nutzen" (34). „Seelsorge
als Sinn-Sorge" läßt neben der „notwendigen Analyse der Vergangenheit
" die „situativ-versöhnende Eröffnung neuer Zukunft
durch die absolute Zukunft, d. h. durch Gott selbst" (35) geschehen.
Das „Proprium" der Seelsorge besteht für W. „letztlich in der Hinführung
des Menschen zu Jesus Christus" (41). Diese Bestimmung
schließt nicht aus, daß W. später im Zusammenhang des Dialoggedankens
die nicht Vereinnahmen wollende Offenheit für den anderen
betont (204).

W. stellt dann in diesem Zusammenhang die wichtigsten evangelischen
Seelsorgekonzeptionen - unter dem Titel „Seelsorge als Verkündigung
" (Thurneysen) und „Seelsorge als Beziehung" (Stollberg)-
vor, ohne sich vorschnell auf eine der beiden Seiten zu schlagen.
Deren jeweiliges Anliegen positiv-kritisch aufnehmend, definiert er
Seelsorge als „Dienst der Versöhnung" (63 ff). In ihr ist die „Anthropologie
gleichsam die Grammatik", deren sich Gott in seiner dem
Menschen „dialogisch entgegenkommenden Liebe" bedient. Anders
gesagt: Im seelsorgerlichen Gespräch geht es um die „dialektische Einheit
von Vollzug als Beziehung und Gehalt als Verkündigung" (77).

Im zweiten Kapitel - „Mensch werden durch das Wort" (69-144)-
entfaltet der Autor eine Art theologischer Sprachlehre. Dabei geht es
ihm immer wieder um den unauflöslichen Zusammenhang von Wort
und Liebe: „wo Menschen nicht mehr miteinander sprechen, können
sie sich nicht mehr lieben" (82). Dabei geht es nicht nur um das liebevolle
Wort, sondern um die grenzüberschreitende Eröffnung von
Leben in der Freiheit der Liebe. Das in der Liebe ergehende Wort
eröffnet den „Horizont der Transzendenz als die Hoffnungs-
Sehnsucht nach dem Worte Gottes im Menschenwort" (86).

Unter Rückgriff auf den Analogiebegriff und unter Heranziehung
sprachphilosophischer Kategorien erwägt W. dann die Möglichkeit
einer religiösen Sprache und speziell die des Wortes „Gott" in
menschlicher Sprache: „der Mensch verfehlt sich dort, wo er nicht
mehr auf Gott zugeht oder zu ihm spricht" (121). Dabei geht W.
davon aus, daß die menschliche Sprache an sich schon die „religiöse
Dimension" impliziert (133) und daß darum glückende Kommunikation
eine „Art antizipatorischer Hoffnung auf das kommende Reich
Gottes darstellt" (128). Die religiöse Sprache darf jedoch nicht mit der
Sprache des Glaubens identifiziert werden, die aus der Offenbarung
Gottes in Christus lebt (134). Ob freilich die Sprache des Glaubens in
der pastoralen Seelsorge sich je als befreiend und hoftnunggebend
erweist, ist nicht von vornherein ausgemacht. W. fragt entschieden
nach der „Tragfähigkeit kirchlicher Verkündigung" (138). Und er
konstatiert, der „Widerstand gegen die kirchliche Verkündigung"
gelte oftmals nicht dem Worte Gottes, sondern der „Unfähigkeit der
Kirche, die Botschaft adäquat zur Sprache und zu Gehör zu bringen"
(140). Dort wo die Kirche und ihre Amtsträger sich des Wortes autoritär
bemächtigen, anstatt „dazu beizutragen, daß die Gläubigen in
allen Lebenssituationen sprach-mündig werden" (141), verspielt die
Kirche ihre „kairologische Seelsorgechance, Menschwerdung durch
das Wort zu praktizieren" (144).

Dem arbeitet W. nun in seinem dritten Kapitel - „Mensch werden
durch die Liebe" (145-242) - entgegen, in welchem er Seelsorge als
„Dialogik" entfaltet: „Die Form des Gesprächs von der Liebe ist die