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Ausgabe:

1991

Spalte:

224-225

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Weymann, Volker

Titel/Untertitel:

Trost? 1991

Rezensent:

Mickel, Tobias

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

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nen Beiträgen des Bandes problematisiert und differenziert. So
beginnt Ulrich Köhn seinen Text „Phantasie für den Glauben"
(107-117) mit der Feststellung: „Psychologie hilft glauben - dieser
Satz ist ebenso falsch wie richtig." Falsch ist er, wenn man von der
Psychologie eine einfache Glaubensproduktivität erwartet. Köhn
schreibt: „Es gibt keinen Weg zum Glauben, der daran vorbeikommt,
einen Vertrauensvorschuß aufzubringen." (107) Glaube ist bei alledem
also sui generis. Das Schlagwort von der „Psychologisierung des
Glaubens", das inzwischen „die Runde macht", ist abwegig und kaum
„geeignet, zur Klärung eines so subtilen Sachverhalts beizutragen".
(Raab, Einleitung, 15) Auch Hermann Andriessen vertieft und differenziert
in seinem Beitrag „Psychologie und Leben aus dem Glauben"
(84-96) den vereinfachten Buchtitel und weist daraufhin, daß verabsolutiertes
psychologisches Denken keineswegs durchweg aus der
Tiefe des Seelischen Glauben fordert, vielmehr nicht selten negativ
„an den Kern des Glaubens" „rührt". (87)

Worin liegen nun aber die Hilfen der Psychologie für den Glauben?
Sie vermag eine wichtige Hilfe zur Revision pathogener Gottesbilder
zu leisten. Meist von einer negativen Vatererfahrung her kann Gott
„als Produkt pathologischer Projektionen zu einem Dämon verstümmelten
Lebens, zum Prinzip der Angst, des Schreckens, der Starre, der
Verkrüppelung und Enge werden". (Raab, 12) Glaube ist keine
abstrakte Richtigkeit (Hauptsache, man glaubt!). Es gibt nur allzu
viele lebensfeindliche, destruktive Entartungen des Glaubens, von
denen mehr oder weniger alle Beiträge und Zeugen einer produktiven
Verschlungenheit von Psychologie und Glauben wissen und berichten
. Von der Problematik projektiver Gottesbilder und vom Umgang
mit ihnen in einer psychologisch geprägten Seelsorge handelt speziell
der Beitrag Dietrich Stollbergs „Gottesbilder in der Seelsorge"
(60-73). Stollberg verweist darin u. a. auf die Reziprozität des Gottes-
und Menschen- bzw. Selbstbildes in einer Person. Er schreibt: „Wir
können daher, kommt die Rede auf Gott, auch auf das Selbstverständnis
eines Patienten schließen und umgekehrt aus völlig untheologischen
Äußerungen eines Menschen über sich selbst und andere auf
seine Gottesvorstellung." (72) Gerd Domann entfaltet auf dieser Linie
in seinem Text „Menschwerdung und christlicher Glaube" (118-129)
die Bedeutung der Psychologie für die Heilung und Auflösung ekkle-
siogener psychischer Störungen, speziell von religiös unterlegten
„Gehorsamstragödien", wobei er u. a. auf Martin Luther, Hermann
Hesse und Tilman Moser verweist, an denen in erschütternder Weise
die zerstörerische Gewalt einer bestimmten, häufig sadistisch durchdrungenen
Glaubensgesetzlichkeit deutlich wird. In seinem außerordentlich
instruktiven Beitrag „Psychologie und gesunde Spiritualität
", der spürbar aus einer gelungenen Synthese von Glaube und
Psychologie geschrieben ist, verdankt Anselm Grün der Psychologie
die „Kriterien", „gesunde und kranke Formen der Spiritualität von
einander zu unterscheiden", was bedeutet, daß man zunehmend fähig
wird, religiös umkleidete neurotische Strategien zu erkennen, zu
„sehen", aber auch gesunde, reife Religiosität aufgeschlossen wahrzunehmen
.

Die Psychologie-Varianten, denen der einzelne Autor jeweils
besonders verpflichtet ist, sind zahlreich - S. Freud, C. G. Jung, C. R.
Rogers, E. H. Erikson, V. E. Frankl, I. Caruso, Übungsweg leibbezogener
Eutonie, transpersonale Psychologie u. a. -, wobei offenbar ein
komplementäres Verhältnis bezeichnend ist und einem penetranten
Schulabsolutismus kein Tribut gezollt wird. Die Wahl eines bestimmten
Ansatzes ist kaum jemals einfach zufällig, sondern fast immer eine
persönlichkeitsspezifische Entscheidung, die für den Kundigen
Schlüsse durchaus zuläßt. So scheint etwa C. G. Jung eine besondere
Anziehungskraft für mystisch-introvertierte Theologen und Glaubende
eigen zu sein.

Für besonders belangvoll und bedeutsam hält der Rezensent wiederholte
Hinweise, daß es zwischen Mystik und Tiefenpsychologie
analogische Wahrnehmungen und Entsprechungen gibt. Wo die
Psychologie weit genug geht, tatsächlich in die Tiefendimension eintaucht
, zeichnen sich frappierende Übereinstimmungen mit dem

mystischen Erfahrungsglauben ab. Raab meint in den Kirchen eine Bewegung
vom Wissenschaftsglauben zum Erfahrungsglauben zu erkennen
. (13) Die Krise der Kirchen scheint in einem nicht geringen Maße
auf einem alarmierenden Defizit an religiös-spiritueller Erfahrung zu
beruhen, das wesentlich aus der Untauglichkeit kirchlicher Lehrpraxis
zur Initiation geistlich-mystischer Erlebnisweise resultiert. Es war kein
Geringerer als Karl Rahner, worauf Raab verweist, der einer wechselseitigen
substantiellen Begegnung des mystischen Erfahrungsglaubens
mit der Tiefenpsychologie, die sich vom banalen Positivismus gelöst
hat, nachdrücklich das Wort redete. (13) War die Psychologie in den
zuvor erwähnten Anlässen und Beispielen gleichsam Hilfswissenschaft
im Dienste der Seelsorge, so wird sie nun (etwa als transpersonale
Psychologie) eindeutig mehr als das, selbst ein religiöses Phänomen und
so Kontaktwissenschaft einer mystischen Erfahrungstheologie. Diese
neue Begegnungsweise ist im vorliegenden Band zwar ins Auge gefaßt,
berichtet, aber theologisch längst noch nicht wirklich aufgearbeitet, was
außerordentlich dringlich erscheint. Eine zugespitzte Äußerung Rahners
ging dahin, daß, wenn es in Zukunft überhaupt noch ein Christentum
gäbe, dies ein mystisches sein werde. (13) Anselm Grün berichtet,
wie er via Psychologie Zugang zur Mystik fand. Er nennt sie „die
Lebenshilfe schlechthin" (54). Auch Hermann Andriessen kennzeichnet
Mystik und Tiefenpsychologie als analogische Phänomene, was sich
nicht zuletzt im identischen Reifungsweg von „Loslassen und Läuterung
" zeige. Er schreibt: „Im Grunde ist es kein anderer Weg als der, der
von den Mystikern beschrieben wird: sie gehen durch die Nacht." Wenn
das Religiöse allenthalben neu aufbricht, jedoch die Kirchen verläßt
und „ausschweift", dürfen die Fragen der Spiritualität, des inneren
Lebens nicht länger ignoriert werden, muß die weitgehend extravertierte
, aktionistische Kirche neu in sich gehen, um hier wirklich hilfreich
zu sein.

Von den siebzehn Beiträgen sind - ein ausgewogenes Verhältnis -
acht von evangelischen und neun von katholischen Vf.n beigesteuert.
Bemerkenswert erscheint, wie das konfessionell Trennende in der religiös
-essentiellen Erfahrungstiefe, in den mystischen Grunderfahrungen
nahezu gegenstandslos ist. Die Aufsatzsammlung beinhaltet eine
Fülle und Vielzahl von Aspekten der Korrespondenz zwischen
Psychologie und Theologie, denen hier im einzelnen nicht nachgegangen
werden kann. Die Beiträge bewegen sich in ihrer Anlage
zwischen poimenischem Fachartikel und populärwissenschaftlicher
bzw. populärtheologischer Darstellung, was zu einer gewissen Unein-
heitlichkeit führt. Der auf diese oder jene Weise übermittelte Erfahrungsreichtum
ist groß, die Lektüre entsprechend sowohl für den
praktischen Seelsorger wie den lehrenden Poimeniker ein beträchtlicher
Gewinn.

Leipzig Manfred Haustein

Weymann, Volker: Trost? Orientierungsversuch zur Seelsorge.
Zürich: Theologischer Verlag 1989. 109 S. 8'. Kart. sFr. 14,-.

Wendungen aus dem Wortfeld von „Trost" lösen in der modernen
Umgangssprache ambivalente Empfindungen aus. Ihr einstiger Glanz
- man erinnere sich etwa an den Heidelberger Katechismus von
1563 - scheint verblaßt zu sein. Der Verdacht, daß Trost trügt, erscheint
heute eher begründet als das Vertrauen darauf, daß er trägt.
Gleichwohl gibt es ein Trösten, das in Verzweiflung Vertrauen und
Lebensmut neu fassen läßt. Trost gibt sich mithin „als situations-
bezogener, wahrheitsempfindlicher und damit... im Lebensprozeß
selbst umstrittener Vorgang" (12) zu erkennen. Der Vf. ist Privatdozent
für Praktische Theologie an der Universität Zürich. Vorliegende
Publikation entstand im Zusammenhang mit seiner Seelsorge
-Vorlesung im Wintersemester 1987/88. Es geht ihm darum,
„im Blick auf seelsorgerliche Verantwortung menschlich und theologisch
Orientierung zu gewinnen" (10).

Nach der Einleitung (11-17) wird zunächst auf biblische Sprache
geachtet (18-40): Texte der Psalmen und Deuterojesajas zeigen, daß