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1991

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Kirchengeschichte: Neuzeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

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kritisch oder auch aversiv rezipiert. Nur vereinzelt finden sich zustimmende
Artikel. So wird in evangelischen wie katholischen Blättern der
Antisemitismus als Weltanschauung abgelehnt, seine Wurzeln werden
analysiert. Für Aspekte einer soziokulturell bestimmten Judenfeindschaft
wird indes ein gewisses Verständnis aufgebracht.

Auffällig erscheint, wie wenig man in den Niederlanden von dem
„positiven Christentum" des NS-Programms gehalten hat. Man
betrachtet vielfach den Nationalsozialismus als „Ersatzreligion".
Tendenzen sind frühzeitig sichtbar, die das schließliche Übergewicht
der nationalsozialistischen weltanschaulichen Distanzierungskräfte
vom Christentum, vor allem bei Alfred Rosenberg, konstatieren.
Auch Vertreter einer völkischen Christentumsauffassung (Dinter
u. a.) sowie auch rein deutschgläubige Exponenten werden behandelt.
Gegensätze und Widersprüche im Ideologiekonglomerat des NS-
Systems werden aufgewiesen. „Mein Kampf wird als antichristliches
Buch verstanden: wie man auf ein positives Verhältnis seines Verfassers
zum Christentum habe schließen können, bleibe ein Rätsel
(79).

Aufs ganze gesehen fallt auf, daß die calvinistische Grundposition
eine positive Rezeption des Antisemitismus nicht zuließ. Doch verspürte
man in der alltäglichen Praxis mitunter antisemitische Neigungen
(159). Die katholischen Blätter haben Rassismus und Antisemitismus
kritisch hinterfragt und abgelehnt. Das judenkritische Buch von
Pater van der Ploeg O.P. in Nimwegen 1940 wurde seinerzeit positiv
besprochen, während es 1980 anläßlich einer wissenschaftlichen
Ehrung des Verfassers als „antisemitische Schmähschrift" angegriffen
wurde (267ff). Dies zeigt, daß die Beurteilungsweise des Antisemitismus
in den Niederlanden damals nicht ganz einhellig war.

Bei der katholischen Presse spielten natürlich auch die Frage des
Reichskonkordats wie auch die Konkordatsverletzungen eine Rolle.
Was den Kommunismus betrifft, so wird er gelegentlich als das größere
, bald auch als das kleinere Übel im Blick auf den Nationalsozialismus
beurteilt. Der Kampf gegen den Materialismus im NS-System
findet ein positives Echo. Rechtsunsicherheit wird indes beklagt.

Bei der Besprechung von Kunst- und Literaturproblemen wird von
der deutschen Blut- und Boden-Literatur der „gute Heimatroman"
abgehoben, der sich in niederländischen katholischen Kreisen großer
Beliebtheit erfreute (435). Gegen die in diesem Sinne bestimmte Blut-
und Boden-Belletristik habe die katholische Presse wenig einzuwenden
gehabt, vor allem nichts gegen das Bodenständige. Katholischer-
seits wurden Dekadenzromane für weit gefährlicher gehalten. Doch
herrscht auch hier eine gewisse Ambivalenz des Urteils. Abgelehnt
wird auch, etwa Stefan George mit seiner Dichtung als Vorläufer der
NS-Bewegung zu diskriminieren, obwohl auch hier die Stellungnahmen
nicht ganz einhellig sind.

Es läßt sich resümieren: die niederländische konfessionelle Presse
verhält sich weitgehend ablehnend zur NS-Weltanschauung, auch
wenn peripher Elemente der Sympathie konstatiert werden können,
die aber allmählich zurücktreten. Der Antisemitismus als elementarer
Bestandteil der NS-Ideologie provoziert ernst Kritik. Die Reaktionen
darauf sind beim Vergleich beider Konfessionen ähnlich.

Für den „imagologischen Standpunkt" ist kennzeichnend, daß sich
niederländische Rezensenten zur Typisierung Deutschlands und der
Deutschen Vorstellungen bedienen, die allgemein westeuropäisch
sind. Die appendixhaft erscheinende Bezugnahme auf eine Schrift der
Madame de Stael aus dem Jahre 1810 mit ihrer weithin positiven
Typisierung des Wesens der Deutschen muß als gewagt gelten, auch
wenn sie der komparatistischen Methode geschuldet ist. Die im
Unterschied dazu hier weitgehend negative Apostrophierung der
Charakteristika deutschen Wesens verstehe sich damals während des
Dritten Reiches kontextual aus der Bedrohungssituation durch
Deutschland. Hier ist abschließend vom - wenn auch inzwischen
abgeschwächten - „antideutschen Ressentiment der Niederländer"
die Rede (Der Spiegel, Nr. 34,17. 8. 1987,104ff).

Die eindringende Analyse der extensiv beigebrachten Rezensionsinhalte
zielt auf ein Deutschlandbild unter dem Nationalsozialismus

vor dem zweiten Weltkrieg. Kaleidoskopartig wird dem Leser die
publizistische Rezeption wesentlicher Ideologieinhalte des NS-
Systems vor Augen gestellt. Konfessionell unterschiedlich akzentuiert
, aber im wesentlichen doch kritisch-aversiv, ergibt sich eine im
ganzen distanzierte Haltung zur nationalsozialistischen Weltanschauung
. Die Komparatistik ermöglicht einen interkonfessionellen
Überblick, wäre aber noch ausgiebiger zu resümieren, wenn die
geistesgeschichtlichen Nachwirkungen des romantizistischen
Deutschlandbildes der Madame de Stael (De L'Allemagne, 1810) auf
Rezensenten der Niederlande in den dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts
(in kritischer Transformation) nachgewiesen werden sollen.
Doch gewährt das bereitgestellte Material an sich einen zeitgeschichtlich
wichtigen Einblick in die niederländische Auslandsoptik der
nationalsozialistischen Weltanschauung in ihrer ganzen Komplexität.
Eine systematische Weltanschauungstopologie dürfte daraus allerdings
etwas mühsam zu erstellen sein. Die Quellenbasis dazu ist indes
gegeben. So bietet diese Dissertation mit ihrem Quellenaufwand einen
Ausschnitt „aus der Geschichte der deutsch-niederländischen Geistesbeziehungen
... im Sinne der «relations spirituelles internationales
» im Europa des 20. Jahrhunderts" (440), hier überfremdet und
„nicht losgelöst zu sehen von dem insgesamt negativ bewerteten
gerade zur Macht gelangten Nationalsozialismus" (445).
Korrigendum: Sasse (56).

Leipzig Kurt Meier

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auch der Tag. Gießen-Basel: Brunnen 1989. 144 S. m. Abb. kl. 8" = ABCteam-
Taschenbücher,3812. Kart. DM 9,95.