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Ausgabe:

1991

Spalte:

205-206

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Sames, Arno

Titel/Untertitel:

Anton Wilhelm Böhme 1991

Rezensent:

Brecht, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

206

Münster Martin Brecht

Wert und Reiz der Untersuchung aus, die sich durch Quellennähe, don als Propagandist Halles und des dortigen Waisenhauses sowie der

gute Herausstellung der Verbindungslinien mit der bekannteren Arndtschen Tradition auf, denen er u. a. wegen der Liebestätigkeit

Theologiegeschichte (z. B. das Verhältnis Pratje-Semler) und gute heilsgeschichtliche Qualität beimißt. 1705 wurde Böhme deutscher

Lesbarkeit auszeichnet. Auch das gesellschaftliche Umfeld ist stets Hofprediger des Prinzen Georg von Dänemark. Er überließ die Sakra-

Präsent; für die Geschichte des Pfarrerstandes im 18. Jh. erhält man mentsverwaltung einem anderen Pfarrer und verzichtete auf die Ordi-

durch die Arbeit Ottes manche wichtigen Einblicke. Anfragen habe nation. An den Unionsbemühungen zwischen Anglikanern und

ich nur hinsichtlich einiger präziserer Begriffsbestimmungen und ein- Lutheranern war er nicht interessiert. In der Tranquebar-Mission

zelner Wertungen. So erscheint mir der Begriff der „Pastorentheolo- suchte er konfessionelle Reibereien zu unterbinden. Böhme geht es

gie" zu wenig klar, auch „Kirchenleitende Theologie" und „Normal- um die universale Kirche wahrhaft Frommer jenseits der Konfessio-

theologie" können die Voraussetzungen und Zielsetzungen dieser nen und um die prozeßhaft sich vollziehende „Wiederbringung eines

Theologie nur vage umschreiben. Verdienstlich ist das chronologische geistlichen Lebens".

Werkverzeichnis Pratjes, ein Sach- und Personenregister wäre Eine letzte Studie wendet sich dem gemeinsamen Interesse Böhmes

wünschenswert gewesen. und Heinrich Wilhelm Ludolfs an der „Allgemeinen Kirche" zu.

Neuendettelsau Wolfgang Sommer BÖhme hat Ludolfs Pläne VOn den auch ihm nicht fremden sPiritua"

listisch gefärbten Voraussetzungen her verstanden. Für die Deutung

von Ludolfs ökumenischen Bemühungen ist dies wohl ein wichtiger

s,m„ . „,.,., „„. ,,,,, c. Aspekt. Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung besteht gewiß in

»ames, Arno: Anton Wilhelm Böhme (1673-1722). Studien zum ~ -___. ... ... .... . .

ökumenischen Denken und Handeln eines halleschen Pietisten. dem Aufweis wie stark Böhmes ökumenische Intentionen ,n seinem

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1990.199 S.gr. 8- = Arbeiten Peuschen Spiritualismus wurzelten. Aus der Mitgift Halles kam

zur Geschichte des Pietismus, 26. Lw. DM 86,-. der Eifer *"r ein in der Liebe tät'8es Christentum hinzu. Dies sind

immerhin interessante Wurzeln der ökumenischen Bewegung.

Der Vf. promovierte 1983 in Halle mit dieser Untersuchung zum In einem Briefanhang sind 20 ausgewählte Briefe, vor allem von

Dr- sc. theol., der der Habilitation entspricht. Sie will ausdrücklich Böhme nach Halle, sowie ein Gesamtregister der Briefe Böhmes nach

keine Biographie oder Gesamtdarstellung Böhmes sein, sondern eini- Halle beigegeben. Diese Beigabe ist zweifellos wertvoll. Leider wurde

gen Problemkomplexen dieser als ökumenisch geltenden Gestalt auf jeglichen textkritischen und erklärenden Apparat verzichtet. Der

nachgehen. Ergänzend zur vorliegenden Arbeit wird man darum für Brief Nr. 6 soll vermutungsweise an Francke gerichtet sein. Dies kann

Böhme auch L. Brunner, The Role of Halle Pietists in England schwerlich zutreffen, da Francke sonst nie als „Bruder" angeredet

(c- 1700-1740), Diss. phil. Oxford 1988, heranziehen müssen. Sames wird.

stützt sich vor allem auf die halleschen, weniger auf die waldeckischen Auf S. 166, Z. 7f v. o. muß es rescribatur und desinite heißen.
°der Londoner Quellen.

Zur „Problemfindung" wird vorweg ein kurzer biographischer
Abriß und ein ausführlicher Forschungsbericht geboten (19-57).

Hierbei hätte man straffer und griffiger vorgehen können. Immerhin Wekking, Joop: Untersuchungen zur Rezeption der nationalsozia-

« es beeindruckend, wie sich der Vf. ständig solide der Quellen- und «■**•■ Betonschauu„g ,„ den konfess.onellen Periodika der

pf,_^. . .' Niederlande 1933-1940. Ein Beitrag zur komparatistischen Imaeo-

rorschungslage versichert. logie Amsterdam_Atlanta, GA: Rodopi 1990. IX, 507 S gr 8' =

^unachst wird dann Böhmes Auseinandersetzung mit dem wald- Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur, 85. Kart.

eckischen Konsistorium 1699/1700 untersucht, um ihn „zwischen dfl 150,-.
Kirche und Separatismus" zu verorten. Dabei ist zu bedauern, daß

dem Vf. intensivere neue Archivforschungen zum waldeckischen Es handelt sich um eine extensiv angelegte zeitgeschichtliche
Pietismus nicht möglich waren. Richtig benutzt, verdient die antipie- Arbeit, die die niederländischen Zeitschriften und Zeitungen nach
'istische „Historia Pietistica Waldeccensis" (1712) vielleicht mehr ihrem Deutschlandbild während des Dritten Reiches befragt. Termi-
Vertrauen, als der Vf. ihr schenkt. Hilfreich hätte eine Einordnung nus ad quem ist die Invasion deutscher Truppen im Jahre 1940. Die
Böhmes in den Kreis der kirchenkritischen jungen Theologen um Kriegszeit ist begreiflicherweise nicht mehr berücksichtigt: Journa-
A- H. Francke sein können, um die potentiell separatistische Mitgift listik unter Repressivstatus hätte anderer Beurteilungsraster bedurft.
Halles zu erfassen. Immerhin wird Böhmes Waldecker Zeit nach Die Arbeit ist als Dissertation innerhalb der Phil. Fak. der Universität
seinem Studium genauer als bisher dargestellt. Er tritt vor allem als Aachen im Bereich Komparatistik angefertigt worden (Betreuer Prof.
der Parteigänger und Kontaktmann Franckes in Waldeck in Erschei- Dr. H. Dyserinck). Dem Buch liegt eine maschinenschriftliche Druck-
nung, über den die Beziehungen des Grafenhauses nach Halle laufen. vorläge zugrunde. Holländische Zitate sind im Anhang übersetzt.
Eigene radikalpietistische Tendenzen sind nicht mit Sicherheit Der Spezifik der angewandten Methode entsprechend, die hierin
auszumachen. Aber Böhme geriet 1699 wegen seiner Kritik an der der französischen Komparatistik bei Berücksichtigung des außerlite-
°rthodoxen Pfarrerschaft mit dieser in Konflikt, was dann zu seiner rarischen, also hier politisch-zeitgeschichtlichen Aspektes folgt und
Entlassung als Informator des Grafenhauses führte. Im gesetzten reine Beschränkung aiif nur-literarische Vergleiche ablehnt, versucht
Gahmen zwar verständlich, aber wegen der theologischen Einordnung der Vf., die Quellenstücke zitativ so auszuwählen, daß der Kontext
Böhmes doch bedauerlich, beschrankt sich die Untersuchung auf die sichtbar bleibt. Das bewirkt allerdings eine voluminöse Erweiterung
von Böhme vertretene Ablehnung der Konfessionen, die mit seinem des Umfangs. Artikel und Aufsätze sind jeweils chronologisch ausge-
subjektivistischen Spiritualismus einhergeht. Die Nähe zum separa- wählt nach den einzelnen Periodika. Mitunter wird die gedankliche
'istischen Pietismus ist dabei deutlich erkennbar. Anregend sind die Stringenz dadurch etwas gestört (sachliche Wiederholungen). Evange-
Uberlegungen, warum die waldeckische Regierung anders als Bran- lische und katholische Zeitschriften werden gesondert behandelt (II.
denburg-Preußen den Pietismus ablehnte. Möglicherweise ist Böhme Die NS-Weltanschauung und ihre politischen Folgen; III. Bereich der
lrn Bund mit Halle nach seiner Ausweisung gegenüber dem Separatis- Literatur, Kunst und Kultur im allgemeinen). Der hinzunehmende
mus vorsichtiger geworden und hat in ihm nicht die einzige Alter- Verlust an Systematik ergibt sich aus dem konzeptionell-metho-
native gesehen. dischen Vorgehen. Schwerpunkte lassen sich jedoch erkennen. Je
1701 wurde Böhme von Francke als Kontaktmann nach London nach dem Charakter der herangezogenen Periodika variiert naturgeschickt
. Gerne hätte man hier ein deutliches Urteil über die von gemäß das Niveau der Sachprobleme. Die Lektüre erfordert Geduld.
E. Beyreuther behaupteten „geheimen ökumenischen Pläne" Frank- Der Leser fühlt sich eingetaucht in die niederländische zeitgenössische
kes, die nirgends richtig faßbar werden. Faktisch trat Böhme in Lon- Journalistik der dreißiger Jahre, die die deutsche Publizistik zumeist