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Ausgabe:

1991

Spalte:

186-187

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Cassidy, Richard J.

Titel/Untertitel:

Society and politics in the Acts of the apostles 1991

Rezensent:

Schille, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

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Zeichnung „Sohn des Josef, der in doppeltem Sinn als hintergründiger
Hinweis auf den Patriarchen zu deuten sei, nimmt die eschatolo-
gischen Erwartungen der Samaritaner auf. Eine weitere Entsprechung
sieht B. in den drei Beglaubigungszeichen Moses (Ex 4,1-9) mit den
drei Zeichen Jesu in Galiläa (2,1 ff; 4,46ff; 21,1 ff)4. Auch wenn Jesus
zur Legitimation seiner Sendung als der von Mose verheißene escha-
'ologische Prophet dargestellt wird, seine Sendung überbietet diesen.
Das verdeutlichen die folgenden Kapitel. Kap. II (73-79) zeigt Jesus
als die Weisheit Gottes (vgl. Joh 14,21; 3,12-13), durch die der Tod
überwunden wird (6,33ff.50f). Kap. III-V gehen in ihren Ausführungen
vom Johannesprolog aus: Jesus ist das Wort Gottes (Kap. III,
91-105), das die Neuschöpfung konstituiert (1,17); der Eingeborene
(Kap. IV, 107-120), der Fleisch geworden ist in der Jungfrau Maria5
(Kap. V, 121-126) und der-wie es außer in Joh 1,1 f. 18; 20,28; Uoh
5.20 gerade in den Ich-Bin-Worten zum Ausdruck kommt - mit Gott
'denunziert wird (Kap. VI, 127-135). Dem widerspricht Joh 17,3, wo
■n Anspielung und Ablehnung von Uoh 5,20 Jesus der Gottestitel
wieder genommen wird.

Abschließend ordnet Kap. VII «Evolution de la christologie»
(137-143) die dargestellten Themen vier verschiedenen literarischen
Schichten des 4. Evangeliums zu, um erneut die komplizierten literar-
kritischen Scheidungen, die B. in seinem Kommentar6 vorgenommen
hat, zu bestätigen. So entspricht Jesus als der neue Mose der frühesten
Schicht C7, in der die eschatologischen Erwartungen der Samaritaner
~ lr> einem der Samaria-Mission dienenden Evangelium - aufgenom-
men wurden; Jean 1I-A8 greift das Motiv von C auf (6,1-5), transzen-
diert aber durch die Einfügung des Christos-Titels die Ausrichtung
auf die Samaritaner (7,40ff). Zudem ordnet B. dieser Schicht das
Motiv der zu den Menschen gekommenen Weisheit Gottes zu (l,36fl";
'4,21; 6,33; vgl. Kap. II). Bei Jean II-B1* wird die Darstellung Jesu als
"euer Moses weiter entfaltet (12,48-50; 8,28f; 7,16f u. a.) und das
Motiv der Weisheit Gottes mit dem des Wortes Gottes verbunden in
der Erweiterung des älteren Grundbestandes des Prologs (1,14-18),
vgl. Kap. III. Zu Jean II-B gehört weiter die Identifizierung des Wortes
Rottes mit dem Eingeborenen (Kap. IV), um den Gottessohntitel zu
überbieten, und die Jesu mit Gott in den Ich-Bin-Worten. Dem wider-
sPncht Jean III auf dem Hintergrund jüdischen Denkens (Joh 17,3),
v8l- Kap. VI.

Wenn dieses Bild stimmte, wäre es eine geniale Lösung vieler Fragen
. Aber es steht insgesamt aufrecht wackligen Füßen und hat der
^tik Neiryncks wenig entgegenzusetzen. Die Verweise auf Arbeiten
anderer bleiben sporadisch und allgemein, Stellenangaben findet man

aum. Dg,. Leser jst gezwungen, selbst zu suchen - und stößt dann vor
a"em auf Veröffentlichungen, die B. ignoriert10. Am häufigsten
^Ornal) verweist B. auf sich selbst. Textkritische Fragen werden von

• immer noch eigenwillig mehr nach den inneren Kriterien seines

extverständnisses als vom Gewicht der Zeugen her entschieden (z. B.
on 1,13). Besonders fragwürdig bleibt die Rekonstruktion von „C",
e,"es frühen Evangeliums für die Samaritanermission: Hier muß B.
■nirner noch auf die wenig überzeugende Parallelität von den drei
"eglaubigungszeichen Moses (Ex 4,1 -9) und den drei - in dieser

ypothetischen Quelle zusammenstehenden - Wundern Jesu in Gali-
^ (2,1-11; 4,46ff; 21,1-14) verweisen. Dazu kommt die Überinter-
Pfetation von „Sohn des Josef" in 1,45 als Hinweis auf den Patriar-

nen Josef als König Israels, der die wenig eindeutigen, späten samari-
tar>ischen Belege und der Hinweis auf den Messias ben Ephraim kaum
"lehr Beweiskraft verschaffen. Die Auseinandersetzung mit den
maritanern spielt im 4. Evangelium gewiß eine Rolle, warum
er*ähnt B. dann nicht, daß es sehr wohl eine samaritanische Diaspora
^b? Daß die Kreuzigung zwischen zwei Verbrechern als typologische

"spielung auf Mose im Gebet, gestützt auf Aaron und Hur, aufgefaßt
*erden muß und Samaritaner bekehren soll, erscheint als allzu kühne

^Interpretation. So ausführlich B. die atl. Parallelen zitiert (MT,
"k Unt^ un<* m't Übersetzung bietet, so vorsichtig muß man
^""Prüfen, ob seine Hinweise auf Anspielungen auch berechtigt sind.
"r Problematisch erscheint weiter die Annahme, Joh (Jean II-B)

relativiere und spiele den „Sohn Gottes"-Titel herab, indem er ihn
durch ßovoyevrp; überbiete.

Berechtigt das Schema der Entwicklung - vorausgesetzt es stimmte
- zu einer soliden literarkritischen Scheidung: am Anfang steht die
schlichte Auseinandersetzung mit den Samaritanern, darauf folgt eine
reflektiertere Bearbeitung durch Jean II-A, um einer nochmaligen
Überarbeitung durch Jean II-B zu unterliegen, der nun der johan-
neischen Hochchristologie, der Einheit von Vater und Sohn, alles, was
vor ihm geschrieben wurde, unterwirft? Seine Höhenflüge nimmt
dann Jean III zurück und stutzt diesem christologischen Pegasus die
Flügel wiederum auf judenchristliches Normalmaß? Wir finden das
Nebeneinander scheinbar gegensätzlicher christologischer Entwürfe
in den urchristlichen Schriften schon bei Paulus. Es ist im Grunde ein
Problem aller frühchristlichen Schriften", man ließ die verschiedenen
Aussagen als sich ergänzend harmonisierend beieinander stehen. Bei
den Synoptikern ist die literarkritische Schere ein bewährtes, brauchbares
Hilfsmittel, der johanneischen Dialektik gegenüber versagt sie
weitgehend, so deutlich erkennbar Brüche sind und die Endredaktion
sich selbst expressis verbis zu Wort meldet (21,240.

Zu Recht macht B. darauf aufmerksam, wie stark das Johannesevangelium
von der Deutung des AT bestimmt ist. Last not least ist
das Thema „Mose oder Jesus" eine sehr interessante Fragestellung
gerade im Hinblick auf dieses Evangelium, und B.s Beobachtungen
stellen eine gute Anregung zur Weiterarbeit dar. Doch die exegetische
Arbeit kann auch bei Joh nicht ohne das Korrektiv historischer
Untersuchung auskommen, wenn sie der Spekulation nicht Tür und
Tor öffnen will.

Tübingen Anna Maria Schwemer

' F. Neirynck u. a., Jean et le Synoptiques. Examen critique de l'exegese de
M.-E. Boismard,BEThL49,1979.

! Dabei werden 4Q 158 und 175 als Zeugen samaritanischer Eschatologie
gewertet.

1 B. zieht die v.l. von P** und sahid vor, wie schon in der Synopse.

4 Hier kommt B. nicht umhin, auch im „synchronen" Teil litcrarkritisch zu
scheiden und im Anschluß an Wellhausen und Spitta diese drei Zeichen einer
früheren Redaktionsschicht zuzuweisen, in der sie am Anfang des Wirkens Jesu
gestanden hätten.

s B. hält fest an seiner Textherstellung und Interpretation von Joh 1,13.

* L'evangile de Jean. Commentaire par M.-E. Boismard et A. Lamouillc.
avec la collaboration de G. Rochais (Synopse des quatre evangiles en francais.
tome III), Paris 1977.

' Nur in der Synopse findet man die Datierungen der Schichten. X" =
Jean I wurde um ca. 50 n. Chr. verfaßt.

' Nach der Synopse um 65 n. Chr. anzusetzen.

* Hier datiert B. in der Synopse in die Zeit um 95 n. Chr.

10 Z. B. den Kommentar Schnackenburgs, der sich durchgehend mit B.s
Arbeiten auseinandersetzt, erwähnt B. an einer Stelle (27) zu einer Randfrage.
" M. Hengel, The JohannineQuestion, 1989,123f.

Cassidy, Richard J.: Society and Politics in the Acts of the Apnsties.

Maryknoll, NY: Orbis Books 1987. XII, 239 S. 8".

Cassidy ist der redaktionsgeschichtlichen Methode verpflichtet. Er
fragt nicht nach den Ereignissen oder Quellen, sondern nach den luka-
nischen Implikaten. Zudem behandelt er beide lk Schriften gemeinsam
. Zwar widmet sich das vorliegende Buch nur der Apg, aber es
setzt eine entsprechende Behandlung des 3. Evangeliums voraus
(Kap. I: Referat zu: Jesus, Politics, and Society: a Study of Luke's
Gospel, Orbis 1978). Minimale Differenzen zwischen lk Aussagen
werden sichtbar (24: „Armer" steht neunmal im Lk, in Apg nie; 29:
„Zöllner" und „Sünder" fehlen in Apg; 142: Jesus schweigt, Paulus
verteidigt sich im Prozeß breit), wie Lk überhaupt kleine Besonderheiten
der Beschriebenen herausarbeitet (56: Paulus gegenüber älteren
Aposteln; 138: „Vergebung" nur bei Stefanus für Feinde). Vor allem