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Ausgabe:

1991

Spalte:

176-178

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Beyerlin, Walter

Titel/Untertitel:

Reflexe der Amosvisionen im Jeremiabuch 1991

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Theologische Literaturzeitung 116. Jahrgang 1991 Nr. 3

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Allerdings geht es dem Autor nicht um die ganze Breite des jah-
wistischen Werkes (wie bei H. H. Schmid), sondern er beschränkt sich
auf die „Vätertexte", da sich in der Forschung die Aufmerksamkeit
auf den „Textbestand in der Genesis" konzentriert habe (S. 3) - eine
Sicht, die vor allem die zweite Provokation in der neueren Penta-
teuch-Forschung widerspiegelt, nämlich diejenige von R. Rendtorff,
der „Das überlieferungsgeschichtliche Problem des Pentateuch"
(1977) auch vornehmlich mit Genesis-Texten angehen zu können
meint. Innerhalb dieser „Vätertexte" nimmt dann der Autor noch
einmal eine Reduktion vor, nämlich auf „eine kleine Auswahl als
zentral geltender J-Texte" (S. 8), insbesondere 12,1-9 (Kap. II) und
28,10-22 (Kap. 5) [s. auch S. 9: „Textauswahl"]. In diese Ellipse
werden weitere Texte eingefügt (Kap. III: Genesis 26 und „Die Ahnfrau
-Erzählungen"; Kap. IV: Genesis 27,27b-29 und Kontext);
andere Texte dagegen, die man auch als „zentral" ansprechen könnte
(z.B. Gen 15 [„Gottes-Bund"]; 18,16-33 [„Gottes-Gerechtigkeit"];
32,23-33 [„Gottes-Begegnung"]), werden kaum einmal gestreift. -
Der zweite Teil der Monographie geht dann thematisch vor: Kap. VI:
„Die Beistandsformel"; Kap. VII: „Segen für die Völker" - Ein Datierungskriterium
für J?; Kap. VIII: „Die Segensverheißung".

Auch im Bereich der Methodik ist eine Reduktion nicht zu verkennen
: das exegetische Arbeiten an einzelnen Texten, das in dieser
Studie vorgestellt wird, besteht fast nur aus „literarkritischen Analysen
", orientiert an der „literarkritischen Methodik" seines Lehrers
A. J. Bjorndalen (S. V) und an Prinzipien der W. Richter-Schule
(W. Groß; s. S. V).

Konzentrationen und Beschränkungen sind natürlich absolut legitim
(besonders in einer Dissertation); der Leser muß sich ihrer nur
bewußt bleiben, damit er nicht zuviel von dem großen Titel „Die Zeit
des Jahwisten" erwartet und die Grenzen der Argumentationsführung
berücksichtigt. Unter der Voraussetzung dieser „Hypothesenimmanenz
" (S. 9) wird man die Arbeit als eine gelungene Studie zu einzelnen
Texten, Formeln und Themen bezeichnen: die jeweiligen Forschungsberichte
sind umfassend und engagiert abgefaßt, die Argumentation
geht äußerst behutsam und nuanciert vor, und die Ergebnisse
werden nach jedem Teil in knapper Zusammenfassung
resümiert. Von diesen Resultaten sei im folgenden nur das (kritisch)
skizziert, von dem der Autor einen unmittelbaren Ertrag für seine
eigentliche Frage, die der Datierung, ableitet.

Erste „datierungsrelevante" Elemente findet der Autor in 12,1-3
(Kap. II), und zwar in der Gegenüberstellung von Abrahams „großem
Volk" (V. 2) und den „Geschlechtern des Landes" (V. 3); die eine
Größe meine das staatspolitische Israel, während die andere die
nicht-israelitische Bevölkerung im Lande Israels bezeichne. Auch
wenn man diese Interpretation von „große Nation" für „goj gadöl"
(S. 57, 73 u. ö.), von „nicht-politischen Volksgruppen" für
,,mishpahöt" und von „Kulturland Palästina" für,, 'adamah" einmal
als richtig akzeptiert, auch wenn dieser Text sich an einem Bild vom
Gegenüber aus staatstragendem Israel und politisch-militärisch
bedeutungslosem Kanaan im davidisch-salomonischen Großreich
orientiert haben sollte, so darf. m. E. doch nicht zu schnell vom „Bild"
auf die Datierung des Textes geschlossen werden, so als könne von
dieser politischen Konzeption nur zu einer Zeit gesprochen werden, in
der das „Bild" mit einer gegenwärtigen Wirklichkeit zur Deckung zu
bringen war. Diese grundlegende (hermeneutische) Frage spielt in den
Überlegungen des Autors keine große Rolle; für ihn ist der lerminus a
quo (S. 54f) identisch mit dem lerminus in quo der schriftlichen
Fixierung. Gerade angesichts der Spätdatierung des Jahwisten, die ihn
herausgefordert hatte, hätte die Kontrollfrage mehr Gewicht bekommen
können, ob das von ihm herausgearbeitete Bild von Gen 12,1-3
nicht auch in der Exilszeit denkbar ist, freilich nicht als Beschreibung
der gegenwärtigen Realisierung einer Verheißung, sondern als Hoffnung
auf erneute Verwirklichung einer früheren Realität (auch in der
Exilszeit war übrigens das Land Kanaan nicht mehr von staatspolitischen
Nationen geprägt, sondern von politisch-militärisch bedeutungslosen
Volksgruppen [,, mishpahöt"]).

Als zweites meint er im Isaak-Spruch über Jakob (Gen. 27,
27b-29) „Kriterien für eine absolute Datierung der jahwistischen
Texte" (S. 312) gefunden zu haben. Die Jahwistische" Bearbeitung
(V. 29aa) alter Stammesspruch-Tradition (V. 29aßy) deute auf eine
Zeit, „in der das Stammesbewußtsein in Israel noch ein politisch und
kulturell wirksamer Faktor war", dieses allerdings schon im Schwinden
begriffen war, da es in dieser Interpretation umfunktioniert
werden konnte, um die „politisch-militärische Oberherrschaft ganz
Israels über die Nachbarvölker" auszudrücken (S. 143). Berge spricht
in diesem Zusammenhang von der „Pan-Israelifizierung" alter Stammessprüche
(S. 143, 145), die er freilich entschieden von der
„Gesamt-Israel-Konzeption" der dtn-dtr-Literatur (S. 144) abheben
muß - auf der literarkritischen Ebene mag man vielleicht (aller-
feinste) Unterschiede feststellen; ob man geistesgeschichtlich beide
Ausdrucksformen durch Jahrhunderte getrennt sein lassen kann, ist
mir doch sehr die Frage (läßt nicht der, jahwistische" Vers 29aa auch
an Jes 60 [z. B. V. 10 u. 12] denken?).

Ähnlich steht es beim dritten Bereich, der für die „absolute Datierung
" nutzbar gemacht wird, der „Beistandsformel" (Kap. V u. VI):
Die jahwistische Beistandsformel in 28,15 muß von allen nicht-
jahwistischen scharf unterschieden werden; sie sei die einzige, die
noch einen authentischen Bezug auf Wanderung und nomadische
Existenzform widerspiegele, während bei ihren Vorkommen z. B. in
Num 23,21 und Dtn 2,7 zwar auch von nomadischer Wanderung die
Rede sei, die „Beistandsformel" dort aber von Formelsprache seßhafter
Bevölkerung umgeben sei (S. 224f). Gilt das nicht auch für 28,15,
wo „ 'adamäh" verwendet wird, das nach jahwistischer Sprache doch
Kulturand bedeuten soll (s. o.)? Davon will Berge in diesem Zusammenhang
offensichtlich nicht mehr viel wissen, sondern spricht nur
noch technisch von,, 'adamah" = (}akobs) „Aufbruchsort" (S. 210).

Nimmt man einmal an, Berges „Beweise" (S. 313; S. 311: „wir
haben bewiesen") hätten den Leser restlos überzeugt, so sollte doch
noch ein Wort zum Preis gesagt werden, der bezahlt werden muß, um
einen Jahwisten „um 950 v.Chr." (S. 313) zu retten; es ist ein
„geschrumpfter" Jahwist (S. 5 mit Anm. 12, S. 7), der - wie schon
angedeutet - vor allem auf viele theologische Textbereiche verzichten
muß: Kap. 15 (S. 40-43); Kap. 18 (S. 237); Kap. 26 (S. 77-118) etc.
Der „Streit um den Jahwisten" ist jedenfalls noch lange nicht beendet,
und die deutschsprachige Forschung wird es hoch anrechnen, daß ein
junger norwegischer Alttestamentler die Mühen der (deutschen, und
nicht etwa englischen) Übersetzung auf sich genommen hat (die Unsicherheiten
im Ausdruck und besonders in der Zeichensetzung nimmt
man gern in Kauf; die zahlreichen Druckfehler beeinträchtigen auch
nie das Verständnis).

Neuchätel (Schweiz) Martin Rose

Beyerlin, Walter: Reflexe der Amosvisionen im Jeremiabuch. Freiburg
/Schweiz: Universitätsverlag; Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1989. 119S.gr. 8" = Orbis Biblicus et Orientalis, 93. geb.
DM 38,-.

Bei seiner Neuinterpretation der dritten Arnos-Vision (Am 7, 7f)'
ist B. auf das Problem des Verhältnisses der Arnos-Visionen zu
bestimmten Texten des Jer-Buches gestoßen. Er hat es ausgearbeitet
ünd in dem vorliegenden Buch publiziert, das O. Kaiser zum 65. Geburtstag
zugeeignet ist.

Der Titel umschreibt exakt die These des Buches: Die Arnos-
Visionen, genauer: die dritte, vierte und fünfte (Am 7,7f; 8,1 f; 9,1-4),
haben unterschiedliche literarische Reflexe im Jer-Buch hinterlassen,
und zwar in Jer 1,11-14; l,18f; 15,20; 21,4.10; Kap. 24; 39,16;
44,27. Es handelt sich gerade um diejenigen Arnos-Visionen, die
unabwendbares Unheil ankündigen. Ihr Einfluß auf die betreffenden
Jer-Texte ist verschieden. Die dritte Vision wird in 1,18f; 15,20; 21,4
widergespiegelt, die (dritte und) vierte in 1,11-14 und Kap. 24. Die
fünfte Vision wird nicht insgesamt reflektiert; nur eine Wendung aus