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Ausgabe:

1990

Spalte:

148-149

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Müller, Theophil

Titel/Untertitel:

Konfirmation, Hochzeit, Taufe, Bestattung 1990

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 2

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lität, viele erleben den Gottesdienst im Zwiespalt von Relevanz und
Irrelevanz. „In dieser Situation der Spannung zwischen Aufbruch und
Resignation möchte ich mit dieser Arbeit denen Mut machen und
Orientierungshilfe geben, die an Gottesdienstfragen arbeiten" (7),
beschreibt E. seine Intentionen.

Leider hält das Buch nicht, was der Titel verspricht. Denn statt
selbst an.so etwas wie einer Vision für den Gottesdienst zu arbeiten,
begnügt sich E. mit Visionskritik. Sie richtet sich nach zwei Seiten,
gegen die konservative liturgische Dogmatik und gegen die progressiven
liturgiedidaktischen Illusionen. E. kritisiert die steilen theologischen
Sollvorstellungen def Orthodoxie, wonach der Gottesdienst
die Mitte der Gemeinde und das Herzstück des christlichen Lebens sei
(18). Derartige normative Ansprüche sind obsolet, sie stehen (nicht
erst heute) im krassen Widerspruch zur Realität einer von ihren
unmittelbaren Sozialbezügen losgelösten volkskirchlichen Ortsgemeinde
. Umgekehrt kritisiert E. auch die reformerischen Hoffnungen,
der Gottesdienst könne gemeinschaftsbildend sein oder werden, wenn
man die Liturgie nur zeitnah gestalten und die Beteiligungsmöglichkeiten
der Gemeinde vermehren würde. Wer solche Forderungen
erhebt, meint E., verkenne die wesenhafte Traditionsgebundenheit
der Liturgie und die Gesetzmäßigkeiten der Großgruppenkommuni-
kation, über die uns Gruppenpädagogik und Massenmedienforschung
hinreichend belehrt haben (86ff). Ich habe meine Zweifel, ob die
Beweisführung stichhaltig ist. Oft wirkt sie pauschal. Zumindest Differenzierungen
wären angebracht. Besonders in der Auseinandersetzung
mit den Reformbewegungen der Nachkriegszeit (und im Umkreis
der Zürcher Disputation) gibt es gereizte Untertöne, vgl. die Vorwürfe
„Leistungsdruck", „Werkgerechtigkeit" (89), Aktionismus
(1290 und modische Anpassung an den Musikgeschmack der Jugendlichen
(1310. die in dieser Schärfe bei einem, der die Aufklärungs-
liturgik schätzt, verwundern. Im übrigen springt der Vf. immer wieder
hin und her zwischen aktueller Argumentation und historischen Beispielen
. Da diese oft beliebig sind, ist die Gedankenführung selten
stringent. Insgesamt plädiert E. für liturgischen Realismus. Man solle
den Gottesdienst nicht mit Erwartungen überfrachten, die er doch
nicht erfüllen kann, und sich auf das konzentrieren, was möglich ist.
Denn er hat auch heute noch wesentliche Funktionen für die einzelnen
Gläubigen. E. hebt vor allem die sinnsliftende, die ethisch-
normative und die seelsorgerlich-therapeutische Funktion des Gottesdienstes
hervor (72-84). Die entsprechenden Ausführungen überzeugen
. Leider werden sie nicht systematisch entfaltet und zu wenig
mit Anschauung gefüllt. Dabei zeigt sich der Hauptmangel: Das Buch
ist im Grunde kein Erfahrungs-, sondern ein Literaturbericht. Nur
ganz selten einmal merkt man, daß der Autor selber Gemeindepfarrer
ist. An einer Stelle erzählt er von der eigenen Gottesdienstpraxis mit
Konfirmanden (144). Und gleich wird es konkret und lebendig! Meist
jedoch pflegt er das Gespräch mit der Fachliteratur. Am liebsten referiert
und zitiert er. Als passionierter Leser, der die neuere liturgiewissenschaftliche
Forschung, insbesondere auf katholischem Gebiet,
aufmerksam verfolgt, kann er immer wieder interessante Lesefrüchte
weitergeben (das Literaturverzeichnis ist eine Fundgrube!). Das Buch
hat seine Stärken in einigen liturgiegeschichtlichen Exkursen, mit
denen E. die auf die Gegenwart bezogenen Erörterungen anreichert
und protestantische Engführungen ökumenisch erweitert; freilich oft
willkürlich und in recht einseitiger Auswahl (warum z. B. gerade
konservative Kritiker der nachkonziliaren Liturgiereform wie Gamber
und Ratzinger so ausführlich zu Wort kommen, bleibt ein Rätsel).
So erfüllen auch die historischen Passagen nur teilweise ihren Zweck.
Sie sind anregend, reichen aber für eine Grundinformation nicht aus.
Und für die Kenner sind die Urteile vielfach nicht ausreichend
begründet, es fehlen die Gegenstimmen.

So legt man das Buch am Ende mit Bedauern und enttäuscht aus der
Hand. Die Provokation bleibt. „Gottesdienst: Visionen-Erfahrungen
- Schmerzstellen" - ein faszinierender Titel! Wer schreibt das Buch
dazu?

Hamburg Pctcrt'ornehl

Müller, Theophil: Konfirmation - Hochzeit - Taufe - Bestattung.

Sinn und Aufgabe der Kasualgoltcsdienste. Stuttgart-Berlin
(West)-Köln-Mainz: Kohlhammer 1988. 186 S. 8'. Kart.
- DM 29,80.

Friedrich Loofs sagte: „Die Wahrhaftigkeit ist eine unumgängliche
Voraussetzung aller gesunden religiösen Entwicklungen", und der
Katholik Franz Burgey schreibt: „Eine Frömmigkeit ohne die
Bemühung um Wahrhaftigkeit ist in ihrem Kern faul." Im Lichte solcher
Äußerungen, die sich um ein Vielfaches vermehren ließen,
kommt dem Buch des Berncr Praktischen Theologen Theophil Müller
eine hohe Bedeutung zu, denn es ist durchdrungen von persönlicher
Wahrhaftigkeit, die sich in einer erheblichen Spannung zu dein
weiß, was in christlicher Theologie weithin als Wahrheit geglaubt
wird. Und wenn der Autor mit seiner Vermutung recht hat, daß es
nicht nur ihm so geht, daß Gott nicht mehr verstanden werden kann
als „Person, die ,es gibt' und die handelt, in der Welt wirkt, eingeht in
einen Menschen als Gottes Sohn, wirkt in unseren Herzen als Gott-
Geist", sondern als „verbindliche Dichtung", Symbol, Mythe.
Legende, Metapher für „das, was mir Vertrauen ermöglicht, mich
befreit und verantwortlich macht", zu begreifen ist (S. 28 u. 30), dann
kann sein Buch Pastoren und Pastorinnen, denen es geht wie Müller,
eine recht anregende und brauchbare Hilfe sein, dennoch wahrhaftig
und sinnvoll zu konfirmieren, zu trauen, zu taufen und zu bestatten.
(Vgl. dazu, was Müller im Kap. 3 „Die Kasualgottcsdienste im allgemeinen
" zu „Wahrheit und Wahrhaftigkeit" sagt, S. 68.)

Es ist ein sehr persönlich geschriebenes Buch,' in dem man viel
erfährt von der Glaubensentwicklung des Autors, seiner Ehe, seinen
Kindern, seinen Eltern, denn der konkreten Erörterung von Konfirmation
, Hochzeit, Taufe und Bestattung (Kap. 4-7) ist jeweils ein
Abschnitt „mein persönlich-biographischer Zugang zum Thema"
vorangestellt; aber auch das Kapitel 2 „Grundlinien einer Theologie
der Kasualien" bringt so viel persönliche Standpunkte, daß es berechtigt
gewesen wäre, es mit „Grundlinien meiner Theologie . . ." zu
überschreiben.

Ein zweites, wesentliches Charakteristikum des Buches ist es nun,
daß es sich mit Nüchternheit und Realismus entschieden um ein Doppeltes
bemüht, einerseits die konkrete Situation der Kasualgottcsdienste
in einer Volkskirchc und andererseits die „Erfahrungsfcldcr"
von Erwachsenwerden, Ehe, Liebe und Sexualität, Geburt und Wiedergeburt
sowie Sterben, Tod, Trennung, Abschied, Verlust, Trauer,
Dank und Hoffnung - um nur einige Stichworte zu nennen - zu
analysieren und zu beschreiben. Hier vermittelt Müller im ständigen
Rückgriff auf einschlägige, neuere Literatur eine Fülle von Einsichten,
Beobachtungen, Denkanstößen und praktischen Anregungen.

Jedesmal ist der Autor um eine theologische Durchdringung
bemüht, für die ihm „die Sache Jesu" als Kriterium dient, wobei
„Vertrauen, Freiheit, Verantwortung als Grundstrukturen der .Sache
Jesu'" beschrieben werden (S. 33-35). Diese Dreiheit durchzieht das
ganze Buch. Aber auch die „Zuwendung zu den Menschen, zum
,Volk' als Grundbewegung der Theologie und als Grundhaltung im
kirchlichen Handeln" (S. 37-40) ist im ganzen Buch deutlich spürbar.
Die Tragik der Pharisäer: „Zum Schutz Gottes, zur Ehre Gottes die
Menschen quälen mit nicht menschengerechten Forderungen - das ist
auch im Christentum tragische Versuchung, und ich hoffe, in meinen
Darlegungen etwas von dem Ballast weglegen zu können, der sich als
ewiger Pharisäismus dem christlichen Glauben immer neu angelagert
hat und wohl immer wieder anlagern wird" (S. 40). Für mich ist dies
ein Schlüssclsatz des Buches, der verständlich macht, warum der
Autor z. B. dafür plädiert, bei Konfirmation, Trauung und Taufe -
wenn überhaupt - nur selbst verfaßte Bekenntnisse, Versprechen usw-
aussprechen zu lassen oder warum im abschließenden Kapitel 8 „Die
Kasualgespräche" davor gewarnt wird, dogmatisch-ethische Werturteile
über die Gemeindeglieder, die die Kasualien begehren, abzugeben
und Kirchenzucht zu praktizieren (S. 159/160).

Bei der Taufe führt das Bestreben, den Menschen keine unnötigen
Lasten aufzulegen, z, B. zu folgenden Positionen: „In der ganzen