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Ausgabe:

1990

Spalte:

131-132

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Christliche Heiligkeit als Lehre und Praxis nach John Henry Newman 1990

Rezensent:

Mann, Josef

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Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 2

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anderen, kompendienhaften Entwürfe hat Schleiermacher nicht für
druckreif gehalten. Da sie in engstem Zusammenhang mit seiner Vorlesungstätigkeit
stehen, erschließen sie sich nur dem, der die Hörernachschriften
heranzieht (vgl. meine Kohlhammcr-Ausgabe der
Christlichen Sittenlehre, S. XXIXff und meine Bemerkungen in
LinguisticaBiblica60, 1988, 10 ff).

Arndt bezweifelt, daß man der Dialektik am ehesten durch die
Rekonstruktion der Vorlesung (also des mündlich Vorgetragenen) zu
einer adäquaten Darstellung ihres Wesens verhelfen könne (Philosophische
Bibliothek; Bd. 386, S. LX). Schleiermachers Bemühungen
seien schon früh in die Richtung einer selbständigen Darstellung im
Druck gegangen.

Kirchnüchel Hermann Peiter

Biemer, Günter, u. Heinrich Fries [Hg.]: Christliche Heiligkeit als
Lehre und Praxis nach John Henry Newman. Newman's Tcaching
on Christian Holiness. Sigmaringendorf: Regio. Glock und Lutz
1988. 316 S. 8' = Internationale Cardinal-Newman-Studien,
12. Folge. Lw. DM 60,-.

Der Band enthält die Referate des 12. Internationalen Newman-
Kongresses vom September 1987 in Freiburg i. Br. Es ging dabei um
Heiligkeit im Verständnis John Henry Newmans( 1801-1890). Da für
Newman eine Einheit von Lehre und Leben kennzeichnend ist, fällt
der Blick der Newman-Kenner und -Freunde immer wieder auf die
Verwirklichung wesentlicher Züge christlicher Heiligkeit bei ihm
selbst, dessen Seligsprechungsprozeß eingeleitet ist. Die 22 Referate
(17 in englischer und 5 in deutscher Sprache) sind nicht in ihrer zeitlichen
Abfolge abgedruckt, sondern - nach einer Einführung von
J. D. Holmes (17-20) und einem zusammenfassenden Ausblick von
J.Coulson (254-259) unter folgenden Gesichtspunkten: Biographisch
-Historische Studien; Literatur-Historische Studien; Theologisch
-Systematische Grundlegung; Pastoral-Praktische Perspektiven.
Wenn wir der Theologisch-Systematischen Grundlegung (136-206)
hier größeren Raum geben, so nur, um in der uns gebotenen Kürze die
wesentlichen Punkte der Lehre Newmans von der christlichen Heiligkeit
besser herausstellen zu können; es bedeutet kein Werturteil über
die anderen Beiträge. Im Gegenteil, das systematisch Erhobene gewinnt
durch sie an Farbe und Lebendigkeit.

P. Boyce findet in seinem Vortrag „Heiligkeit - der Zweck des
Lebens nach Newman" (136-147) ein universales Prinzip: Unterwerfung
unter eine höhere Macht. Unterwerfung unter das (iewissen,
unter eine Kirche, unter die geoffenbarte Wahrheit, unter eine unfehlbare
Autorität, unter den göttlichen Willen, letztlich unter die Wahrheit
. Eine Unterwerfung, wie sie der Sohn Gottes vorlebte, der kam,
nicht um seinen eigenen Willen zu tun, sondern den Willen dessen,
der ihn gesandt hat. Es ist erleuchtete Unterwerfung, verantworteter
Gehorsam, freie Annahme, die von der Macht der Liebe herkommt.

Christliche Heiligkeit ist jedoch nicht zuerst moralischer Anspruch,
sondern begründet in der Wiedergeburt durch die Taufe. Dies aber
verpflichtet den Christen, über natürliche Vollkommenheit hinauszugehen
und voranzuschreiten hin zu einem bleibenden Abbild
Christi. Für Newman wird „Heiligkeit notwendig für die künftige
Seligkeit". Gegenüber dem Bild eines weitabgewandten Newman vermittelt
der Beitrag von J. Moralcs „Newmans Ideal der Heiligkeit in
der Welt" (148-159) das Bild eines Seelsorgers, der. gewiß in der
Spannung zu ihr, der Welt zugewandt ist und eine echte Laien-
Spiritualität begründet. Wenn nach H. Fries ein Heiliger ein Mensch
ist, in dem der Glaube seine intensivste und radikalste Verwirklichung
findet, so besteht „Newmans Bedeutung für das Heiligkeitsstrebcn des
Christen" (160-172) darin, daß er uns hilft und anleitet, Glauben zu
lernen. „Newman ist in sejncm Leben und in seiner Person eine überzeugende
Realisation'der Verbindung von Christsein und Menschsein
, von Christwerden und Menschbleiben, von Heiligkeit und
Humanität, von Spiritualität, Frömmigkeit und Bildung."

(I. Biemer führt dies weiter zu einer Erörterung der „Pädagogischen
, ethischen und religiösen Voraussetzungen der Heiligkeit
nach Newman". (173-188) „Von Newman soll in diesem Zusammenhang
gelernt werden, daß er die Besonderheit seines Bildungskonzeptes
, wie er es in der .Idee einer Universität' entfaltet, in der gegenwärtigen
Ergänzung, aber auch jeweiligen Eigenwertigkeit von drei
Bereichen sieht: des Verstandes im Bereich der Bildung, des Sinnes für
Gut und Böse im Bereich der Ethik und der Gewissensstimme im
Bereich der Religion." Im Zueinander von Bildung, Ethos und Religion
liege Newmans Verständnis von Heiligkeit und Hciligsein begründet
. Newman sieht Menschsein als Aufgabe, sich selbst zu gestalten
, sein Leben zu entwerfen. Jeder Mensch trägt den persönlichen
Zugang zur Lcbensgestaltung nach Gottes Willen in sich im Gewissen.
Die gottgewollte Lcbensgestaltung, bei der die Leidenschaft und der
Stolz überwunden werden, führt in der Verwirklichung zur Heiligkeit.
Das Bild Jesu Christi - hier geschieht Imagination in tiefstem Sinne -
„wird auch jedem als Prinzip seiner Bekehrung eingeprägt. Dadurch
ist es nicht nur Prinzip des Heils für jeden einzelnen Christen, sondern
auch Prinzip der Vergemeinschaftung in der Communio des mystischen
Leibes Christi selbst".

Die Bedeutung von „Konversion in Newmans Theologie" untersucht
M.Culhane (189-197). Hier gibt es eine Entwicklung, besonders
im Verhältnis Konversion-Rechtfcrtigung-Heiligung. Konversion
ist ein ständiger Vorgang: „Leben heißt, sich verändern, und vollkommen
sein heißt, sich oft verändert haben." L. Govacrts Beitrag
„Ein Ideal der Heiligkeit. Newmans Verehrung unserer lieben Frau"
(199-206) mündet in seine Worte: „Sie ist der personale Typ und das
repräsentative Abbild jenes spirituellen Lebens und der Erneuerung in
Gnade, ohne die niemand Gott schauen kann."

Die der systematischen Grundlegung vorausgeschickten Biographisch
-Historischen und Literatur-Historischen Studien bereiten
wichtige Punkte der Zusammenfassung vor und verlebendigen sie. So
die Predigt des Erzbischofs von Birmingham, Maurice Couve de
Murville, der Stadt, wo Newman von 1848-1890 Oberer eines kleinen
Oratoriums war (21-26). In „Newmans persönliches Bemühen,
als Katholik dem .Licht' und dem ,RuP zu folgen", zeigt V. F. Bichl
seine Treue zu Gott, Gewissen und Kirche in langen Jahren der Verkennung
(27-34). J. Seynaeve, R. Strange und K. S. Frank beschäftigen
sich mit der Bedeutung der 1 leiligen Schrift und der Kirchenväter
für Newmans Lehre und Praxis christlicher Heiligkeit (35-64).
P. Murray und J. Kcnt vergleichen seine Konzeption mit der des heiligen
Benedikt und der kleinen Therese (65-82). Auf besonderes Interesse
heute dürfte der Vortrag von V. Conzemius „Lord Acton, Ignaz
von Döllinger und John Henry Newman. Lebensituationen und Kir-
chenkonflikte" (83-102) stoßen. Anregende Studien von T. Berger
und A. H. Jenkins gelten der Lyra Apostolica und der Entstehungsgeschichte
der berühmten Verse "Lead kindly light". die sich in vielen
Gebetbüchern finden. (103-135)

An die Theologisch-Systematische Grundlegung schließen sich vier
Referate zu Pastoral-Praktischen Perspektiven an, die eine eigene
Würdigung verdienten: J. F. Crosby, „Heiligkeit als Einheit von
scheinbaren Gegensätzen" (207-218). „Newmans Rat Tür ein ernsthaftes
christliches Leben", erarbeitet aus den Briefen und Tagebüchern
seiner anglikanischen Zeit von G. Rowellvom Keble-Collcgc
in Oxford (219-233) und aus der Zeit nach seiner Aufnahme in die
röm.-kath. Kirche von J. Sugg aus Birmingham (234-246). (Die vollständige
Ausgabe seiner Briefe und Tagebücher umfaßt über 30
Bände!) Der Japaner T. Tatsumi - sein Vortrag „Heiligkeit oder
Friede aus japanischer Sicht" war eine Premiere im Rahmen der Kongresse
- sieht im Denken Newmans ein mögliches Gegengewicht
gegen die entfremdende Rezeption des westlichen Konsum- und Indu-
strialisicrungsprogramms in Japan (247-253).

Dem Band ist eine umfassende Bibliographie der seit 1980 erschienenen
internationalen Newman-Literatur beigefügt.