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Ausgabe:

1990

Spalte:

124-127

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Autor/Hrsg.:

Weiß, Ulman

Titel/Untertitel:

Die frommen Bürger von Erfurt 1990

Rezensent:

Velten, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 2

124

Faktisch konnte es nur noch um die Vertiefung von Teilaspekten
gehen, es sei denn, der Vf. hätte entweder völlig neue Materialien beigebracht
oder durch methodische Innovationen weitere Horizonte
erschlossen. Beides ist nicht der Fall. Dabei hätte der konzentrierte
Blick auf die systematisch-theologischen Dimensionen der Auseinandersetzung
sowie auf Möglichkeiten und Grenzen christlicher Apologetik
(wie er dem Vf. vorschwebt) im Prinzip durchaus neue
Erkenntnisse hervorbringen können.

Etwas umständlich begründet der Vf. zunächst, warum er seine
Untersuchungsoptik auf die Auseinandersetzung der Bekennenden
Kirche mit dem „Mythus" beschränkt hat, genauer gesagt, auf die
Auswertung von ca. 50 bekenntniskirchlichen Schriften, die den
„Mythus" zum Gegenstand haben. Ich zitiere nochmals den Autor,
diesmal etwas ausführlicher, um vom Geiste der Untersuchung und
ihrer Diktion einen Eindruck zu vermitteln:

„Ich habe mich aus dem folgenden Grund auf die Antwort der BK
beschränkt: während alle Stimmen zu Rs Buch zum historischen
Gesamtverständnis der Zeit 1933-1945 in gleicher Weise wichtig
sind, sind die Stimmen der BK im Blick auf die Nachkriegsentwicklung
der EKD bezeichnender und relevanter als z. B. die deutschchristlichen
Antworten, nimmt doch die EKD für sich in Anspruch,
in theologischer Kontinuität zur BK zu stehen. Eine Kirche, die sich
bis heute immer wieder auf die Barmer Theologische Erklärung, die
,Gründungsurkunde' der BK, beruft, wenn sie von ihren Bekenntnissen
redet, wird besonders bedenken müssen, wie die BK mit der
Erklärung umging und wie sie sich mit ihr in sozial-ethischen, politischen
und weltanschaulichen Fragen verhielt. Daher beschränke ich
mich auf die Stimmen der BK zu Rs Buch und verhandle nicht die der
DC mit den sehr unterschiedlichen Richtungen, nicht die der Liberalen
, nicht die der Neutralen, nicht die der religiösen Sozialisten. Weil
die Theologische Erklärung in wesentlichen Teilen auf Karl Barths
Formulierungen zurückgeht, orientiere ich mich systematisch-theologisch
auch an der Theologie Karl Barths" (23).

Das Buch ist in fünf Teile gegliedert. Eingangs werden Entstehung
des „Mythus" und Beginn der weltanschaulichen Auseinandersetzungen
um dieses Buch im Jahr 1933 geschildert (Teil 1). Der Leser findet
hier i. w. ein Kondensat aus Bollmus/Baumgärtner. Es folgen Darstellung
sowie Analyse der bekenntniskirchlichen Erwiderungen auf
den „Mythus" (Teil 2). Im Mittelpunkt steht hier Walther Künneths
„Antwort auf den Mythus" von 1935. Andere Autoren (Homann,
Hüffmeier, Bockemühl) und Rezensionen werden demgegenüber
ungleich kürzer abgehandelt. Teil 3 versucht, Rolle und Rang des
„Mythus" im NS-System zu bestimmen. Dieser Teil wie auch die
Darlegungen zu den politischen Aspekten der Auseinandersetzung
(= Teil 5) enthalten schwerlich über Bollmus und Baumgärtner Hinausführendes
. Auch Teil 4 („Die Einschätzung der Bedeutung Rosenbergs
und seines Buches durch die Bekennende Kirche") repetiert, wie
kaum anders zu erwarten war, viel Bekanntes. Nimmt man all diese
Beobachtungen zusammen, erweist sich Ibers Buch als eine Art
Rahmenwerk zur Darstellung der Künneth'schen Auseinandersetzung
mit dem „Mythus" (45-93).

Das Urteil Ibers über Künneth fällt ambivalent aus. Einerseits kritisiert
er halbe oder ganze Zustimmung zu bestimmten Ideen Rosenbergs
. Künneths Argumenten hafteten „dogmatische, biblische, politisch
, methodische und strukturelle Schwächen" an. Insofern seien sie
„unsachgemäß". Andererseits streitet er der Künneth'schen Apologetik
positive Wirkungen für das Festhalten der Bekennenden Kirche an
Kirche und Bekenntnis nicht ab (92). Es scheint, der Vf. möchte einen
historiographischen Mythos zerstören, der allerdings gar nicht
existiert, nämlich den Mythos, die bisherige Forschung zeige die
Tendenz, das Ausmaß weltanschaulicher (Teil-)Übereinstimmung
mit Rosenberg - sei es bei Künneth, sei es bei anderen kenntniskirchlichen
Autoren - zu leugnen. Die einigermaßen diffizile Frage, inwieweit
(Tcil-)Übereinstimmung in eigenen Überzeugungen gründete,
oder ob sie strategisch-apologetischen Kalkülen folgte, wird zwar vom

Autor gesehen, doch ist sie mit den von ihm verwendeten Methoden
nur in Ansätzen zu beantworten.

Im Ganzen ist die Studie mit allzu vielen außerhistorischen Prämissen
und ungenauen Wahrnehmungen der Diskurse um Rosenberg als
dynamischer Prozeß im Herrschafts- und Gesellschaftsgefüge des
Dritten Reiches belastet, um der Forschung Weiterführendes sagen zu
können. Erwähnt seien immerhin einige archivalische Materialien,
welche dem (freilich gleichfalls längst bekannten) Bemühen der
Bekennenden Kirche, Weltanschauungskampf und Politik voneinander
zu trennen, einige Details hinzufügen. Optisch gestört ist die
Lektüre des Buches durch die Entscheidung des Autors, Rosenberg
und Künneth stets nur als R und K auftreten zu lassen, und durch die
Druckfehlerquote.

Leipzig . Kurt Nowak

Bahr, Hans-Eckehard: Alles, was man vergessen hat, schreit im Traum um
Hilfe. Deutsche Geschichte nach 1945 als Phasen versäumter und versuchter
Trauer(In: Einwürfe, 5. München: Kaiser 1988, 114-125).

Benrath, Gustav Adolf: Aloys Henhöferf 1789-1862) und sein Wirken für die
Erweckung in Baden (Theologische Beiträge 20, 1989, 113-130).

Bonkhoff, Bernhard H.: Von der Erweckungsbewegung zur Gemeinschaftsbewegung
(BPfKG 55, 1988,21-33).

Epting, Karl-Christoph: Die erste internationale Konferenz der Kirchen für
Frieden und Freundschaft in Konstanz 1914. Konstanz: Christliche Verlagsanstalt
1988. 29 S. 8' = Konstanzer Theologische Reden. 6. DM 3,50.

Frank, Isnard W.: Französische Revolution und Kirche (WuA[MJ 30, 1989,
51-57).

Greschat, Martin: Christliche Verkündigung und ethische Verantwortung.
Das Pfingstwort der Bekennenden Kirche aus dem Jahre 1936 (ThZ44, 1988,
329-349).

Lüpke. Johannes von: Anthropologische Einfalle. Zum Verständnis der
„ganzen Existenz" bei Johann Georg Hamann (NZSTh 30, 1988,225-268).

Mehlhausen, Joachim: Die Erste Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen
Kirche in Barmen 1934 und ihre Theologische Erklärung (VF 34, 1989,
38-83).

Mikat, Paul: Die Polygamiefrage in der frühen Neuzeit. Opladen: Westdeutscher
1988. 66 S. gr. 8' ■ Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften
. Geisteswissenschaften, Vorträge G 294. Kart. DM 18,-.

Schwendenwein, Hugo: Die Universität im Spannungsfcld von Kirche und
Staat. Wien: Verlag der Österr. Akademie der Wissenschaften 1988. 24 S. 8' =
Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philos.-hist. Klasse. Sitzungsberichte
. 516. öS 70.-.

Stupperich, Robert: Dibelius und Söderblom (ZKG 100, 1989,58-70).

Thaidigsmann, Edgar: Die Weltlichkeit Gottes. Zum Spätwerk von Leonhard
Ragaz (EvTh 49, 1989, 161-178).

Thierfelder, Jörg: „Es lag wie ein Bann über uns.": Landesbischof Theophil
Wurm und die nationalsozialistische Judenverfolgung (BWKG 88, 1988,
446-464).

trübst, Christian: Christoph Blumhardt, der Prediger zwischen den Fronten
(JK 50, 1989,518-520).

Territorialkirchengeschichte

Weiß, Ulman: Die frommen Bürger von Erfurt. Die Stadt und ihre
Kirche im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Weimar:
Böhlau 1988. 359 S. m. 44 Taf. z. T. färb. Beilage: 1 Faltktegr8° =
Regionalgeschichtliche Forschungen.

Schon der erste Eindruck beim Betrachten und Blättern ist angenehm
. Der Schutzumschlag zeigt die Ansicht von Erfurt aus der
Schedeischen Weltchronik, das Vorsatzpapier eine Karte des Erfurter
Landgebiets. Das Buch schließt mit einem Bildteil und wertvollen
Anhängen, einem Verzeichnis der Ratsmeister und Vierherren von
1510-1530, den Viten der ersten evangelischen Prediger bis 1550 und
einem interessanten Exkurs über einen Parteigänger Müntzers in
Erfurt. Neben einem Quellen- und Literaturverzeichnis fehlen auch