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Ausgabe:

1990

Spalte:

119-120

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Sieh-Burens, Katarina

Titel/Untertitel:

Oligarchie, Konfession und Politik im 16. Jahrhundert 1990

Rezensent:

Blaschke, Karlheinz

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 2

120

Sieh-Burens, Katarina: Oligarchie, Konfession und Politik im 16.

Jahrhundert. Zur sozialen Verflechtung der Augsburger Bürgermeister
und Stadtpfleger 1518-1618. München: Vögel 1986. 358 S.
gr. 8' = Schriften der Philos. Fakultäten der Universität Augsburg.
Historisch-sozialwissenschaftliche Reihe. 29. Kart. DM 48.-.

Die hohe Bedeutung der Stadt Augsburg für die Reformationsgeschichte
und die günstige Quellenlage begründen den allgemeinen
Wert einer mit sozialwissenschaftlicher Begrifflichkeit angepackten
Erforschung der Führungsschichten dieser Stadt, wobei der Blick auf
deren Verflechtung mit den Konfessionsfragen und der Politik gerichtet
ist. Der zeitliche Rahmen wird mit Luthers Auftreten auf dem
Reichstag und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges gesetzt. Die
Untersuchung erstreckt sich auf die 73 in diesen 100 Jahren im Amt
gewesenen Bürgermeister und Stadtpfleger, deren Wirken im Umfeld
der Stadtverfassung und ihrer Wandlung gesehen wird. Dabei ist die
Tendenz zur Verfestigung obligatorischer Strukturen unverkennbar
.

Die soziale Verflechtung wird durch die Kategorien der Verwandtschaft
, der Landsmannschaft, der Freundschaft (im alten Sinne), der
Patronage und der Nachbarschaft bestimmt. Auf diese Weise werden
vier Beziehungsnetze herausgearbeitet, die sich um die jeweils führenden
Familien Welser, Fugger, Herbrot und Seitz gruppieren. Die
Reformation komplizierte das politisch-soziale Gefüge, indem das
unterschiedliche Bekenntnis zu einem Element sozialer Beziehung
wurde. Das reformatorische Bekenntnis pflanzte sich vorwiegend entlang
der bestehenden Verbindungslinien fort: das Herbrot- und das
Seitz-Netz schlössen sich der zwinglianisch-bucerischen Richtung an,
die Welser-Gruppe neigte teilweise zum Luthertum, während das
Fugger-Netz mehrheitlich bei der alten Kirche verharrte."Einzelne
Ausnahmen innerhalb einer Gruppe und gemischtkonfessionelle
Ehen verhinderten allerdings eine scharfe konfessionelle Trennung
der Oligarchie, so daß soziale Bindeglieder zwischen den konfessionell
unterschiedlichen Gruppen den Zusammenhalt der städtischen Führungsschichten
sicherstellten.

Einen wesentlichen Anteil an den konfessionspolitischen Entscheidungen
hatten die nach Augsburg berufenen Prediger, die zwar nicht
selbst der Oligarchie angehörten, als' intellektuelle Führungskräfte
aber doch ein starkes Gewicht besaßen. Unter ihnen gewannen die
Zwinglianer in den zwanziger und dreißiger Jahren das Übergewicht
gegenüber den Lutheranern, die u. a. infolge unzureichender Personalpräsenz
ins Hintertreffen gerieten, während Bucer selbst mehrfach
anwesend war. Seine Richtung drückte daher auch der 1534 eingeführten
Reformation in Augsburg den Stempel auf. Dabei behielt
die städtische Obrigkeit die Führung der Kirchenangelegenheiten
ganz in ihrer Hand, der zeitweilig vorgesehene Posten eines Superintendenten
wurde nicht eingerichtet.

Seit den dreißiger Jahren ging mit dem Sieg der Reformation der
politische Einfluß der vorwiegend katholischen Fugger-Gruppe auf
ein Minimum zurück, doch führten auch die Glieder der drei reforma-
torischen Gruppen eine Politik des mittleren Weges. Bei aller konfessionellen
Konsequenz lag ihnen doch an der Aufrechterhaltung des
innerstädtischen Friedens, an der Erhaltung der Wirtschaftskräfte und
vor allem an einem guten Verhältnis zum Kaiser als Stadtherrn.

Der Anschluß der Stadt an den Schmalkaldischen Bund 1536 führte
sie in den Krieg 1546/47, dem 1548 der harsche kaiserliche Eingriff in
die Stadtverfassung folgte. Das neugeschaffene oberste Stadtpflegeramt
wurde fast ausschließlich mit Katholiken besetzt, das katholische
Fugger- und das bikonfessionelle Welser-Netz wurden jetzt die entscheidenden
Führungsgruppen, doch blieb die Obligarchie überwiegend
protestantisch. Unter diesen Gegebenheiten konnte sich konfessioneller
Friede und eine weitgehend konfliktfreie politische Zusammenarbeit
der Führungsgruppen einspielen.

Eine unbedingt bindende, standesbedingte Konfessionshaltung der
Patrizier und der Zünfte läßt sich nicht feststellen, die konfessionelle
Entscheidung des einzelnen hing vielmehr von seinen aktuellen

Sozialkontakten ab. Dabei spielte die Rücksicht auf die wirtschaftlichen
Interessen der Stadt stets eine hervorragende Rolle. Die Reformation
hat die reichsstädtische Herrschaftsstruktur nicht in der Tiefe
verändert, sie hat aber mit ihrem Zwang zu konfessioneller Entscheidung
die Machtverteilung innerhalb der Oligarchie verändert, die seit
I 548 einen weiteren Auftrieb erhielt.

Die auf einer immensen Quellengrundlage aufgebaute, aus einer
Augsburger Dissertation hervorgegangene Arbeit bereichert das Wissen
der Reformationsgeschichte um die Zusammenhänge von Religion
, sozialer Struktur und Politik anhand eines hervorragenden Einzelfalles
, rückt bekannte Namen und Ereignisse in ein neues Licht,
zeigt ein frühes Beispiel konfessioneller Koexistenz und unterstreicht
erneut die Sinnhaftigkeit und Fruchtbarkeit der sozialgeschichtlichen
Methode im Blick auf die Reformationsgeschichte.

Friedewald b. Dresden Karlheinz ßlaschke

Kirchengeschichte: Neuzeit

Parker. Gcoffrey: Der Dreißigjährige Krieg. Aus dem Engl, von
U. Rennen. Frankfurt/M.-New York: Campus 1987. 401 S. m. 4
Ktngr. 8". Lw. DM 58,-.

Das Buch ist ein Sammelwerk von zehn Historikern aus verschiedenen
Ländern, in der Mehrzahl Amerikaner und Engländer, einer
kommt aus Kanada und einer aus Dänemark. Die Hauptverantwortung
trägt Geoffrey Parker, Professor für Neuere Geschichte an der
Universität von Illinois. Er wurde 1977 von dem amerikanischen Verlag
Routledge & Kegan Paul gebeten, eine neue Darstellung des
Dreißigjährigen Krieges zu verfassen. Er stellte bald fest, daß der Umfang
von Untersuchungen und Dokumenten zu groß war, als daß ein
Verfasser allein ihn bewältigen könnte. Deshalb wurde eine Reihe von
Fachhistorikern gebeten, über ihr Spezialgebiet zu schreiben. Diese
Beiträge sind von Parker überarbeitet und zusammengefügt worden.
Das Buch ist auch von dieser Entstehung geprägt. Es bietet eine breitere
Übersicht über alle Aspekte und Phasen des Krieges. Dagegen
fehlt der Zusammenhang im Denken und der Bewertung der Geschehnisse
, den ein einziger Verfasser seinem Werk gibt oder geben kann.
Jetzt bleibt es dem Leser überlassen herauszufinden, was groß oder
klein, wichtig oder weniger wichtig in diesem Verlauf ist. Als übersichtliches
Nachschlagewerk, um verschiedene Interpretationsmöglichkeiten
schnell herauszufinden, ist das Buch jedoch von Nutzen.
Das Buch ist pädagogisch angelegt mit einem großen, 30 Seiten umfassenden
chronologischen Überblick und mehreren Karten von den verschiedenen
Phasen des Krieges. Die Schilderung des Verlaufes des
Krieges ist chronologisch in fünf Kapitel gegliedert mit Ausnahme des
letzten Kapitels, das sozial- und kulturgeschichtlich angelegt ist.

Der Dreißigjährige Krieg wird oft der letzte Religionskrieg Europas
genannt. Diese Beurteilung ist zugleich richtig und falsch. Bei den
Friedensverhandlungen waren Duldung des Calvinismus und Restitution
der säkularisierten Kirchengüter die strittigsten Punkte. Aber der
Grund hierfür war, daß sie die Fragen aufwarfen, wer in religiösen
Streitfragen entscheiden könnte, und ob alle Landesfürsten das Recht
hatten, eigene Meinungen kaiserlichen Erlassen gegenüber geltend zu
machen. Die katholische Partei wollte den Religionsfrieden von 1555
aufheben und für ungültig erklären. Aber alle Beteiligten an der Friedenskonferenz
strebten danach, daß das von ihnen festzulegende neue
Gleichgewicht der Konfessionen von Dauer sein sollte und waren deshalb
so unnachgiebig in den Verhandlungen. „Der Pfad zum Frieden
war schmal und alles andere als geradlinig" wird auf Seite 265 zusammengefaßt
. Diese Schwierigkeiten werden im 4. Kapitel vorgeführt.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg waren die beiden Parteien zahlenmäßig
fast gleich stark; auf der katholischen Seite waren 72 Mitglieder
, auf der protestantischen 73. Doch schienen die Katholiken anfangs
im Vorteil zu sein. Der Kaiser stand zwar grundsätzlich auf der