Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1990

Spalte:

112

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Theißen, Gerd

Titel/Untertitel:

Studien zur Soziologie des Urchristentums 1990

Rezensent:

Walter, Nikolaus

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

III

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 2

112

mann (und Luise Schottroff)behaupteten johanneischen ..Entscheidungsdualismus
'* sowie der damit zusammenhängenden ..Verwürflung von Erleuchtung
und Offenbarung" (S. 227) den Kampf ansagt. Ein Verzeichnis der „Benutzten
Literatur"' bildet den Abschluß des Buches (S. 237-247); leider fehlt ein Stellenregister
.

Eine gerechte Beurteilung der Arbeit fällt schwer. Gravierende
Ungereimtheiten rühren zweifellos daher, daß eine vor drei Jahrzehnten
entstandene Abhandlung erst jetzt publiziert wurde, aber dennoch
den Anschein einer aktuellen Untersuchung erwecken soll. Vermutlich
aus diesem Grund fehlt ein Vorwort, dem der Leser gern die Entstehungsgeschichte
des vorliegenden Buches entnommen hätte, u. a. den
Namen des Doktorvaters sowie Datum, Fakultät (theol.? phil.?) und
Universität der Promotion; erst aufS. 225 wird das Jahr 1959 genannt.
Daß Malmedes Arbeit „vollständig neu gefaßt" worden sei (S. 225), ist
kaum glaubhaft; noch immer spricht er vom „Spätjudentum" (passim,
z. B. S. 116, Anm. 212) und zitiert Qumrantexte (Vf.; „DSS") nicht mit
den - spätestens seit Eduard Lohses (vom Vf. nicht benutzter) zweisprachiger
Textausgabe von 1964 - üblichen Siglen (IQS usw.), sondern
nach den Seiten (mit Angabe „Sektenkanon, Kolumne" oder „Spalte")
der deutschen Ausgabe von Miliar Burrows' „Schriftrollen vom Toten
Meer" aus dem Jahre 1957 (S. 116-120).

Obgleich das Literaturverzeichnis auch nach 1959 erschienene Publikationen
verzeichnet, sind diese im Textteil höchstens mit einer Kußnote berücksichtigt
worden; zu intensiver Einarbeitung, etwa gar zur Korrektur der eigenen
Positionen ist es - begreiflicherweise - nicht mehr gekommen. Eine Auseinandersetzung
mit den einschlägigen ThWNT-Artikeln do.xu (Gerhard Kittel.
1935),pyr (Friedrich Lang, 1959), siokheion (Gerhard Delling. 1964) und phos
(Hans Conzelmann. 1973) fehlt gänzlich; nur Gerhard Kittels Artikel doxa
(1935) wird auf S. 9f ein paarmal - ablehnend - erwähnt, wenn auch ohne
Nennung des Erscheinungsjahres. Im Literaturverzeichnis werden Lexika überhaupt
nur kumulativ genannt (S. 237). nicht etwa die einzelnen Artikel unter
dem Autornamen aufgerührt, so daß man den Namen Conzelmann nicht nur im
Kapitel phos (S. 61-135), sondern auch^im Literaturverzeichnis vergeblich
sucht. Daß die Abhängigkeit Johannes des Täufers und des Neuen Testaments
von der Qumran-Sckte in der „Tagespresse" diskutiert werde (S. 116.
Anm. 212), trifft für die Jahre um 1958 zu. gewiß nicht mehr für die Gegenwart.
Schwerer wiegt das Fehlen neuerer exegetischer Spezialliteratur zu ganzen
Kapiteln, etwa des Aufsatzes von Eduard Schweizer („Die .Elemente der Welt'
Gal 4,3.9; Kol 2,8.20" in FS Gustav Stählin 1970) zum Kapitel sioichcia
(S. 136-138) oder desjenigen von Martin Ftengel / Helmut Merkel („Die
Magier aus dem Osten . . ." in FS Josef Schmid 1973) zu ..Der Stern von Bethlehem
" (S. 191-195); die Zahl derartiger Beispiele ließe sich beliebig vermehren.
So ist Malmedes Buch ein cindrücklichcr Beleg für die Forderung, eine Dissertation
entweder sofort zu veröffentlichen oder, wenn nach Jahrzehnten zu einer
wirklichen Überarbeitung Zeit oder Möglichkeit fehlen, überhaupt nicht mehr;
allenfalls wäre zu erwägen, den unveränderten Wortlaut des Promotionsexemplars
abzudrucken und dadurch - wie bei Adolf Schlatters 1956 durch
Wilhelm Michaelis publizierter Dissertation von 1880 - wenigstens den
Forschungsstand zurZeit der Promotion zu dokumentieren.

Auch für eine Monographie von 1959 bleiben mancherlei Wünsche
offen. Die stark polemische, nicht selten überhebliche Abgrenzung
gegenüber Rudolf Bultmann (vgl. S. 1, 76f, 112-115 u. ö.), heute 14
Jahre nach Bultmanns Tod - zumindenst in der Form schwer
erträglich, war 1959, wenn auch u. U. vom sicheren Port einer philosophischen
Fakultät aus, vielleicht ein Zeichen persönlichen Mutes.
Freilich wagt der Vf. auch sonst vorschnelle Urteile, die vom exegetischen
Befund längst nicht immer gedeckt werden. Ist es denn so sicher,
daß „in einem Gleichnis das Licht nicht in übertragenem Sinn begegnet
" und in Mt 25,1-13 „die Bedeutung des Lichts . . . sich . . . gänzlich
in der einer profanen Nachtleuchte" erschöpft (S. 4, Anm. 2)?
Wieso hat das Feuer in der Johannes-Apokalypse den „Gedanken
seiner Angemessenheit an das Wesen des richtenden Gottes ... längst
verloren" (S. 40)? Nur wer die starke Traditionsgebundenheit der altjüdischen
(und frühchristlichen) Apokalypse nicht verstanden hat,
kann abwertend feststellen: „Überhaupt sind die Plagen der Apokalypse
nicht phantasiereich" (S. 40). Dagegen tadelt der Vf. die astronomische
Deutung von Apk 12 durch Arthur Drews als „phantastisch
" (S. 151, Anm. 33) - als ob nicht auch die Astronomie bzw.
Astrologie zur „Weisheit" des Apokalyptikers gehörte ... Vom Licht

im himmlischen Jerusalem (Apk 21, 23f; 22,5) schreibt der Vf., hier
sei „eine symbolische Bedeutung über seine physische Wirkung
hinaus . . . nicht festzustellen" (S. 61). Zu einem hinsichtlich seiner
Echtheit und Provenienz so umstrittenen, aber für sein Thema so entscheidend
wichtigen Text wie 2Kor 6,14-16 bietet der Vf. nur sieben
Zeilen (S. 1210.

Ganz offensichtlich ist der Vf. weder religions- noch traditionS'
geschichtlich interessiert. Auswahl und Bewertung des Belegmaterials
sind begründet in Malmedes eigenwilligem, jedenfalls nicht am antiken
Denken orientierten Symbolbegriff (vgl. S. 3f) und in dessen Veri-
fizierbarkeit an Texten des Neuen Testaments. Malmedes eigentliches
Thema ist „Symbol und Sprache"; das letzte Kapitel des
Buches entwickelt am Beispiel neutestamentlicher Lichtsymbolik.

-metaphorik und -motivik grundlegende Postulate (S. 219: .....den

Bezug aufs Gemeinte auf das Symbol zu beschränken und es in einen
Motivzusammenhang einzugliedern, dessen Darstellung vordergründig
bleibt und das Symbolisierte ihm jenseitig läßt. Solche gleichsam
punktuelle Repräsentation, die das Symbol im engeren Sinn kennzeichnet
, läßt diesem wie der Sprache gleiches Recht und verteilt
beider Funktionen so, daß sie sich im Schnittpunkt ergänzen, indem
das sprachlich seiner Motivstruktur gemäß Dargestellte zugleich, insofern
an sich selbst sprachjenseitig, den Symbolbezug leistet"), die für
den Sprachphilosophen und -Psychologen bedeutsam sein mögen.
Der Neutestamentlcr ist dankbar für eine umfangreiche Sammlung
der neutestamentlichen Belege zum Thema Licht mit zahlreichen
Hinweisen auf ältere Literatur; da unabhängig von dem großen
ThWNT-Artikel phos entstanden, erlaubt Malmedes Monographie
mancherlei Vergleiche. Rückfragen, Kontrollen und Ergänzungen zu
Conzclmanns Behandlung dieses wichtigen biblischen Themas.
Mainz OttoBöcher

Theißen, Gerd: Studien zur Soziologie des Urchristentums. 3., erw.
Aull. Tübingen: Mohr 1989. X, 395 S. gr. 8° = WUNT, 19. Kart.
DM 49,-.

DerinThLZ 107, 1982, 603-606 rezensierte, anläßlich der 2. Auflage
in ThLZ 109, 1984, 350f als der bisher „eindrucksvollste Beitrag
deutscher Exegese zur soziologischen Fragestellung in der Bibel-
wissenschaft" charakterisierte Band gesammelter Aufsätze Theißens
zu soziologischen Aspekten in der Geschichte und'den Schriften des
Urchristentums liegt nun - keineswegs überraschend - in>3.. erneut erweiterter
Auflage vor. Die Erweiterungen betreffen vor allem die
„Auswahlbibliographie zur Sozialgeschichte des Urchristentums"
(S. 331-370), deren Umfang etwa verdoppelt werden; sie reicht nun
bis 1988. Auch ihre Anlage wurde verändert: in der systematischen
Anordnung werden jetzt nur die Namen der Autoren mit der Jahreszahl
der betreffenden Publikation genannt; die vollständigen
bibliographischen Angaben finden sich in der alphabetisch geordneten
Bibliographie. Das erspart manche Wiederholung von Titeln, die
mehrfach zu nennen sind. Die Systematik ist noch etwas differenziert
worden (neu z. B. „5.5 Beurteilung des Urchristentums von außen"
sowie unter 7. spezielle Abschnitte zu den „Sozialformen" bei den
einzelnen Synoptikern und in den Gemeinden von 1 Petr, Jak und
Oflb). Insgesamt ist damit der Nutzen dieses wichtigen ArbeitshillS'
mittels noch erhöht worden. Neu sind weiterhin ein Personenregister
(S. 387-389), ein Autorenregister (zu den Aufsätzen, nicht zur
Bibliographie, S. 390-393) und ein Sachregister (S. 3940. Einige
Druckfehler wurden berichtigt, andere blieben stehen (darunter auch
einige der in ThLZ 109, 35Qf genannten; z. B. fehlt noch immer das
halbe Wort auf S. 330 Z. 8). - Man kann nur wünschen, daß Theißens
Aufsätze wie schon bisher, so auch weiterhin die Arbeit befruchten.
Studenten in die soziologischen Fragestellung in der Exegese ein'
führen und zu ähnlichen Arbeiten auf benachbarten Feldern anregen-
Denn gerade seine immer exakte, aber nicht ideologisch überformte
Arbeitsweise vermag exegetisch wirklich weiterzuführen.

Jena/Naumburg (Saale) Nikolaus Walter