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Ausgabe: | 1990 |
Spalte: | 105-107 |
Kategorie: | Neues Testament |
Autor/Hrsg.: | Weiß, Wolfgang |
Titel/Untertitel: | "Eine neue Lehre in Vollmacht" 1990 |
Rezensent: | Pokorný, Petr |
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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 2
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folgen aufeinander die Charakterisierungen Jesu als exemplarischer gespräche. 1921) die erste gedruckte deutsche Monographie, die den
Jude (Joseph Klausner, Leo Baeck). mahnender Prophet (C. G. Streit-und Schulgesprächen gewidmet ist.
Montefiore). jüdischer Freiheitskämpfer (Robert Eisler. Joel Carmi- Aus der Übersicht der Forschungsgeschichtc (Teil 1) folgt, daß zum
chael). ..großer Bruder" (Martin Buber. Schalom ben Chorin), messia- Konsensus die Voraussetzung einer vormarkinischen Bearbeitung
nischer Zionist (Pinchas Lapide). scharfer Kritiker (Hans Joachim und Sammlung der Perikopen aus Mk 2.1-3,6 gehört (zu Mk 2,1-3,6
Schoeps). prophetischer Künder (David Flusscr), endzeitlicher Revo- s. die Monographie von W. Thissen; Rez. ThLZ 104, 1979, 578-580).
'utionär (Robert Raphael Geis) und schließlich als „uneinreihbarer W. versucht jedoch den zweiten Teil des Konsensus in Frage zu stellen
Jude" (Samuel Sandmcl. Ernst Ludwig Ehrlich). und die Sammlung eher der markinischen Redaktion zuzuschreiben.
Allen Positionen gemeinsam ist. daß Jesus ,.als Jude und sonst Zum Problem wird dann m. E. die Berufungsszene 2.13f. die am
nichts" (26) erscheint. Dabei wird in je unterschiedlicher Weise seine besten als markinischer Einschub in ein vorgegebenes Ganzes zu
Verwurzelung in der religiösen Geschichte des Judentums herausgc- deuten ist.
stellt, sei es unter Betonung oder unter Abschwächung der antiphari- Der Hauptteil der Arbeit (Teil 2) ist der Analyse der Streit- und
tischen Komponente, unter Herausstellung oder Zurückdrängung Schulgespräche des Markusevangeliums gewidmet, wobei W. zu den
des apokalyptisch-messianischen Elements. In seiner Zusammen- Streitgesprächen Mk 2,1-12; 2,15-17; 2,18-22; 2,23-28; 3,1-6;
fassung (79-83) betont der Vf.. daß sich die Breite des Spektrums 3,22-30; 7,1-23 und 11,27-33 (Mk 2,1-12; 3,22-30 u. 11,27-33
sowohl durch die stark voneinander abweichenden subjektiven Vor- bilden als Streitgespräche zum Wirken Jesu nach W. eine Sonderform)
entseheidungen als auch durch die unterschiedliche Wertung der und zu den Schulgesprächen Mk 10,2-12; 12,13-17; 12,18-27 und
Quellen (von der Jesusbiographik Klausners bis zur Rezeption des 12,28-34 rechnet. Zunächst widmet er sich den Streitgesprächen zu
modernen Kritizismus bei Sandmel und Ehrlich) ergibt. Fragen christlicher Lebenspraxis, von denen die meisten in 2,13-3,6
In einem kürzeren zweiten Teil (84-140) werden Einzelthemcn gesammelt sind, dann den Streitgesprächen zum Wirken Jesu, die vor
querschnittartig behandelt. Dabei kommen neben den bereits einge- allem seine Vollmacht betreffen, und zuletzt den Schulgesprächen
führten Autoren auch andere Stimmen einschließlich der christlichen (Ehescheidung. Zensusfrage, die Frage der Auferstehung, das höchste
Gegenreaktionen zu Wort. Besonders interessant sind die Abschnitte. Gebot), welche durch direkte Frage eingeleitet sind. Im Unterschied
in denen Jesu Selbstverständnis (88-93) und seine Stellung zu den zu K. Berger. der sein Verzeichnis literarischer Formen des Neuen
Gruppierungen seiner Zeit (94-98) zur Sprache kommen. Nicht über- Testaments (von den literarischen Gattungen bis zu den einzelnen
raschen kann, daß in der Beurteilung der Reichgottesverkündigung Modalitäten)auch Formgeschichtc nennt (Formgeschichte des Neuen
Jesu die Differenz zwischen jüdischen und christlichen Jesus- Testaments, 1984), nimmt W. das Anliegen der formgeschichtlichcn
Erstellungen deutlich zu Tage tritt (102-107). Sie muß unüberbrück- Schule auf. d. h. er untersucht die Texte auch diachronisch, um ihre
bar werden, wo man über die historische Rekonstruktion hinaus zur Vorgeschichte zu klären. Die Untersuchung der markinischen Redak-
'heologischen Wertung vorstößt. Das gilt auch für die Messiasfrage im tion dient ihm zwar nur zur Aussonderung der letzten Schicht, die
engeren Sinne. Es bleibt innerhalb des Judentums eine Ausnahme- literarisch den umfassenden Rahmen bildet, aber es ist auffällig, wie
Position, wenn man mit Schoeps. Flusser oder Lapide einräumt, daß viel er Markus zuschreibt. Markus habe nicht nur die Rahmenszenen,
der kommende Messias die Züge Jesu von Nazareth tragen könnte sondern auch einige Zwiegespräche (z. B. 10,3-5.6-8) und ganze
(93).
Szenen (2,5b— 10) z. T. aus übernommenen Elementen komponiert.
Der abschließende Teil gilt den Problemen, die mit dem Prozeß Die als Streit- und als Schulgespräche funktionierenden Perikopen
Jesu und der immer wieder aufgeworfenen Frage nach der Schuld der lagern sich nach Meinung W.' an kurzen Sentenzen an. Markus hat
Juden am Tode Jesu zusammenhängen. Die Diskussion, die beson- z. B. durch 2,5b-9 die aus christlicher Tradition übernommene Aus-
ders in der angelsächsischen Welt intensiv geführt wurde, wird in einer sage über die Vollmacht des Menschensohns veranschaulicht,
aren.aufdie Hauptpositionen beschränkten Überschau präsentiert. Der formgeschichtlichc Ertrag der anregenden Analysen wird im
au es der jüdischen Forschung vor allem darum ging, den Prozeß dritten Teil zusammengefaßt. Die Grundform der Streitgespräche ist
esu vor dem Synedrium in seiner Bedeutung herabzumindern oder in danach ein Dialog, in dem sich ein Vorwurf (oder Angriff) und die
^'ner Historizität gänzlich zu bestreiten, wird eindrucksvoll dargetan. Antwort in direkter Rede gegenüberstehen. Die Antwort Jesu war
•e sehr sich diese Sicht trotz des andersartigen methodischen An- dabei, wie gesagt, die Keimzelle der Form. Es handelt sich kaum um
^atzes mit der tendenzkritischen und formgeschichtlichen Bewertung authentische Logien, sondern um Sentenzen, die zwar als weisheit-
es Passionsberichts in der neueren Synoptikerforschung berührt, liehe Sprüche oder Sprichwörter schon vor Markus mit Berufung auf
""d gerade in der Darstellung durch einen professionellen Neutesta- die Autorität des irdischen Jesus tradiert wurden, die jedoch zur
entler sichtbar. Auch wenn man ihr nicht in allen Punkten zu folgen Begründung christlicher Lebenspraxis dienten (z. B. „Der Sabbat ist
Verrnag, bietet die moderne jüdische Erforschung des Prozesses Jesu um des Menschen willen gemacht.. .". Mk 2.27). Der Vorwurf der
e'ne unschätzbare Hilfe, um dem verhängnisvollen, antijudaistisch Gegner enthält die Frage nach der Legitimation des Verhaltens Jesu
'n.strurnentierten Schuldvorwurf gegen das ganze jüdische Volk end- oderseiner Jüngerund die Feststellung über die Unvereinbarkeit jenes
■8 den Abschied zu geben. Verhaltens mit der geltenden Ordnung.
Lein/iu/u n ,c ■> ■■,,<• «p'n Die Motive der Streitgespräche können nach W. auf die Geschichte
v'P^ig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel
Jesu zurückgehen, ihre Form und Funktion haben sie in den Debatten
innerhalb der Gemeinde gewonnen, in denen die Judenchristen mit jüdischen
Argumenten versucht haben, die neuen Bräuche der Gemeinde
NeilGS Testament in Frage zu stellen. Die Gruppen, die die Oberhand gewonnen haben,
mußten ihre Praxis z. T. mittels hellenistischer Argumentationsmuster
Weiß U7„,r _, ..... _. ■ . , verteidigen. Die Rahmenszenen sind gegenüber der Grundform (dem
Wollgang; „Line neue Lehre in Vollmacht". Die Streit- und Tr. - . , , 7■ • u rr ■ a fk
Scnulsesr.rä^i,, , , c ■• D , x,„„ Dialog) eine Erweiterung, welche der historischen Fixierung der Uber-
"Jigcsprache des Markus-Evangeliums. Berlin (West)-New ,. „ • /° . ,
ork: de Gruyter 1989 XI 409 S gr 8' = BZNW 52 Lw. heferung dient. Dafür spricht nach W. die Spannung zwischen der kon-
^M 136 _ kreten Einzelszene und der allgemeinen Lösung des Sachproblems.
_ Die Schulgespräche sind nicht entstanden, um ein Verhalten in
Js von W. behandelte Problem tauchte mit der formgeschicht- apologetischer Absicht zu legitimieren. Sie sind durch die jeweilige
en Forschung auf und ist seit den siebziger Jahren wieder lebendig Schulfrage veranlaßt. Die Antwort ist enger als in den Streitig
Das vorliegende Buch (als Mainzer Dissertation entstan- gesprächen mit dem Sachkontext verbunden, wenn auch W. z. B. die.
lst nach der Studie von M. Albertz (Die synoptischen Streit- Antwort in 12,17 (Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. und Gott, was