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Ausgabe:

1990

Spalte:

104-105

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Vogler, Werner

Titel/Untertitel:

Jüdische Jesusinterpretationen in christlicher Sicht 1990

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 2

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gänge einige Fragen auf, welche der weiteren Überlegung bedürfen.
Erstens beklagt der Rez. die leider sich ausbreitende Unart, im Blick
auf die vorausgegangene Forschung zunächst einmal tabula rasa zu
machen, um so den Freiraum Tür eigene Aktivität zu bekommen, auch
ein wenig bei dieser Arbeit. Wenn man das Urteil über die Beiträge
von Buss, Illman u. a. mit dem Ertrag der vorliegenden Arbeit vergleicht
, muß man jene Demontagen (im 2. Kapitel) zumindest für viel
zu breit, vielleicht auch für ungerecht halten. Zweitens ist festzustellen
, daß die so scharfsinnig angelegte Methodenkritik an der „Traditionsgeschichte
" (im 1. Kapitel), vor dem Phänomen der sogenannten
„Ephraim-Tradition" kapituliert, sie einfach voraussetzt, bzw. von R.
R. Wilson übernimmt (s. S. 60), aber nicht in gleicher Weise kritisch
hinterfragt. Gemeint ist der ganze dt-dtr Komplex, dazu E, Hos, Jer,
d. i. alles, was nordisraelitischer bzw. nichtjudäischer Herkunft ist. Ist
dies schon eine definier- und hantierbare oder allseits anerkannte
Größe? Drittens fehlt m. E. in der Untersuchung eine redaktionskritische
, bzw. - sit venia verbo - literarkritische Analyse der Texte. Man
kann heute nicht mehr davon ausgehen, daß so komplizierte Gebilde
wie Ps 80 (W. Beyerlins Analyse bleibt unerwähnt) oder Ps 50 oder
Ps81 oder Ps 77 oder Ps 78 integre literarische Einheiten sind, die
sich harmonisch aus einer theologisch homogenen Tradition ableiten
ließen. Hier sind die Dinge doch sehr viel komplizierter. Vor allem die
individuellen Partien der Texte, aber auch die erkennbaren Umstellungen
, Ergänzungen, Spuren von relecture verlangen eine Erklärung.

Es ist zu begrüßen, daß solche Werke wie jenes von Goulder und das
vorliegende entstehen. Es wird seinen Weg machen und sicherlich
weitere Untersuchungen anregen.

Basel Klaus Seybold

Brueggemann, Walter: To Pluck Up, To Tear Down. A Commentary
on the Book of Jeremiah 1-25. Grand Rapids: Eerdmans;
Edinburgh: Handsei 1988. X,222 S. 8" = International Theological
Commentary. Kart. £ 6.75.

Die Absicht der Kommentarreihe, Pfarrern und Lehrern eine von
der Einheit der Heiligen Schritt ausgehende theologische Interpretation
des Alten Testaments zu bieten, ist in diesem Jeremiakommentar
sehr bewußt aufgenommen und durchgeführt worden. Ihr entsprechend
ist die Auslegung der ersten 25 Kapitel von jeglichem
wissenschaftlichen „Ballast" möglichst freigehalten. So ist auf die
Übersetzung des Textes völlig und auf die Behandlung textkritischer
Probleme fast vollständig verzichtet worden. Nur gelegentlich einmal
wird in Anmerkungen kurz auf sie eingegangen. Daß die Forschung in
ihrer Breite dennoch im Blick ist, belegen nicht nur die in die knappen
Einführungen zu den einzelnen Textabschnitten eingestreuten Hinweise
auf Einsichten oder kontroverse Auffassungen der Jeremia-
interpretation und die Hinweise auf weiterführende Literatur, sondern
ist auch durch den Vf. selbst sicher gestellt. Seine frühere
Arbeiten zum Jeremiabuch weisen ihn als einen profunden Kenner
der Materie aus.

Die besondere Zielsetzung des Kommentars läßt es dringend geboten
erscheinen, zum besseren Verständnis der Auslegung der
Einzelabschnitte vorweg die Einleitung in den Kommentar zur
Kenntnis zu nehmen (S. 1-19). In ihr werden die hermeneutischen
Grundentscheidungen entfaltet und begründet, die die Kommentierung
entscheidend prägen. Schon die einleitende kurze Skizze des
historischen Umfelds des Jeremiabuchs (S. 1 -2) nutzt der Vf. zu dem
Hinweis, daß die Jeremiaüberlieferung eine theologische Alternative
zu einer realpolitischen Einschätzung des Zeitgeschehens bietet. Sie
wird, wie ein Abschnitt über die theologischen Traditionen (S. 2-7)
entfaltet, im wesentlichen von drei Elementen geprägt: l.Israel's
covenant with Yahweh, rooted in the memories and mandates of the
Sinai; 2. the pathos of Yahweh; und 3. the royal-temple ideology of
Jerusalem. Während letztere den negativen Hintergrund der Jeremia-
verkündigung darstellt, dient die Bundestheologie der Interpretation

der Ereignisse als Strafe für Schuld und hält die Rede vom Pathos
Jahwes dessen Freiheit fest, die Bundessanktionen zu überschreiten,
worin der Grund neuer Hoffnung für Israel zu suchen ist.

Die Beschreibung des Forschungsstandes (The Book: S. 7-10) beschränkt
sich auf eine kurze Skizze von drei Positionen (1. konservativ
-kritisch: W. L. Holladay und J. Bright; 2. redaktionsgeschichtlich
: R. P. Carroll, P. R. Ackroyd und E. W. Nicholson; und 3. cano-
nical approach: B. S. Childs). Dabei kann auf eine kritische Beurteilung
der angebotenen Alternativen verzichtet werden, weil es
nach Meinung des Vf. im Blick auf die theologische Zielsetzung des
Kommentars völlig ausreicht festzuhalten, daß die theologische Tradition
des Jeremiabuches lange nach dem Ende von Jeremias Tätigkeit
lebendig und wirksam blieb. Es ist darum auch nicht erforderlich,
durch das von der Überlieferung gezeichnete Bild Jeremias zum historischen
Jeremia durchzustoßen; ein Unterfangen, das ohnehin als fast
aussichtslos angesehen wird (The Person of Jeremiah: S. 10-12).

Im letzten Abschnitt der Einleitung (An Interpretive Perspective:
S. 12-19) werden die soziologische und die literarische Analyse als
diejenigen beiden methodischen Zugänge zum Text herausgestellt, die
den Kommentar im besonderen prägen. Mit der soziologischen
Analyse sollen diejenigen gesellschaftlichen Kräfte herausgearbeitet
werden, die hinter den in den Texten sichtbar werdenden Konflikten
stehen, in ihnen wirksam werden und unter neuen sozialen Bedingungen
der Folgegenerationen weiterwirken. Die literarische Analyse soll
die der Sprache inhärente Möglichkeit, alternative Weltsichten zu
entfalten und anzubieten, deutlich werden lassen. Dabei wird erwartet
, daß neue Horizonte des Verstehens eröffnet werden, die den Leser
in die Krise und zu neuer Hoffnung führen.

Solcher Umgang mit den Texten führt nach Meinung des Vf. den
Leser aus seiner gegenwärtigen Wirklichkeit heraus und in eine neue
Wirklichkeit hinein, die im Augenblick des Redens und Hörens geformt
wird. Die Folge dieser Sicht der Wirksamkeit von biblischen
Texten ist, daß auf Interpretation und Applikation der Texte auf die
Gegenwart verzichtet werden kann, ja, verzichtet werden muß. Denn
nicht die Texte sind auf die modernen Gegebenheiten hin auszulegen,
sondern die gegenwärtige Situation ist dem Anspruch der Texte auszusetzen
. "A commentary as this one must focus on what the text of
Jeremiah meant in its ancient speaking and hearing. But that anci'ent
speaking and hearing keeps pushing into our present. What is 'meant'
has incredible power to 'mean' now."

Erlangen Gunther Wanke

Judaica

Vogler, Werner: Jüdische Jesusinterpretationen in christlicher Sicht.

Weimar: Böhlau 1988. 151 S. gr. 8' = Arbeiten zur Kirchengeschichte
, 11. Lw. M 19,-.

Es ist erst ein Jahrhundert her, daß im jüdischen Bereich nach vereinzelten
Voraussignalen an die Stelle der Jesuspolemik die Auseinandersetzung
mit der Gestalt Jesu von Nazareth und bald auch eine
wissenschaftliche Jesusforschung trat, getragen vor allem von
deutschen und englischsprachigen Autoren. Es hat dann geraume Zeit
gedauert, bis diesem Bemühen auf christlicher Seite die gebührende
Aufmerksamkeit zuteil wurde. Von Ausnahmen abgesehen geschah
dies erst nach dem 2. Weltkrieg, als mit dem beginnenden christlichjüdischen
Dialog die Jesusfrage ins Zentrum rückte. Da Berichterstattung
und Kritik zumeist in Aufsätzen und Rezensionen erfolgte,
ist eine Aufarbeitung in monographischer Form, wie sie jetzt der
Leipziger Neutestamentier Werner Vogler vorlegt, besonders willkommen
.

Nach einer Würdigung des geistigen Weges, der zur modernen
jüdischen Jesusforschung führte (12-25), bietet der Vf. zunächst eine
Reihe von Porträtskizzen jüdischer Jcsusbilder dar, wo unter signifikanten
Überschriften jeweils ein oder zwei Namen erscheinen. So