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Ausgabe:

1990

Spalte:

915-917

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lies, Lothar

Titel/Untertitel:

Sakramententheologie 1990

Rezensent:

Wenz, Gunther

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 12

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Lies, Lothar: Sakramenten-Theologie. Eine personale Sicht. Graz-
Wien-Köln: Styria 1990. 375 S. 8". Kart. ÖS420.-.

Bereits in einer 1983 publizierten Studie hatte L. Lies SJ die, wie es
im Titel hieß, „Trinitätsvergessenheit gegenwärtiger Sakramententheologie
" (ZKTh 105, 290-314) in Frage gestellt. Daran schließt das
vorliegende Buch unmittelbar an mit der Diagnose: „Unsere Sakra-
mentenspendung heute leidet an einer erschreckenden Trinitätsvergessenheit
." (192) Ihr versucht L., Professor für Katholische Dogma-
tik an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck und
gleichzeitig Rektor des dortigen Jesuitenkollegs .Canisianum', mit der
für seine Gesamtkonzeption zentralen These zu begegnen, daß allen
Sakramenten eine trinitarische Dynamik innewohne und der dreifaltige
Gott selbst das Ursymbol aller sakramentalen Begegnungen sei
(vgl. zusammenfassend 3671).

Trinitarisch verlaßt ist bereits der Pcrsonbcgriff bzw. der Begriff personaler
Begegnung, den L. seiner Sakramententheologie zugrunde legt. „Die immanente
Trinität ist ihrem Wesen nach .sakramental', insofern die eine göttliche
Person sie selbst ist in und über die anderen Personen. Eine Vcrson macht die
andere Person ansichtig .. . Das im dreifältigen Gott gegebene Modell Begegnung
ist die Perichorese. Unvermischt und ungetrennt verhalten sich die drei
göttlichen Personen zueinander. Person ist eine perichoretische Wirklichkeit.
Daher gehören Sakramente als Begegnungsweisen von Personen in und unter
die Vorstellung von Perichorese." (367) Symbolische Spuren der perichore-
tischen Wirklichkeit des trinitarischen Personlebens entdeckt L. unter Bezug
auf die Appropriationslehre bereits in den mannigfachen Begegnungsweisen
menschlicher Personen. Dem Aufweis solcher vestigia trinitatis dient, neben
dem Einleitungskapitel (15-65) besonders das Kapitel III, welches die „Sakramente
in der Ordnung der Schöpfung" (129-169) bedenkt. Da jede Person die
Personmitte des anderen benötige, um sich selbst zu begegnen (51). deute bereits
das menschliche Personleben samt seinen personalen Begegnungsräumen auf
jene als Identität von Identität und Differenz strukturierte Einheit hin, wie sie
die perichoretische Personalität des dreieinigen Gottes kennzeichne. Aus diesem
Zusammenhang will der ursprüngliche Sinn des Symbol- und Sakramcnts-
begriffs verstanden sein: „Symbol im personalen Sinn ist dann gegeben, wenn
die eine Person zum Ort und Ausdruck der anderen Person wird, ohne mit ihr
identisch zu sein. Symbol und mit ihm dann auch das Sakrament als Begegnung
ist in letzter Tiefe in der Begegnung von Personen begründet, weil die eine
Person der anderen so Raum geben kann, daß sie Gemeinschaft haben, ohne
getrennt zu sein, und diese Gemeinschaft doch nicht Vermischung besagt und
doch eine im anderen lebt und ansichtig wird." (52)

Anthropologisch präzisiert und vertieft wird diese Bestimmung durch eindrückliche
Analysen zur Leiblichkeit menschlichen Pcrsonscins. die hinwiederum
mit inkarnationstheologischen Erwägungen zur leibhaften Gestalt des
Logos und ihrer sakramentalen Bedeutung verbunden werden. Diese Erwägungen
leiten zugleich dazu über, „Sakramente als Begegnungsräume mit dem dreifältigen
Gott zur Personwerdung des Menschen" zu bedenken, wie dies im
IV. Kapitel geschieht (171-227). Dessen Ergebnis läßt sieh in Kürze wie folgt
zusammenfassen: „In der Sendung des Sohnes und des Geistes nimmt der dreifältige
Gott in den Menschen Wohnung, und zugleich beginnt der Mensch in der
dreipersonalen Wirklichkeit Gottes Wohnung zu nehmen." (175) In dieser
Bestimmung ist sowohl der Begriff der Kirche als Gemeinschaft der Menschen
mit dem dreifältigen Gott im Leibe Christi (106) grundgelegl als auch Sinn und
Ziel aller sakramentalen Vollzüge umschrieben, deren exemplarische und
konzentrierteste Sinngestalt L. in der Eucharistie vorfindet, der deshalb bereits
das zweite Kapitel der Studie gewidmet ist (67-128). Nach L. ist die am Passamahl
, am Abendmahl Jesu und schließlich an der kirchlichen Eucharistiefeier
aufzuweisende Sinnstruktur charakteristisch für alle Sakramente, die diesen
Namen verdienen. Gekennzeichnet werden die einzelnen Momente dieser eulo-
gischen Struktur als Anamnese, Epiklesc, Koinonia und Prosphora, in deren
Zusammenhang sodann alle Einzelaspckte der Eucharistie lehre entwickelt
werden. Bemerkenswert ist dabei u. a.. wie eng L. die Transsubstantiations-
theorie und Wandlungslehre mit der, wie er sagt, personalen Tfanssituierung,
Translinalisierung und Transsignifikation des Sakramentsempfängers in Verbindungbringt
(119).

In einem VI. und abschließenden Kapitel (283-365) sucht L. die charakterisierte
Grundstruktur der eucharistischen Sinngestalt an den einzelnen Sakramenten
nachzuweisen, zunächst an den drei in die Kirche einführenden Sakramenten
Taufe, Firmung und Mahl des Herrn, sodann an den die Kirche erhaltenden
Sakramenten Ehe und Priesterweihe, endlich an den die Kirche bewahrenden
Sakramenten Buße und Krankensalbung. Zuvor schon hatte er im

V. Kapitel (229-281) die Siebenzahl der Sakramente thematisiert und als Hinweis
aufdie kirchlich-cucharistisch-eulogische Fülle des Heils gedeutet.

Der eindrucksvolle und integrationskräftige systematische Gesamtrahmen
der trinitätstheologischen Sakramentskonzeption von L..
deren eigentümliche Stärke bei allem gegebenen theologischen
Scharfsinn weniger in der Strenge des dogmatischen Begriffs als in
ihrem Perspektivenreichtum und ihrer pastoralen Aufgeschlossenheit
zu suchen ist, kann hier selbstverständlich nicht im einzelnen diskutiert
werden. Mit welchen kritischen Anfragen in systematischer Hinsicht
seine Sakramententheologie vor allem zu rechnen hat, deutet L.
zum Teil selbst an, etwa in bezug auf das problematische Verhältnis
von anthropologischer und trinitätstheologischer Argumentation
bzw. Schöpfungstheologie und Gnadentheologie (vgl. 1680. Einer
genaueren Präzisionsprüfung auszusetzen wäre ferner und vor allem
die logisch-ontologische Verläßtheit des trinitarisch strukturierten
Personbegriffs, der nicht nur die gesamte personale Sicht der Lies-
schen Sakramententheologie prägt, sondern vom Vf. bereits im Vorwort
dezidiert dem, wie es heißt, „isolierten Individuum der Französischen
Revolution" (11) kontrastiert wird. Indes muß solch kritische
Prüfung dem Leser selbst überlassen werden. Angesprochen werden
sollen hier nur drei für die „ökumenische Vergewisserung" (der in
jedem Kapitel ein eigener - freilich zumeist recht knapper - Abschnitt
gewidmet ist) entscheidende Gesichtspunkte. Ich sehe dabei von
Details (etwa der beiläufig geäußerten Annahme, die Reformatoren
hätten ihre Lehre nicht so darzustellen vermocht, „daß sie als echte
Reform der Kirche zu verstehen war" [245], oder der Behauptung,
„daß gerade die Kirchen, die die ,sacramenta minora". abgelehnt
haben, bald auch den Reichtum der .sacramenta maiora' verschüttet
hatten" [280]) gänzlich ab und konzentriere mich ausschließlich auf
drei ausgewählte dogmatische Aspekte:

1. Aus seiner überzeugenden These einer somatischen Realpräsenz
Jesu Christi in der Eucharistie zieht L. Für die allgemeine Sakramententheologie
folgende Konsequenz: „Gegenüber einer Verbalpräsenz
Christi im Wort der Verkündigung und gegenüber einer Aktualprä-
senz Christi im kirchlichen Handeln haben wir es bei der Gegenwart
Christi in den eucharistischen Gestalten mit einer Daseinsweise zu
tun, die vom Glaubensvollzug des einzelnen Menschen unabhängig
ist. Ein bloßes Sagen ist kein Verkünden und so auch keine Gegen-
wartsweisc Christi. Zur Verbalpräsenz und Aktualpräsenz Christi
gehört irgendwie (sie!) das aktuelle Engagement des kirchlichen
Glaubens und Hörens dazu. Für die Realpräsenz ist dieses aktuelle
Glauben und Hören des einzelnen nicht in dem Maße (sie!) notwendig
." (121) Zu kritisieren ist diese Argumentation insbesondere deshalb
, weil sie mangelnder Präzisierungsleistungen wegen zwangsläufig
zu ökumenischen Mißverständnissen führen muß. In ihrer gegebenen
Form ist sie nach meinem Urteil für reformatorischc Theologie inakzeptabel
.

2. In hohem Maße differenzierungsbedürftig ist m. E. auch, was L.
zur Eucharistie als Opfer ausführt, etwa wenn er „die Haltung der darbringenden
und hingebenden Dankbarkeit des Menschen gegenüber
Gott, wie sie in Anamnese, Epiklesc und Staunen ob der Gegenwart
Gottes zum Ausdruck kommt", zu jenem Ort und jener Weise erklärt,
„wo und wie Gott seine Hingabe, auch besonders die des Kreuzes-
ereignisses heute den Menschen schenkt" (124). Zwar ist nicht zu
leugnen, daß sich „im .memorcs offerismus' ... sowohl die Hingabe
des Menschen an Gott wie die Gottes an die Mensehen" ereignet
(124). Ökumenisch und theologisch entscheidend ist indes erst die
Frage, wie sich beide Hingabevollzüge zueinander verhalten. Erst aul
der Basis einer entsprechenden Verhältnisbestimmung kann dann
auch über die abendmahlstheologische Adäquanz von Formulierungen
wie dieser entschieden werden: „Insofern . . . Brot und Wein die
Zeichen unserer Hingabe an Gott sind, werden sie Für Gott der Ort, an
dem er seine eigene einmal am Kreuz erbrachte Hingabe an die
Menschen real gegenwärtig setzen kann." (124) Zu ergänzen sind diese
Bemerkungen durch die Anfrage, wieso nach Auffassung von L. das