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Ausgabe:

1990

Spalte:

70-71

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Närger, Nikolaus

Titel/Untertitel:

Das Synodalwahlsystem in den deutschen evangelischen Landeskirchen im 19. und 20. Jahrhundert 1990

Rezensent:

Schwarz, Karl

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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 1

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Würzburg • Gottfried Adam

fuhrt R. Preul, indem er den verschiedenen Aspekten eines kultur- die explizit bildungspolitischen Fragen nicht stärker in dem Band ver-
Protestantischen Bildungsbegriffes und den ihm verwandten Erzie- treten sind (vgl. jedoch die Beiträge von O. Basse, C. T. Scheilke und
hungslehren nachgeht, um das Interesse herauszustellen, die sozio- F. Schweitzer sowie K. H. Potthast). Denn: Es ist ja gerade ein Kennkulturelle
Wirklichkeit als das Feld zu erfassen, in dem Glaube und zeichen des Wirkens von K. E. Nipkow, daß er seine Überlegungen
Bildung sich zu bewähren haben. Noch näher an die Gegenwart füh- nicht nur im akademischen Raum vorgetragen hat, sondern auch
fen die Ausführungen von O. Basse, der unter dem Stichwort „Bewah- gestaltend in die praktische Arbeit des Unterrichtens und in die bil-
ren und Gestalten" dem Verhältnis des Religionsunterrichts zur schu- dungspolitischen EntScheidungsprozesse „eingegriffen" hat, wie z. B.
''sehen Bildung im ganzen nachgeht, wie es sich in der zweiten Hälfte seine Mitarbeit bei den beiden EKD-Bildungssynoden von Frankfurt
unseres Jh. darstellt. 1971 und Bethel 1978 eindrücklich belegt.

Vom letzten Beitrag ist der Übergang zum II. Teil „Gegenwärtige Der vorliegende Band dokumentiert, daß evangelische Religions-
Herausforderungen und Perspektiven der Praxis" unmittelbar ge- pädagogik zur Debatte um die Bildungsfrage gegenwärtig und gewiß
Beben. U. Baumann und A. K. Treml fragen nach den ethischen auch zukünftig Beachtenswertes beizutragen hat. Daß es sich dabei
Konsequenzen der Reflexion auf den Zusammenhang von Schöpfung zugleich um eine Veröffentlichung des Comenius-lnstituts handelt, ist
und Evolution, während H. Dauber expliziert, was eine ökologische gewiß ein Beleg dafür, daß dieses Institut auch gegenwärtig eine
Erziehung meint. Der Frage der „Ideologien" in ihrer Bedeutung für „Evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft" ist.
die Situation des Religionsunterrichts an den englischen Schulen geht
*• M. Hull nach, während W. B. Kennedy nach deren Bedeutung für
d'e Reform der theologischen Ausbildung in den USA fragt.
H. M. Müller weist auf die Spannung zwischen den beiden Zielsetzungen
, dem kritischen Impuls zur Erneuerung und der Pflicht zur Ein- Kirchenrecht
Übung in das Christentum, hin und wirft damit die Frage des

"Gewohnheitschristentums" für die Religionspädagogik als Problem Nikolaus. Das Synodalwahlsystem in den deutschen evangeli-

«ut. G. Martin skizziert die grundlegende Einsicht, daß Menschsein schen Landeskjrcncn im ,9. und 2o. Jahrhundert. Tübingen: Mohr

gestalten heißt: das Menschsein in Beziehungen gestalten Lernen. 1988. XVIII.287 S. gr. 8' = JusEccIesiasticum, 36. Lw. DM 68,-.
^as bedeutet das aber für die Frage nach dem Christsein-Gestalten?

Becker und K. Goßmann wenden sich dem Lernen in der Gemein- Wahlen in der Kirche haben „dienende, instrumentale Bedeutung",

Schaft zu, legen Merkmale ökumenischen Lernens vor und konturie- sie gehören nicht zu den Konstitutiva der Kirche, wohl aber werden

ren ihre Überlegungen bis hin zu einem ökumenischen Bildungsver- sie wie alles äußere Recht der Kirche vom „geistlichen Wesen und

ständnis. Auftrag der Kirche bestimmt" (S. 269), sie sind demnach nicht gleich-

■n Teil III „Theologische und pädagogische Analysen" werden wei- gültig, sondern bedürfen je und dann auch der rechtstheologischen

ere wichtige Aspekte eines heutigen Bildungsverständnisses heraus- Begründung und Bewertung. Wie das Kirchenrecht insgesamt der

Bestellt. J. Fowler stellt das Konzept einer öffentlichen Kirche, wie es Gefahr einer Säkularisierung ausgeliefert ist. ihr immer wieder zu

ln den USA diskutiert wird, vor und fragt nach deren Bedeutung für erliegen drohte und auch tatsächlich erlegen ist, so zeigt sich gerade an

e,n Ökosystem der Glaubenserziehung. Die Beiträge von J. Molt- der Art und Weise des Wählens in der Kirche dieses Gefahren-

^ann und D. Rössler gehören zum Bereich systematisch-theologi- moment. Aber auch die gegenläufige Gefahr, die der Sakralisierung

scher Standortbestimmung, wobei ersterer der Thcodizeefragc und der äußeren Ordnung, ist evident und läßt sich am Beispiel des kirch-

etzterer der Bedeutung der Frage nach dem Sinn des Lebens für Reli- liehen Wahlrechts dartun.

8,°n nachgeht. Über den Zusammenhang von Bildung und psychi- So muß eine Arbeit, die sich diesen Fragen widmet, wie die anzuzei-

^eher Gesundheit reflektiert W. K. Kurz und plädiert dafür, die gende Tübinger juristische Dissertation von N., keineswegs eindimen-

e8riffe „Bildung" und „seelische Gesundheit" nachdrücklich zu- sional vorgestellt werden, sondern sie ist gezwungen, viele Facetten.

sammenzudenken. H. B. Kaufmann geht in Thesenform dem Zusam- theologische, historische, soziologische und juristische, unter einen

j^nhang humanwissenschaftlicher und theologischer Aspekte des Hut zu bringen. Das gelingt der von Martin Heckel angeregten und

Unverständnisses nach und arbeitet heraus, inwiefern Bildung eine betreuten Arbeit, das sei schon vorweg gesagt, sehr gut, ja sie verblüfft

nimunikative, eine sprachliche Erfahrung und ein dialogisches geradezu in ihrer reifen rechtstheologischen Entfaltung, bei der sie der

eschehen - angesichts möglicher widerständiger Erfahrungen dar- Stimme ihres Lehrers allerdings sehr dicht folgt.

slellt. Unter Bezug auf Hegels Erfahrungsbegriff trägt O. Hansmann Die Arbeit ist in sechs Teile gegliedert. Nach einer knappen Einlei-

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^Psychologie Piagets vor, um so zu einer Rekonstruktion des Bit- systematisch sehr weit ausholt und von Schrift und Urgemeinde einen

n8sbegriffcs zu kommen. Die Bildungsfrage wird von C. T. Scheilke weiten Bogen spannt zur Reformationszeit. Das Wahlrecht steht in

^ ^cnwe'tzer bedacht im Blick auf die konkrete Situation der engem Zusammenhang mit der Kirchenverfassung, so muß Vf. im

u'e. Bildung wird dabei als Leitidee eines sich verändernden Grunde eine Kirchenverfassungsgeschichte in nuce bieten und das

y 'eins Schule zum Zwecke der Stärkung von Menschen und der landesherrliche Kirchenregiment ebenso erläutern wie Entstehung

arung von Sachen herausgestellt. Schließlich entfaltet K. H. Pott- und Wesen der Konsistorialverfassung oder die reformierte Kirchen-

t, was von den Schulen in freier Trägerschaft für das Bildungsver- Ordnungstradition mit ihren für das kirchliche Wahlrecht sehrbedeut-

dnis einer „guten Schule" zu lernen ist. samen Elementen, etwa die Kooptation (S. 36ff). Der zweite Teil zeigt

Anfang der siebziger Jahre schien es so. als sei der BildungsbegrifT „Gestaltung und Wandlung des synodalen Wahlrechts bis zum Ende

gültig verabschiedet worden und als sei der Erziehungsbegriff voll- des landesherrlichen Kirchenregiments", behandelt das Wahlrecht

s an seine Stelle getreten: Inzwischen hat sich gezeigt, daß der Päd- des 19. Jh. an Hand einzelner exemplarischer Kirchenverfassungen,

°g'k offenbar Wesentliches verlorengeht, wenn sie dem Bildungs- die im Sinne des presbyterialsynodalen Prinzips umgebildet wurden

cSriffden Abschied geben würde .In der evangelischen Religionspäd- (Rheinbayern 1818, Baden 1821, Württemberg 1821). Besondere

Itiz man an ^'eser Stelle stets sehr viel vorsichtiger gewesen. Bedeutung kam der Rheinisch-westfälischen Kirchenordnung von

desM"SCnen naDcn vielfältige Bemühungen um eine Wiedergewinnung 1835 zu, die sämtliche späteren Kirchenverfassungen im gesamteuro-

s ^i'dungsbegriffcs eingesetzt. Mit den Beiträgen dieser Festschrift päischen Horizont inspirierte. Wieder bietet der Vf. zunächst einen

ein weiterer wichtiger Beitrag zur Diskussion um den Bildungs- -kirchenverfassungsrechtlichcn Einstieg, um dann am Beispiel einzel-

1^'"" geleistet, in dem pädagogische und theologische Aspekte des ner Landeskirchen (Altpreußen, Hannover, Kurhessen, Braun-

ungsbegriffcs herausgestellt werden. Es überrascht ein wenig, daß schweig, Sachsen. Bayern) die Ausgestaltung des Wahlrechts darzutun