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Ausgabe:

1990

Spalte:

908-910

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kušar, Stjepan

Titel/Untertitel:

Dem göttlichen Gott entgegen denken 1990

Rezensent:

Kern, Udo

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907

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 12

908

Philosophie, Religionsphilosophie

Griffin, David Ray, and Huston Smith: Primordial Truth and Postmodern
Theology. Albany, NY: State University of New York
1989. XIV,216 S. gr.8 Pp. $ 12.95.

Brauchen wir angesichts des weltweiten Konfliktes zwischen
Mensch und Natur und des Schwankens der wissenschaftlichen und
politischen Ordnungssysteme eine postmoderne Theologie, oder sollen
wir auf die Weisheit althergebrachter religiöser Metaphysik
zurückgreifen? Um diese Alternative wird in diesem Buch zwischen
zwei befreundeten Autoren gestritten.

Formal gesehen handelt es sich um eine Disputation, gefärbt durch
die Freundlichkeit des Dialoges, was aber der Sachlichkeit der Auseinandersetzung
nichts an Schärfe nimmt. Griffin ist Anhänger der
Philosophie A. N. Whiteheads, Prozeßtheologe, Gründer des "Center
for a Postmodern World" in Claremont, Kalifornien, und dort
Professor an der School of Theology. Smith bezeichnet sich als
abtrünnigen Prozeßtheologeh (165); er ist Religionsphilosoph und
Professoremeritusder Syracuse University, New York.

Zu Anfang (1-15) stellen sich beide Gesprächspartner aus ihrer
geistigen Entwicklung heraus vor. Dann erfolgt ein erster Gesprächsgang
: Griffin, 17-60, Smith, 61-86, ein zweiter: Griffin, 87-151.
Smith, 153-187, und ein Nachwort (189-207) von Griffin, worin
Smith in Klammern seine Kontra-Bemerkungen eingefügt hat. Man
sieht das seitenmäßige Übergewicht der Ausführungen Griffins,
jedoch hat Smith genug Gelegenheit, non muita sed multum zur Kritik
der Prozeßtheologie und zur Verteidigung einer philosophia per-
ennis zu sagen ("perennial philosophy" verwendet er häufiger als das
im Buchtitel vorkommende "primordial truth"). - Formell ist der
dialogische Disput weitestgehend gelungen, und der unterscheidet
sich wohltuend von den Hahnenkämpfen, die sich sonst manchmal
zwischen theologischen Positionen ereignen. Die Disputanten hüten
sich mehrmals vorder Versuchung, bloß zu punkten, sondern denken
selbst die Wahrheitsmomente des jeweiligen anderen nach und
machen sich im Streit gemeinsam auf die Suche nach der Wahrheit.
Die gemeinsame Basis bildet die Kritik am Weltbild der Moderne, die
Angst vor den bisherigen und noch drohenden Schrecken der herrschenden
Naturwissenschaft, Technik und Sozialtechnologie sowie
das Bemühen, die Botschaft der Religion(en) wahr und lebensbezogen
zu artikulieren.

Inhaltlich dreht es sich also um Apologetik, philosophische Theologie
bzw. Fundamentaltheologie. Das ist an den Diskussionsgegenständen
zu erkennen: Absolutheit, Persönlichkeit und Überpersönlichkeit
Gottes, Wahrheitskriterien bei metaphysischen Aussagen, das
Verhältnis von Ewigkeit und Zeit, menschliche Unsterblichkeit, die
Verursachung natürlicher und geschichtlicher Prozesse, Dualismus,
natürliches Übel und moralisches Böses, die Einheit der Religionen.
Erstaunlich aber, welche Themen nicht diskutiert werden: Vor allem
die Christologie, wie sie von Paulus über Luther bis Barth als Angelpunkt
der Gott-Mensch-Einheit und der Rechtfertigung des Menschen
geglaubt und gedacht wurde, spielt nicht die geringste Rolle.
Auf Religionskritik wird nur indirekt Bezug genommen, insofern sie
eine Begleiterscheinung des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes
ist; ihre Theorien von Hume über Voltaire, Feuerbach, Marx,
Nietzsche, Freud bis Sartre werden aber nicht diskutiert. Und wenn
GrifTin - für beide Autoren zutreffend - sagt: "We must . . . turn to
metaphysics" (19), dann verwundert, daß der transzendentalphilosophische
Neuansatz zur Metaphysik (Kant, Fichte, Schelling, Hegel)
nie in den Blick kommt, wie selbstverständlich auch nicht dessen Kritik
im Existentialismus und in der analytischen Philosophie. Hierin
muß man Schwächen dieser Publikation sehen.

Ihre Stärke dagegen liegt darin, daß sie wieder neu aufgebrochene
religiöse Fragen von vornherein erstens in den Erfahrungsrahmen
der Weltreligionen (Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus)
stellt und zweitens die ursprünglich religiös bestimmte abendländische
Metaphysik (und mit einem gewissen Abstand die Metaphysik
des Vedanta) als Explikationsinstrument heranzieht. Wenn Smith auf
der Linie Plotin - Leibniz argumentiert, so ist Griffin als Anhänger
Whiteheads davon gar nicht so weit entfernt: Er verwendet den neu-
platonischen Ausdruck „Weltscele" für Gott (198, 201 u. ö) und ist
schon vom naturphilosophischen Ansatz Whiteheads her mit dem
naturphilosophischen Interesse Leibniz' verbunden. - Die postmoderne
Religionsphilosophie scheint sich mit der prämodernen nicht
nur in den beiden Autoren, sondern auch in ihren Themenstellungen
zu berühren.

Wien MaxJ.Suda

Kusar, Stjepan: Dem göttlichen Gott entgegen denken. Der Weg von

der metaphysischen zu einer nachmetaphysischen Sicht Gottes in
der Religionsphilosophie Bernhard Weltes. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1986. X, 419 S. gr. 8° = Freiburger theologische Studien.
133. Kart. DM 58,-.

Bernhard Welte (1906-1983) gehört zu den profiliertesten römischkatholischen
Religionsphilosophcn der Gegenwart. Das Ziel der hier
anzuzeigenden, 1984 an der römischen Grcgoriana angenommenen
Dissertation von St. Kusar, „das religionsphilosophische Denken
Bernhard Weltes hinsichtlich der Frage nach Gott zu untersuchen"
(1), kann so nur nachdrücklich begrüßt werden. Kusar versucht unter
Heranziehung des gesamten Wclteschen Werkes dessen religionsphilosophische
Frage nach Gott als einen ,, Weg von der metaphysischen
zu einer nachmetaphysischen Sicht Gottes" zu verstehen (2). Für
Kusar ist Welte ein „Grenzgänger" zwischen Theologie und Philosophie
, dessen „Philosophieren ... als ein Denken auf den Glauben
hin" gesehen werden muß (371). Welte kennt „zwei Grundweisen des
Philosophierens": Der erste Denktypus ist primär „an der Kategorie
der ousia". die für... Iristoteies die grundlegende und erste Seins- und
Aussageweise (sc. ist), auf die alle anderen bezogen sind", orientiert
(8f). Das Substanzdenken steht im Vordergrund (Thomas von Aquin.
Descartes, Kant, Wittgenstein, Carnap, Popper, H. Albert). Der
zweite Denktypus ist primär bestimmt von der Kategorie der Relation
. Schon bei Aristoteles und Thomas sind hier Ansätze zu finden,
aber der „Durchbruch der relationalen Denkweise geschah . . . erst bei
E. Hussert' (17). Beide Grundweisen haben nach Welte ihr relatives
Recht, aber die relationale ist die tiefere Denkweise.

Da Philosophie „eine Begegnung des denkenden Menschen mit
dem Ganzen seiner Welt" ist, muß auch nach dem eher anderen der
Philosophie, nach der Religion, gefragt werden (30f). Dabei ist fundamental
zu beachten, daß „Religion dem Denken vorgegeben" (34)
ist. Religion als .„Beziehung des Menschen zu Gott'" bzw. zum Göttlichen
ist „,primär eine bestimmte menschliche Dascinswcise'" (35).
Gott aber ist das Subjekt (Prinzip) der Religion als der den Menschen
ansprechende und so das menschliche Dasein fundierende. In der
Religion bin ich ganz ich selbst, indem ich mich ganz auf Gott einlasse
. „.Auch wo Gott spricht, sind wir als Menschen noch zum Denken
und Urteilen aufgerufen.'" (43, Anm. 100) „Die Religionsphilosophie
will das Recht und das Wesen der Religion vor dem Forum der
Vernunft erweisen und begründen. Dies geschieht in der Freiheit und
Selbständigkeit des Denkens, das sich seiner Sache, der Religion,
annimt." (45) Theologie als ,,,die Wissenschaft von der in Jesu geof-
fenbarten Heilsbotschaft Gottes'" (45), als „,fides intellecta quacrens
intellectum fidei'" (47), die „entsteht. . ., indem der Glaube sich
selbst eigens ergreift und sich im Denken des Menschen lichtet" (47).
bedarf unbedingt des(rcligions-)philosophischcn Denkens.

„Das eigentliche Ziel" von Weltes Religionsphilosophic ist es, „auf
die Gegebenheit Gottes auch für den heutigen Menschen hinzuweisen
und solche Wege zu Gott zu entwerfen, ,auf denen, entgegen dem
ersten Anschein, Gott doch begegnen kann und wir ihn .sehen', d. h.
erfahren können'" (266). Da das moderne philosophische Denken
durch antimetaphysische Haltung gekennzeichnet ist, versucht Welte
neue Denkwege zum Geheimnis Gottes. So ergibt sich für Welte -