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Ausgabe:

1990

Spalte:

65-66

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Predigt 1990

Rezensent:

Müller, Hans Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 1

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Rechtfertigungslehre, die die Aufstellung dieses systematischen Ver- Begründung der Homiletik als Wissenschaft, über ihre Neuorientie-
weisungszusammenhangs erlaubt, muß sich zugleich das Verfahren rung unter dem Leitgedanken der „modernen Predigt", über den Einstrukturieren
, an dem sich der Prediger im Prozeß seiner Predigtvor- flußder ,.Wort-Gottes-Theologie" aufdic Homiletik und über die von
Bereitung und im Akt des Predigens orientiert finden kann" (261). der Predigtpraxis heute gestellten Einzelfragen. Die Einführung
Von dem hier formulierten Ziel als Ausgangspunkt her gesehen schließt mit Hinweisung auf „ausstehende Themen und Probleme",
gelingt es Grab, die Dogmatik in die homiletische Diskussion hinein- Hier werden vor allem die „Aufgabe einer homiletischen Gesamtzuziehen
. Freilich handelt es sich dabei um eine nur ausschnitthaft theorie" und die „gottesdienstliche Integration der Predigt" genannt,
wahrgenommene und defizitäre Dogmatik. Daß letztlich Hirsch sich Der mit dieser Einführung gewonnene Überblick mag dann an den
gegen Schleiermacher und Barth durchsetzt, kommt nicht von un- folgenden Quellentexten vertieft und kontrolliert werden. Allerdings
gefähr. Bei ihm ist Welt über, das Gesetzesverständnis so in die Subjek- kann diese Vertiefung, wie gesagt, nur in Form von Stichproben erfol-
tivität eingebunden, daß die Welthaltigkeit des Gottesverhältnisses im gen, weil die zitierten Texte wegen ihrer starken Kürzung eine
Glauben an das Evangelium sich christologisch-soteriologisch („sub- Gesamtanschauung auch nur eines Autoren nicht vermitteln können.
Jektivitätstheoretisch rekonstruierte Rechtfertigungslehrc") engfüh- Jedoch gewinnt der Leser eine konturierte Übersicht über die in der
ren läßt. Will der hier vorgelegte homiletische Entwurf einer solchen Predigtlehre vornehmlich verhandelten Probleme und die in der
Engführung entgehen, muß er danach fragen, wann und wo es denn Geschichte fruchtbar gewordenen Lösungsversuche: zum Predigt-
Zeit zum Glauben ist. Das „ubi et quando visum est Deo" ist dann begriff, zum Bezug der Predigt auf die individuelle und gesellschaft-
n'cht bloßer Vorbehalt in Hinsicht auf das, was der homiletische Akt liehe Situation, zur systematisch-theologischen Dimension der Pre-
beitn Hörer erreicht oderauch nicht erreicht, sondern öffnet den Blick digt, zum Verhältnis Rhetorik/Homiletik, zur Person des Predigers,
auf welthaft Begegnendes, das durch das Wort als Zukommen Gottes zur Bedeutung des Predigttextes u. Gemeindebezug der Predigt usw.
besprochen wird. Dann aber wird das Subjekt des Predigers kaum Der Quellenteil ist chronologisch aufgebaut, widmet sich aber (entwehr
so im Zentrum bleiben, wie es die hier vorgelegte prinzipielle sprechend den Hauptinteressen der einzelnen Epochen) jeweils beson-
Nomiletik behauptet. deren Problemkreisen. So steht in der ersten Hälfte des 19. Jh. der

Erlangen Friedrich Mildenbcrger BeßrifT der Predi8t und die Begründung der Homiletik als Wissenschaft
im Vordergrund, um die Jahrhundertwende das Interesse an der
„modernen" Predigt mit ihrer sozialen und pädagogischen Tendenz:

■ntzer, Friedrich [Hg.]: Predigt. Texte zum Verständnis und zur die dialektische Theologie wendet sich dann wieder stärker den „theo-

Praxis der Predigt in der Neuzeit. München: Kaiser 1989. 288 S. logischen" Fragen im engeren Sinn zu (Verhältnis von Gotteswort

= Theologische Bücherei. Studienbücher, 80. Kart. DM 36,-. und Menschenwort), bis in der Zeit nach 1965 die Probleme der

In neuester Zeit öffnet sich die Praktische Theologie zunehmend Predigtpraxis in das Zentrum rücken. Grob gesehen kann man also

W|eder der historischen Perspektive. Man kann diese Entwicklung eine Wellenbewegung beobachten, in der sich prinzipielle und prag-

n,eht als Regression oder als beginnende Scholastik werten, sondern matische Ansätze abwechseln. Daß alle diese Erörterungen bis in

sollte sie als notwendige Gegenreaktion gegen einen einseitigen Auf- unsere Gegenwart hinein ihre Relevanz behalten haben, steht außer

bau der Disziplin von reformerischen oder Programmgesichtspunkten Frage. So gelingt es dem Hg. allein durch die Anordnung und die Aus-

er verstehen. Heute beginnt man einzusehen, daß die Praxis der wähl des Stoffes, dem Leser ein interessantes und seine eigenen homi-

K'rche aus einer reichen Tradition schöpft und daß neue Entwicklun- letischen Fragestellungen betreffendes Bild der Wissenschaftsge-

8en von den positiven und negativen Erfahrungen vergangener Gene- schichte zu zeichnen.

ationen nur lernen können. Da der historische Sinn der Studenten Daß es dabei nicht ohne Pauschalierungen abgeht, ist unvermeid-

u°d auch eines Großteils der akademischen Lehrer in den letzten lieh, führt aber doch zu Lücken im historischen Gesamttableau, die

lehnten aber verkümmert ist oder verkrümmt wurde, besteht ein für eine mehr wissenschaftsgeschichtliche als problemgcschichtliche

r'ngender Bedarf an Lehrbüchern, die den Zugang zu den Quellen Sicht bedauerlich sind. So fehlen im 19. Jh. die konservativen Luthe-

neue Weise erschließen. Das trifft vor allem auf die Praktische raner ebenso wie die Pietisten und Ritschlianer. Die Zeit von 1918 bis

hcologie zu. in der die Quellenlage besonders unübersichtlich ist. So 1965 wird so sehr von Vertretern der Dialektischen Theologie domi-

lst es sehr zu begrüßen, daß Friedrich Wintzer seinem Quellenbuch niert, daß das breite Spektrum der dieser Richtung skeptisch gegen-

zur Seelsorgelchre („Scelsorge. Texte zum gewandelten Verständnis überstehenden Theologen überhaupt nicht zu Worte kommt. Schian,

Und zur Praxis der Seelsorge in der Neuzeit". München-1978) nun ein Schreiner, Haendler werden nur im Literaturverzeichnis erwähnt:

nlich gestaltetes Werk zur Predigtlehre hat nachfolgen lassen. Fezer und seine „unmenschliche Theorie" erscheint nur in einer

Das Hauptproblem eines solchen Quellenlesebuches besteht in der Rezension F. Niebergalls: Emanuel Hirsch, der sich öfter und aus-

CSchränkung der Texte nach Anzahl. Umfang und Zeitraum. Wint- führlicher zu homiletischen Fragen geäußert hat als R. Buitmann.

*er hat den problemgcschichllichcn Ansatz gewählt und setzt von da wird nicht einmal in der Bibliographie ein Platz eingeräumt. Man

*Us gesehen sachgemäß mit dem Beginn des 19. Jh. ein. Er läßt kann diese Lücken durchaus mit der Beschränkung auf die problem-

g annte Vertreter der Praktischen Theologie von Schleiermacher bis geschichtliche Fragestellung begründen, bedauerlich bleiben sietrotz-

st Lange zu Worte kommen, meist allerdings in einer äußerst ener- dem, weil sie dem Unkundigen ein etwas einseitiges Bild der tatsäch-

^Sen gekürzten Fassung. Dem Studenten nützt das Lesebuch (auf liehen Entwicklung vermitteln, das zwar den gängigen Anschauun-

^eudeutsch „Reader") insofern vor allem als Nachschlagewerk oder gen, nicht aber der Wirklichkeit entspricht.

re^nregung zu einem ausführlicheren Studium des einen oder ande- Der Verlag hat für die drucktechnische Gestaltung eine Art Faksi-

p° Tutors etwas. Ausführliche Literaturangaben zu den einzelnen milewiedergabe der Quellen gewählt, wo dies vom Format her mög-

^oblernfeldem und Epochen erleichtern das Auffinden einschlägiger lieh war. Da das Anliegen des Werkes aber nicht primär historisch ist,

^ crke. Zur Einführung in das Studium der Problemgeschichte der sondern auf das Verständnis der Predigt in der Neuzeit zielt, wird das

. rr"'etik dient die ausführliche Einleitung durch den Hg., der sich Lesen dadurch erschwert. Bei der großen Verbreitung, die dem Buch

lee(rC'ls durcb seine 1969 erschienene Habilitationsschrift „Die Homi- nicht nur zu wünschen, sondern die auch zu erwarten ist, wäre ihm

jjj1 seit Schleiermacher bis in die Anfänge der .dialektischen Theolo- eine etwas gefälligere äußere Form angemessen. Seinen Wert behält es

Ml Grundzügen" als ausgezeichneter Kenner der Materie aus- indes trotzdem. Der akademische Unterricht vor allem wird an ihm

'csen hat. nicht vorbeigehen - wo fände er sonst eine so reichhaltige und klug

h ,c Einleitung bemüht sich, die Wissenschaftsgeschichte als Pro- kommentierte Zusammenstellung wissenschaftsgeschichtlicher Quel-

. 'cmgeschichte darzustellen, und nimmt ihr so die gefürchtetc Trok- lentexte?

eit- Der Leser wird kurz und nachhaltig informiert über die Tübingen Hans Martin Müller