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Ausgabe:

1990

Spalte:

853-855

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Senn, Felix

Titel/Untertitel:

Orthopraktische Ekklesiologie? 1990

Rezensent:

Plathow, Michael

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Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 11

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Konzilien bis hin zum IL Vaticanum ausspricht und in den Aussagen
der Nationalen Bischofskonferenz Amerikas und stellt volle Übereinstimmung
fest. Das Papier der Glaubenskongregation über die Escha-
tologie von 1979 erwähnt sie nicht, das in manchen Fragen eine
andere Auffassung vertritt, aber sicher keine letztverbindliche Aussagen
machen wollte.

Das Schlußkapitel trägt die Überschrift: Auf dem Wege zu einer
amerikanischen Theologie des Todes. Da die Theologen die Fragen
der konkreten Menschen beantworten müssen, weist die Vfn. hin auf
das vom Puritanismus geprägte Verständnis des menschlichen Sterbens
in Amerika, das die entscheidende Bedeutung des Todes verdrängt
und dies Geschehen zu einem vorwiegend finanziellen Geschalt
herabwürdigt. Uns Europäern hat das der Engländer Evelyn
Waugh veranschaulicht in seinem satirischen Roman: Der Tod in
Hollywood (dt. 1950). So aber wird durch die Verdrängung der Frage
nach dem Sinn des Sterbens auch die Frage nach dem Sinn des Lebens
erstellt.

Die breite Rahnerrezeption in den USA ist erstaunlich. Die Vfn.
hat den Dr. phil. für systematische Theologie an der Fordham Univer-
sit>. New York, erworben, die als 9. amerikanische Universität 1980
Karl Rahner die Ehrendoktorwürde verlieh. Wie kaum ein anderer
europäischer Theologe hat Rahner außerhalb Europas breite Aufnahme
gefunden: in Indien, in Japan, in Afrika und Lateinamerika,
vor allem aber in den USA. 70 seiner Bücher wurden hier übersetzt
und verlegt. In der anglikanischen Rockefeiler Chapel in San Francisco
ist Karl Rahner neben Karl Barth und Paul Tillich in einem Kir-
chenfenster als Kirchenlehrer dargestellt. Der lutherische Theologe
George Lindbeck von der Yale-University sagt. Rahner könne „aufgrund
der Weite seines Denkens und der Höhe seiner intellektuellen
Qualitäten Seite an Seite mit Barth und Tillich gestellt werden", „vielleicht
ist er sogar der größte von diesen dreien".

Was mögen Gründe für diese besondere Hochschätzung sein? Die
„Neue Welt" hat von ihrem Beginn an eine Befreiung von den Fesseln
der europäischen Überlieferung angestrebt. Das äußerte sich in einer
Vorliebe für Freikirchlichkeit, demokratische Formen und einer
noch bereitwilligeren Öffnung für die Einflüsse der wissenschaftlich-
technischen Welt auf das Leben als in Europa. Nicht umsonst hat
Robert Jungk seinem kulturkritischen Werk: „Die Zukunft hat schon
begonnen" den Untertitel gegeben: „Amerikas Allmacht und Ohnmacht
" (dt. 1952). Trotzdem wissen die Amerikaner, daß sie ihre aus
Europa kommenden geistigen Wurzeln nicht abschneiden dürfen. Das
w ird der Grund dafür sein, daß Rahner dort so befreiend wirkt, weil er
mit seiner existentialen und transzendentalen Methode tiefer als
andere bohrend unserer Überlieferung auf den Grund geht und sie von
ihren zeitbedingten Verkrustungen befreit.

Hinweis für eine Neuaullage: Immanuel Kant war ein deutscher
und kein französischer Philosoph (S. 5).

Dresden Michael Ulrich

Senn. Felix: Orthopraktische Ekklesiologie? Karl Rahners Offenbarungsverständnis
und seine ekklesiologischen Konsequenzen im
Kontext der neueren katholischen Theologiegeschichte. Freiburg
Schweiz: Universitätsverlag 1989. 816 S. gr. 8° = Ökumenische Beihefte
zur Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, 19.
Kart.sFr68.-.

..Orthodoxie und Glaube, der wahrhaft rechtfertigt, sind zweierlei
Dinge. Hinter der .reinen Wüste" kann ein Herz sein, das Gottes und
der wahren Liebe ermangelt. . . Wir sollten Ausschau halten nach den
.christlichen Heiden', d. h. nach den Menschen, die Gott nahe sind,
ohne daßsie es wissen ...".

Dieses Rahnerzitat stellt der Vf. seiner Arbeit voran, die er 1988 als
Dissertation an der Theologisehen Fakultät der Universität Freiburg
'Schweiz einreichte.

Das Volumen dieses Werkes (816 S. bei 21 S. Literaturverzeichnis)
mag den Leser in Distanz versetzen. Jedoch hilft die Klarheit der differenzierten
Gliederung, die Zusammenfassung der Abschnitte, die Verständlichkeit
der Sprache und die Durehsträngigkeit der These des
Autors zu einem interessierten und Erkenntnis fördernden Studium
dieser Arbeit; sie eignet sich gut als Einführung in K. Rahners theologisches
Denken.

Der Vf. erkennt in den gesellschaftlichen Umwälzungen der Neuzeit
nach der Aufklärung die Herausforderung an seine römischkatholische
Kirche und ihre Ekklesiologie. Diese Umwälzungen verdichten
sich in der anthropozentrischen Wende, die sich konkretisiert
in der Kehre, 1. von der Heteronomie zur Autonomie, 2. von der feudalen
Hierarchie zur Demokratie, 3. von der Orthodoxie zur Ortho-
praxie(S. 37).

Der Autor stellt nun die These auf, daß K. Rahner „als erster Theologe
katholischerseits eine Offenbarungstheologic entwickelt, welche
den neuzeitlich-aufklärerischen Herausforderungen ganz gerecht zu
werden vermag .. . Rahner hat jedes satzhaft-heteronome Verständnis
von Offenbarung definitiv hinter sich gelassen. Theonome Offenbarung
erscheint deshalb nicht mehr als Konkurrenz zur menschlichen Aüto-
nomie, sondern als deren höchstmögliche Radikalisierung. Der partiku-
laristisch-exklusive Anstrich christlicher Offenbarung ist in Rahners
transzendentaltheologischer Anthropologie endgültig überwunden. Die
pneumatologisch-transzendentale Konzeption eines universalen übernatürlichen
Existentials begründet theologisch eine fundamentale
Gleichheit aller Menschen und damit prinzipiell eine demokratische
Tendenz. Hcilsentschcidender christlicher Glaube weist sich nicht
durch orthodoxes Festhalten bestimmter Wahrheiten aus, sondern bewahrheitet
sich vielmehr allein in existentiell gelebter Orthopraxie. mithin
in messianischer Praxis" (S. 791: vgl. auch: S. 228. 347, 781 Anm. 3
u. a.): die Aktualität Rahnerscher Theologie wird damit augenfällig.

Die pointierte These zur Bedeutung von Rahners Offenbarungsverständnis
mit seinen ekklesiologischen Konsequenzen wird vom Autor
noch hervorgehoben, indem erzürn einen im l. Hauptteil eine theologiegeschichtliche
Problemskizze für den Zusammenhang von Offenbarungsverständnis
und Ekklesiologie bis zum Vaticanum II unter
dem Vorzeichen eines antineuzeitlichen Trends gibt (S. 177IT). Diese
theologiegeschichtliche Entfaltung ist intentional auf K. Rahner ausgerichtet
(Rousselot de Grandmaison. Marechal. Teilhard de Char-
din, Danielon.de Lubac. S. 133; 175 Anm. 342:226). um von ihm als
Problemüberhang aufgegriffen zu werden.

Das Vaticanum II stellt mit der dogmatischen Konstitution „Dei
verbum" und „Lumen gentium" in hermeneutischer Sicht nur einen
„kompensatorischen Kompromiß" dar (S. 191 IT. 222): so daß auch
von hierein Problemüberhang auf K. Rahner übergeht.

Die These des Vf. wird zum anderen betont, indem im II. Hauptteil
„Zum Verhältnis von Offenbarungsverständnis und Ekklesiologie bei
Karl Rahner" verschiedene andere Rahner-Interpretationen (vgl.
K.P. Fischer / P. Eichcr S. 257 Anm. 102; .I.B. Metz S. 343
Anm. 257; M. E. MotzkoS. 281 Anm. 11; L. BollS. 517 Anm. 965)
und kritische Stimmen zu K. Rahner (vgl. H. Urs von Balthasar und
H. Küng S. 527 Anm. 1006; L.B. Puntel und H. Küng S. 523
Anm. 989; S. 621 IT; G. May S. 723 Anm. 704; M. Kehl S. 567
Anm. 102; S. 556 Anm. 63; neben diesen systematisch-theologischen
auch genetische: S. 247 Anm. 601; S. 614 Anm. 453; S. 467
Anm. 761) in längeren Fußnoten erwähnt und z. T. diskutiert werden.
Nicht selten bedeuten diese Ausführungen für den Leser einen
Erkenntnisfortschritt (vgl. u. a. den Abschnitt über Rousselot S. 134 H
und über die Rahner-Interpretation K. P. Fischers S. 257
Anm. 102).

Das leitende Interesse des Vf. ist dabei folgendes: im gegenseitigen
Bedingungsverhältnis von Orthodoxie und Orthopraxie den „erkenntnistheoretischen
Primat" der Orthopraxie von Rahners Oll'enba-
rungsverständnis her nachzuweisen (S. 486IT): damit liegt auch in
Rahners Glaubensverständnis der Akzent auf dem existentiellen Vollzug
des Glaubens, also auf der Orthopraxi. so daß die Geschichte des
Glaubens weit über die Geschichte des expliziten Christentums hinausreicht
in die der „anonymen Christen" (S. 498ff).