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Ausgabe:

1990

Spalte:

844-846

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Meier-Oeser, Stephan

Titel/Untertitel:

Die Präsenz des Vergessenen 1990

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung I 1 5. Jahrgang 1990 Nr. 1 1

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der Gedankenwelt der vier christlichen Denker käme. Werner ist
davon überzeugt, ,,daß wir in der grundsätzlichen Frage nach dem
Verhältnis des Menschen zur Natur von Franz von Assisi, Jakob
Böhme. Albert Schweitzer und Teilhard de Chardin wichtige theoretische
und praktische Impulse erhalten können" (S. 10/11).

Der Titel „Eins mit der Natur" darf nicht zu dem Mißverständnis
verleiten, als würde im Interesse der Ableitung einer ökologischen
Ethik ein oberflächlicher, vordergründiger Pantheismus die Darstellung
leiten, wie er heute öfter in ökologischen Schriften anzutreffen
ist. Vielmehr arbeitet Werner z. B. bei der Darstellung von Franz von
Assisi und seiner geistigen Nachfahren Bonaventura, Roger Bacon
und Duns Scotus sehr nachdrücklich heraus, daß die Wertschätzung
der belebten und unbelebten Kreatur sich auf den gemeinsamen
Bezug zum Schöpfer gründet und daß der Mensch durchaus in einer
besonderen Verantwortung für seine Mitgeschöpfe steht.

Traditionen anderer, ,,vor allem fernöstliche(r) Kulturen, in denen
ein grundsätzlich anderes Naturverständnis wirksam gewesen und
weiterhin wirksam ist", „greifen nicht in unser Leben, wenn wir in
unserer eigenen Geschichte keine entsprechenden Anknüpfungspunkte
finden" (S. 7). Von daher legt Werner auch Wert auf die Feststellung
: „Die Suche nach einer .anderen" Sicht des Verhältnisses
Mensch - Natur" - als die durch Francis Bacon und Rene Descartes
geprägte - „innerhalb der abendländischen Tradition führte uns zu
den Christen Franz von Assisi, Jakob Böhme. Albert Schweitzer und
Teilhard de Chardin. Von hier aus schon läßt sich bezweifeln, ob
Autoren wie C. Amery (1972), L. White (1973) und E. Drewermann
(1981) mit ihrer These recht haben, der .gnadenlose' Umgang des
Menschen mit der Natur sei gerade auf die Geisteshaltung des
Christentums zurückzuführen. Dennoch ist zuzugestehen, daß es
zwar dem Selbstverständnis der hier dargestellten Autoren entspricht,
wenn man sie innerhalb der Tradition des Christentums betrachtet,
daß aber ihr jeweiliges Verhältnis zur Institution Kirche alles andere
als spannungsfrei war. Das gilt besonders für Jakob Böhme und Teilhard
de Chardin" (S. 10).

Mir hat die zweimalige Lektüre dieses Buches Freude bereitet und
Gew inn gebracht, und ich kann es daher nur empfehlen.

Berlin Hans-Hinrich Jenssen

Pseudo-Dionysius Areopagita: Die Namen Gottes. Eingel., übers, und
mit Anmerkungen versehen von B. R. Suchla. Stuttgart: Hierse-
mann 1988. IX, 145 S. gr. 8° = Bibliothek der griechischen Literatur
, 26. Lw. DM 120-,

Über die „Bibliothek der griechischen Literatur" sowie den
Band 22 mit Schriften von Pseudo-Dionysius Areopagita berichtete
7 hLZ 114, 1989, 285f. Band 26 beruht auf denselben Grundlagen:
Die Übersetzung basiert auf einer Editio critica, die von der Arbeitsstelle
Göttingen der Patristischen Kommission der Akademien der
Wissenschaften der BRD erarbeitet wurde. Die Zählung des Textes
und der Vergleichsstellen folgt der alten Ausgabe von Migne, PG 3,
die den Text „De divinis nominibus" enthielt. Die Einleitung bringt
in einem Überblick „Zur Tradition der Lehre von den Namen
Gottes" (4-9) Hinweise auf das Alte und Neue Testament, auf Plato
und den Neuplatonismus sowie auf Griechische Kirchenväter (Clemens
Alexandrinus, Origenes, Gregor von Nyssa). Die griechische
Sprache des Textes ist schwierig, so daß die Frage aufgeworfen wird,
„ob das Corpus überhaupt übersetzbar, d. h. in annehmbares Deutsch
übertragbar" sei (2). Das Ziel soll „nicht darin bestehen, eine literarische
Übersetzung zu erstellen, sondern lediglich, ein Hilfsmittel zum
Verständnis des Originaltextes zu bieten" (3). Eine Textprobe aus
Kapitel 1 soll Probleme des Themas und der Übersetzung zeigen:
„Man darf demnach überhaupt nicht wagen, irgend etwas über die
überwesentliche und verborgene Gottheit zu sagen oder gleichwohl zu
denken mit Ausnahme dessen, was uns durch göttliche Eingebung in
der Heiligen Schrift geoffenbart worden ist. Es besteht nämlich
Unkenntnis ihrer Verstand. Vernunft und Sein übersteigenden Überwesenheit
. Dieser müssen wir die überwesentliche Erkenntnis überlassen
, indem wir nur soweit nach oben schauen, wie sich uns der
Lichtstrahl der erzgöttlichen Orakel selbst zeigt, und wir uns somit in
bezug auf jene noch herrlicheren Strahlen mit der gegenüber dem
Göttlichen angezeigten Enthaltsamkeit und Gottesfurcht beschränken
." (21)

G. H.

Philosophie, Religionsphilosophie

Meier-Oeser. Stephan: Die Präsenz des Vergessenen. Zur Rezeption
der Philosophie des Nicolaus Cusanus vom 15. bis zum 18. Jahrhundert
. Münster/W.: Aschendorff 1989. VIII, 440 S. m. 30 Abb.
gr. 8'=Buchreihe derCusanus-Gesellschaft, 10. Kart. DM 112,-.

Ein interessantes, wiederholt angemahntes, bisher jedenfalls nur
sehr bruchstückhaft behandeltes Thema der Cusanus-Forschung ist
die Frage der Rezeption cusanischen Gedankengutes. Sind auch mancherlei
Vorarbeiten dazu geleistet worden, so gibt es bisher zumeist
nur Behauptungen, aber keine Untersuchungen zu diesem Thema.
Von daher sind auch die äußerst widersprüchlichen Aussagen zu verstehen
. Behaupteten M. Seidlmayer 1965, daß „die folgenden Jahrhunderte
... in ihrem Ringen um ein neu geformtes Weltbild das
geniale Werk des Cusaners so gut wie völlig unbeachtet links liegen"
gelassen habe und K.Jaspers 1968, daß Nikolaus von Kues (NvK)
„keinen Ort in der Geschichte irgendeiner Wissenschaft" besitze, so
andererseits E. Hoffmann 1947, NvK sei „zum eigentlichen Begründer
der neueren Philosophie geworden" und R. Haubst. er sei der
„Pförtner einer neuen Zeit".

So ist es verdienstvoll, daß Vf. nun eine Rezeptionsgeschichte vorlegt
, auch wenn sie nur bis zum 18. Jh. reicht. Nur wenig Platz räumt
er dem 1. Kap. „Das Cusanus-Bild der Gelehrtengeschichte" (6-19)
ein, weil er hier nur wiederholen kann, was andere schon vor ihm behauptet
haben - aber das war nicht viel mehr als die Wiederholung
von Gemeinplätzen. Sein Anliegen ist es vielmehr, das Thema
philosophisch an Hand cusanischer Themen zu behandeln. Um es
gleich vorwegzunehmen, es ist erslaulich, ja auch für die Fachgelehrten
überraschend, wie vielfältig NvK in den folgenden Jahrhunderten
gewirkt hat.

Das 2. Kap. widmet er der „Rezeption der coincidentia opposi-
torum" (20-122). Es ist m. E. das am besten gelungene. Vf. legt dar.
warum J. Wcnck von Herrenberg NvK widerspricht, weil dieser
seinen Grundgedanken polemisch gegen die Anschauungen der „secta
Aristotelica" setzt, gegründet auf platonisch-proklisches bzw.,
darüber hinausgehend, auf ps.-dionysisches Gedankengut. Umstritten
war bei seinen Zeitgenossen vor allem seine koinzidentielle Verschmelzung
von docta ignorantia, theologia mystica und theologia
speculativa (23, 28). Jedenfalls wurde NvK „vielfach als Experte und
Autorität in den Fragen der mystischen Theologie betrachtet. . . . weil
er selbst die Idee der coincidentia oppositorum mehrfach mit der
theologia mystica in Verbindung gebracht" hat (35). Auch als
exemplarischer Vertreter der theologia mathematica wird NvK stets
gesehen, denn er hat „die Mathematik zum unverzichtbaren Instrument
der theologischen Erkenntnis" erklärt (48, 50).

Nach seinen Zeitgenossen behandelt Vf., wie Pico, Faber Stapu-
lensis. Roussek, Rcuchlin, Trithemius, Eck, Luther, Biedermann u. a.
bis hin zu Jungius, Comenius oder den Sozinianern die coincidentia
oppositorum aufgegriffen haben. „Noch um die Mitte des 17. Jahrhunderts
konnte die cusanische Konzeption des Ineinslälls der Gegensätze
im Unendlichen für die Auseinandersetzung über die theologische
Problematik der adäquaten Bestimmung der göttlichen Einheit
nutzbar gemacht werden" (I 190. Mag sein, daß für den „Protestantismus
" NvK in erster Linie aus kirchenpolitischer Sicht von Interesse
war (91). Dennoch fällt auf (und hier geht Vf. m. E. nicht genug in die
Tiefe), wie nicht nur Luther, ohne dabei NvK zu nennen, den Gedan-