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Ausgabe:

1990

Spalte:

62-63

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Barié, Helmut

Titel/Untertitel:

Predigt und Arbeitswelt 1990

Rezensent:

Albrecht, Horst

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 1

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Augsburg Gunther Wenz

denen sich eine Reihe vergleichbarer hinzufügen ließe, sind anthro- des Streits in sich trägt. Das Fazit muß deshalb nach meinem Urteil
Pologisch-hamartiologisch zu harmlos, um soteriologisch hilfreich zu ambivalent ausfallen: Als redliche und instruktive Einführung in
«in. Der Unbedingtheit göttlicher ünadentat sind sie ebensowenig Fragehorizonte gegenwärtiger römisch-katholischer Gnadentheolog.e
angemessen wie der sündigen Selbstverkehrung des Menschen, deren ist G.s Studie gewiß von schätzenswerter Bedeutung; m ihr eine
bodenlose Abgründigkeit der Perspektive G.s weithin verschlossen konscnsfähige dogmatische Fortschreibung jener Übereinkunft zu
bleibt etwa wenn es im Blick auf die Allgemeinheit menschlicher sehen, die in dem Lehrverurteilungsdokument des Arbeitskreises
Sündhaftigkeit heißt: „Sogar ethische, hochsensibilisierte und mit evangelischer und katholischer Theologen erzielt wurde, ist mir h.n-
ihren ganzen Kräften in der Nachfolge Jesu lebende Heilige wissen gegen beim besten ökumenischen Willen nicht möglich,
darum, daß sie zumindest Unterlassungssünden nicht vermeiden
können." (293) Eine solche Argumentation hamartiologisch vordergründig
zu nennen, ist primär nicht ein Indiz für ein ethisch pessimistischer
urteilendes Menschenbild, sondern ein Hinweis auf die refor- . ^ u __,:iQf ji,
«atorische Grunderfahrung, daß der auf sich Und sein Vermöge« kon- Praktische Theologie. Homiletik
zentrierte Mensch ganz und gar verkehrt und verloren ist, wie sehr er

auch um ein heiligmäßiges Leben in der Nachfolge Jesu bemüht sein ßarie, Helmut: Predigt und Arbeitswelt. Analyse und praktische

mag. An der theologischen Notwendigkeit dieser Erinnerung kann Anregungen. Stuttgart: Calwer 1989. 133 S. 8°. Kart. DM 19,80.
weder die stereotype Warnung vor einer „einseitige(n) Sündenzen-

triertheit" (204) sowie eine(r) Einengung der Gnade auf die Gerecht- Der Heidelberger Predigerseminardirektor und Homiletikdozent

Brechung des Sünders" (201) noch der berechtigte und auch unter hat unglaublich fleißig gearbeitet, seinen Feststellungen liegen die

reformatorischen Voraussetzungen selbstverständliche Hinweis auf Analysen von 700 Predigten sowie von 10808 Gesprächsprotokollen

d'e Zusammengehörigkeit von Rechtfertigung und Heiligung bzw. von Vikarinnen und Vikaren der Badischen Kirche zugrunde. B. setzt

G'aube und Liebe etwas ändern. Weitere Beispiele geforderter pro- voraus, daß „der Predigernachwuchs der Kirche den Spiegel vorhält ,

'estantischer Kritik ließen sich hinzufügen, etwa hinsichtlich der so eine erste Thesenreihe (l2fT).

Lehre vom servum arbitriunV, von der zu sagen, sie habe „auf keinen Dieses Spiegelbild fallt verheerend aus. Nur in 6 % der Ansprachen

pall ■.. eine feste Grundlage in der biblischen ... Tradition" (291), ist „eine Erwähnung der Arbeits- und Berulswelt enthalten, die mehr

r"r reformatorischc Theologie bei aller gebotenen Selbstkritik nach als einen Satz umfaßt". Von den 205 Vikaren haben mehr als die

** vor eine inakzeptable Zumutung bleibt. Auch was G. unter Ver- Hälfte (53 %) im Laufe eines Monats höchstens ein einziges Mal mit

weis auf SD II 7 und 59 über die Lehre der Konkordienformel vom einem Arbeiter gesprochen (300-

freien Willen vorbringt (320) wird der Differenziertheit der dort ent- B. fragt umsichtig nach „möglichen Ursachen für die homiletische

wickelten Gesamtargumentation nicht gerecht und verkennt die Vernachlässigung der Arbeitswelt" (1711). An den biblischen Texten

Deutung der Verhältnisbestimmung von Natur und Gnade (vgl. kann es nicht liegen - 29 der 72 Predigttexte der 1. Penkopenreihe

dazu 287 ff) bzw. Schöpfungslehre und Christologie, wie die FC sie erwähnen Arbeiten und Berufe. B. bietet im Anhang auf sieben Seiten

vornimmt. eine „Auswahl von Predigtperikopen für die Thematik Arbeit und

um freilich in dieser und anderen Fragen nicht ständig neuen Miß- Beruf, in der freilich scharfe sozial kritische Texte (wie Am 5.11 IT.

verständnissen zu verfallen, müßte präzise geklärt werden, wie die Jak 5,1 ff) fehlen. Wichtiger: Die biblischen Texte sprechen nicht

Pneumatologische Dimension der Gnadenlehre (269), die G. zumal in unmittelbar zur heutigen Arbeitsweit, die historische Kritik muß ihre

der lutherischen Theologie nicht hinreichend wahrgenommen findet Fortsetzung in der sozialen Kritik, z. B. an der Sklaverei, finden.

(188). angemessen zur Geltung zu bringen ist, und was es näherhin Die Bekenntnisschriften müßten eigentlich „zu beruflicher Arbeit

u"d insbesondere im Blick auf die Konstitution des menschlichen als Predigtthema verpflichten", eine „falsche Orientierung an der fak-

G'aubens und der mit ihm verbundenen Selbstwahrnehmung und tischen Hörerschaft statt an den Adressaten des Evangeliums" (I9IT)

Selbsttätigkeit heißt Gnade sei eine Beziehungswirklichkeit (307f). macht die Predigt statt dessen „den Hörern hörig" (52). Das entspricht

Daß G.s theozentrisch-trinitätsthcologischcr Ansatz hierzu grund- umgekehrt einem gesellschaftlichen Trend, wie B. anhand der Ergeb-

satzlieh geeignet ist sei ausdrücklich betont. In der Tat ist durch eine nisse der Umfragen von VELKD und EKD belegt: „Große Mehrhei-

konsequente Orientierung des dogmatischen Gedankens an der Be- ten erklären, die Kirche sei völlig irrelevant in Fragen der Arbeit"

'■ehungswirklichkeit Gottes und am Kraftfeld des Gottesgeistes (51). B. geht nicht darauf ein, daß die Kirche mit ihrer Stummhe.t

ZUfn einen die Gefahr einer falschen Objektivierung der Gnade zu gegenüber der Arbeitswelt nicht allein steht - d.e kritische Massen-

uberwinden. Zu Recht erklärt es G. zu „eine(r) schwerwiegende(n) kommunikationsforschung moniert seit langem, daß in den Medien

Fehlinterpretation die Gnade als einen Besitz oder ein Eigentum des davon verschwindend wenig zu hören ist.

getauften oder losgesprochenen Subjekts zu deuten, etwas, was es wie Das könnte bedeuten, daß die Predigt ihr sozial kritisches Potential
einen Gegenstand verlieren und dann wieder aufTinden könnte" (308). noch nicht entdeckt hat. B. zeigt, daß in der wissenschaftlichen Zunft
^"ebensolchem Recht und unter erneuter Berufung auf „die wesent- „das Thema Arbeit und Beruf ständig im theologischen Gesprach
llctle Rationalität der uns geschenkten Gnade Gottes" (308) weist er war" (25ff). Er hat sich gründlich in der Literatur umgesehen, ich ver-
dndererseits die Vorstellung einer Begnadung ab. welche die Subjekti- misse neben Arbeiten Ernst Langes hier nur die vorzüglichen Unterst
des vermeintlich Begnadeten aufhebt und zur Annahme eines suchungen von Sozialpfarrämtern (bes. Förster/Grau/Truels, Nurn-
f wissermaßen ichlosen, zur aktiven Selbsttätigkeit unfähigen Glau- berg) oder der Pastoralsoziologischen Arbeitsstelle in Hannover.
bens führen müßte Insofern ist G. vorbehaltlos zuzustimmen, wenn Wird es dabei bleiben, daß in den Predigten „Gott nur schwachen
« abschließend konstatiert- Gottes Freiheit trägt und fördert des Anspruch auf unser halbes Leben" erhebt, so B. sarkastisch im
Aschen Freiheil von Grund auf: je abhängiger diese von jener ist, AnRlang an die 2. These der Barmer Erklärung (17ff)? Vorauss.cht-
Um so freier ist sie Ein Höchstmaß an verdanktem Sclbstgcworden- lieh ja. wenn man bedenkt, daß „überd.c Hälfte" der künftigen Predi-
le'n!" (355) So zutreffend diese Einsicht ihrer Intention nach ohne ger aus Familien stammt, welche die Härte des Erwerbslebens nie
2Nveife' ist, daß sie in G s Gnadenlehre unmißverständlich und in der kennengelernt haben. Gedruckte Predigthilfen belehren sie kaum
"Öli8en Klarheit des dogmatischen Begriffs zur Durchführung ge- eines besseren - B. fand z. B. unter 118 „Göttinger Predigtmed.tatio-
7«^ ist, erscheint mir mehr als zweifelhaft. Auch glaube ich nicht. nen" ganze drei, die Tür das Thema Arbeit und Beruf mehr als einen
daß G- der traditionellen Konfessionsgegensätzc in der Gnadenlehre Satz übng hatten (32). Kein Wunder, daß ,n den Predigten die theolo-
derjenigen Differenziertheit ansichtig geworden ist. welche die Ver- gische Auseinandersetzung mit dem Thema Arbeit besonders durrt.g
he,ß"ng einer beide Teile befriedigenden sachlichen Überwindung bleibt. B. zeigt eindrucksvoll, wie weit die Predigten des Pastoren-