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Ausgabe:

1990

Spalte:

768-769

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Böckenförde, Ernst-Wolfgang

Titel/Untertitel:

Kirchlicher Auftrag und politisches Handeln 1990

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 10

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heißenden Impuls in die Lutherforschung (vgl. das Luthersymposion
1986 in Helsinki und die Fachtagung der Luther-Akademie Ratzeburg
mit der Theologischen Fakultät Helsinki und der finnischen
Akademie der Wissenschaften über ..Luther und Theosis? - Die Vergöttlichung
als Thema der abendländischen Theologie" 1989 in
Helsinki).

Mit dem vorliegenden Band werden T. Mannermaas Forschungsergebnisse
zur Theosis-Vorstellung M. Luthers dem deutschsprachigen
Leser zugänglich gemacht. Aus den bilateralen ökumenischen
Gesprächen der zurückliegenden 12 Jahre zwischen der evangelischlutherischen
Kirche Finnlands und der russisch-orthodoxen Kirche
werden vier thematisch eng miteinander verbundene Beiträge Mannermaas
präsentiert: A. „In ipsa fide Christus adest. Der Schnittpunkt
zwischen lutherischer und orthodoxer Theologie" (S. 11-94); B. „Das
Verhältnis von Glaube und Nächstenliebe in der Theologie Luthers"
(S. 95-106); C. „Zwei Arten der Liebe. Einführung in Luthers Glaubenswelt
" (S. 107-182): D. „Grundlagenforschung der Theologie
Martin Luthers und die Ökumene" (S. 183-200).

M. geht es darum, „im lutherischen Christentumsverständnis selbst
nach einem als Zugang oder Schnittpunkt geeigneten theologischen
Motiv zu suchen, das dem Vergottungsgedanken analog wäre"(S. 14).
Seine These mit M. Luthers Galaterkommentar (1535) in: WA 4011,
228, 34-299,1 und Tractatus de übertäte Christiana (1520) in: WA
7,51,20-23: im Glauben selbst ist Christus real anwesend („in ipsa
Ilde Christus adest"), d. h. seine ganze Person und sein ganzes Werk.
Andersais in der Melanchthonisch geprägten FC III (BSELK, 785, 12,
16 und 932, 933) verbinden sich in Person und Werk Christi „sowohl
Gottes .Geist' (favor)-das heißt die Sündenvergebung und die Aufhebung
des .Zorns' - als auch Gottes .Geschenk' oder ,Gabe' (donum) -
das heißt, Gott selbst als in der ganzen Fülle seines Wesens anwesend
", u.zw. real-ontisch (S. 15, 21, 29, 51. 64, 99 u.a. 187). So
nimmt M. mit R. Prenter und G. Kretschmar die Verwandtschaft
zwischen dem Vergöttlichungsgedanken und der Rechtfertigung im
Glauben wahr (S. 18, 185); damit widerspricht er der von J. Kant
geprägten Lutherinterpretation A. Ritschis und W. Hermanns (S. 97,
187).

Des weiteren charakterisiert M. mit P. Manns Luther als „Theologen
der Liebe": in Abgrenzung von A. Nygrens Unterscheidung
zwischen Agape und Eros ist es bei Luther Gottes Agape, die sich „in
der Tiefe" mit den Menschen vereinigt und der Grund der Vergöttlichung
ist, wodurch der Glaube in der Agape zu Gott und zum Nächsten
zu antworten vermag (S. 1740- Da wird der Christ seinem Nächsten
der Christus, indem er dem Nächsten tut wie Christus ihm getan
hat(S. 104, 126,152,163, 171).

Diese Vergöttlichung erfährt bei Luther ihre Entfaltung im kreuzestheologischen
Begründungszusammenhang, wie M. an der 28.
These der Heidelberger Disputation (1518) aufzeigt (S. 129 ff, 152,
199) und - wie überhaupt in seinen Beiträgen - mit längeren Lutherzitaten
aus dem Galaterkommentar (1531/1535), der Fastenpostille
(1525), der Kirchenpostille (1522) u. a. belegt und zu begründen versucht
.

Nun schreibt M. S. 93: „Ein Vergleich zwischen der orthodoxen
und der lutherischen Vergöttlichungsauffassung wird ohne Zweifel ein
fruchtbringendes Unterfangen für die künftige Forschung bilden".
Und im Beitrag „Grundlagenforschung der Theologie Martin Luthers
und die Ökumene" (S. 184ff) benennt er verschiedene Forschungsaufgaben
: die philosophischen - besonders die ontologische'n -
Voraussetzungen, die mit der Theosis-Vorstellung bei M. Luther
gegeben sind. Weiter zu bedenken wäre der Stellenwert der Theosis
(der Begriff kommt bei Luther seltener vor) im Gesamt seiner Theologie
, um nicht vorschnell von einem neuen Paradigma zu sprechen
IS. 184); hiermit verbunden ist auch die traditionsgeschichtliche
Bedeutung von 2Petr 1,4 und die Funktion dieser Bibelstelle bei
M. Luther.

Für die These von der realen Teilhabe an Gottes Leben in Vergöttlichung
und Rechtfertigung zieht M. patristischerseits sehr knapp

Irenaus und Athanasius heran (S. I2f. 186); dies läßt sich ausweiten.
Weitere Einsichten wären zu Gregor Palamas Verständnis von der
Teilnahme „nur an Gottes Wesens-Energien" (S. 186) von der
hesychastischen Zuordnung von ousia und energeia notwendig.

M. will mit seinen Beiträgen Anregungen und Anstöße aus dem
skandinavischen Raum sowohl für die ökumenische Forschung wie
für die Lutherforschung geben. Das ist ihm mit diesen stimulierenden.
Erkenntnisse eröffnenden und weiter zu bedenkenden Aufsätzen
gelungen: für die Lutherforschung ist das augenfällig; für die ökumenische
Forschung stehen über die S. 18 Anm. 12 genannten Beiträge
zum Gespräch zwischen EKD und russ.-orth. Patriarchat und dem
thematisch entsprechenden Studienheft Nr. 3 („Traditions und Glaubensgerechtigkeit
", Witten 1961) hinaus weitere und theologisch neue
Ergebnisse zu erwarten. Mit K. Asendorfs Charakterisierung in der
„Einführung" mögen M. s Beiträge z. T. „Versuche" sein (S. 81): sie
verdienen unser volles Interesse und wissenschaftliches Engagement
.

Heidelberg Michael Plathow

Systematische Theologie: Ethik

Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Kirchlicher Auftrag und politisches

Handeln. Analysen und Orientierungen. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1989.231 S. 8'= Schriften zu Staat -Gesellschaft-Kirche,
2. geb. DM 49,-.

Ein Jahr nach dem ersten Band der gesammelten Schriften des
Autors, der seinerzeit vor allem historische Themen behandelt hatte.
(s.ThlZ 115, 1990, 121) legt B. nun den zweiten Band vor.diesmal mit
Arbeiten aus den Jahren zwischen i960 und 1984 und wiederum
durchaus wert, noch einmal vorgelegt und aus ihren z. T. etwas entlegenen
Erstveröffentlichungsorten in einen weiteren Horizont gestellt
zu werden.

Der (hier wiederum nur anzuzeigende) Band enthält zehn Arbeiten,
die der Autor in drei „Kapitel" zusammenfaßt: I. „Die naturrechtliche
Kriegslehre und der Auftrag des kirchlichen Amtes" (13-87):
Die Zerstörung der naturrechtlichen Kriegslehre. Erwiderung an
Pater G. Gundlach SJ (1960, 15-44); Christliche Moral und atomare
Kampfmittel (1961, 45-73); Noch einmal: Christliche Moral und
atomare Kampfmittel (1962, 74-87), alle drei Aufsätze zusammen
mit R. Spaemann verfaßt. 2. „Politisches Mandat der Kirche? Überlegungen
angesichts der neuen .politischen Theologie'" (89-158):
Politisches Mandat der Kirche? (1969,91-106); Politische Theologie
- politisches Mandat der Gemeinde? (1970, 107-121); Das neue
politische Engagement der Kirche. Zur „politischen Theologie"
Johannes Pauls II. (1980/84, 122-145); Politische Theorie und politische
Theologie. Bemerkungen zu ihrem gegenseitigen Verhältnis
(1983, 146-158). 3. „Orientierungen" (159-230): Kirchliches Naturrecht
und politisches Handeln (1973, 161-191); Abschaffung des
§218 StGB. Überlegungen zur gegenwärtigen Diskussion über das
strafrechtliche Abtreibungsverbot (1971, 192-217): Ethische und
politische Grundsatzfragen zur Zeit. Überlegungen aus Anlaß von 90
Jahren „Rerum novarum" (1981,218-230).

Das ist ein weites Spektrum. Der Autor beweist erneut, wie wenig er
sich mit seinen Interessen und seinem Engagement auf einen speziellen
Bereich festlegen läßt, und vor allem: daß er darüber hinaus auch
sehr viel zu sagen hat. Und selbst wenn manche Diskussion so heute
nicht mehr geführt wird (und manches sich hierauch wiederholt, z. T.
sogar nahezu wörtlich!), muß man doch auch bei wiederholter Lektüre
feststellen, daß vieles keineswegs veraltet ist, sondern im Gegenteil
bleibend aktuell, vor allem, was die Auseinandersetzungen mit
dem Naturrecbt angeht. Gerade im Hinblick darauf, genauso aber in
der Erwiderung auf die Thesen von G. Gundlach (der nicht zuletzt als
sozialethischer Berater Papst Pius' XII. einen Namen erlangte) und in
dem Votum gegen die atomaren Kampfmittel, ist die Stringcnz der