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Ausgabe:

1990

Spalte:

759-760

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Hummel, Gert

Titel/Untertitel:

Die Begegnungen zwischen Philosophie und evangelischer Theologie im 20. Jahrhundert 1990

Rezensent:

Trowitzsch, Michael

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Seite 1

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759

Theologische Literaturzeitung I 15. Jahrgang 1990 Nr. 10

760

rantia und De coniecturis geht es darum, daß der Mensch nicht
nach einer anderen, sondern nur nach Vollendung in seiner Natur
strebe (242).

Ergänzende Beiträge beschließen den Band. R. Haubst berichtet
über seine Begegnung mit der indischen „Devotional Associates of
Yogeshwar", M. Gogacz schreibt über „Mystische Erfahrung im
Hinblick auf verschiedene Arten des Sehens Gottes und das Werk
De visione Dei des Nikolaus von Kues (271-275) und K. Yamaki
über „Die .manuduetio' von der .ratio' zur Intuition in ,De visione
Dei'" (276-295): „Nicht mehr diesseits, sondern auf der Grenze,
welche durch die Mauer gesetzt wird, befinde ich mich, .wenn ich
den Schöpfer als erschaffbar begreife'", aber damit begreife ich
Gott noch nicht. Er ist .jenseits aller Gegensätze", was Y. christo-
logisch verstehen will: Der Ineinsfall ist „durch die Personheit Jesu
zustande gekommen und vollendet" (278.2900-

Die meist auf hohem Niveau stehende und durchaus weiterführende
Diskussion zu den Referaten darf, auch wenn sie hier nur
erwähnt werden kann, in der weiteren Forschung nicht übersehen
weiden.

Dieses Symposion von hohem wissenschaftlichem Rang war
zugleich Ausdruck des mystisch-charismatischen Denkens von
NvK, das uns heute anspricht und uns viel zu sagen hat. NvK vereinte
in seinem Denken sowohl theologische Spekulation als auch
geistliches Leben, vor allem Anbetung Gottes, ist doch - schon rein
äußerlich, aber das ist typisch - seine Schrift fast ein einziger Hymnus
, als Gebet niedergeschrieben. Möge heutige Theologie davon
etwas in sich aufnehmen.

Leipzig/Freiberg Karl-Hermann Kandier

Philosophie, Religionsphilosophie

Hummel, Gert: Die Begegnungen zwischen Philosophie und evangelischer
Theologie im 20. Jahrhundert. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft 1989. X, 499 S. gr. 8- = Die philosophischen
Bemühungen des 20. Jahrhunderts. Lw. DM

98,-.

Die Begegnungen zwischen Philosophie und evangelischer
Theologie im 20. Jahrhundert monographisch nachzuzeichnen
stellt eine schon methodisch schwierige Aufgabe dar. Ein großer,
bewegter Zeitraum ist zu überblicken, eine vielwertige Konstellation
verschiedenster Theorieebenen abzubilden. Probleme von Auswahl
und Gewichtung, nicht immer in aller Ausdrücklichkeit offenzulegen
, erweisen sich als von ausschlaggebender Bedeutung.

Hummel gliedert seine matcrialreiche Darstellung im ganzen
chronologisch: nach einem kurzen einleitenden, einige wichtige
einschlägige Probleme des 19. Jahrhunderts aufrufenden
Abschnitt (,.Eröffnung: Die .Wclträthsel' sind gelöst!") folgen fünf
sehr verschieden ausführliche Hauptteile:

I Die Wiederkehr der transzendentalen Vernunft

II. Im Horizont der Katastrophe

III. Dialogisches Denken und Glauben

IV. Existenz und Gott

V. Autbruch ins Sinnziel der geschichtlichen Welt.

Jeder dieser Teile zerfällt in zwei Paragraphen, in denen - in
jeweils drei Abschnitten - den ausgewählten philosophischen Entwürfen
die ihnen korrespondierenden theologischen Konzeptionen
zugeordnet werden. Schon diese Anordnung demonstriert (zu
Recht?) die auch sonst vorausgesetzte durchgehende Priorität der
Initiativen der Philosophie. Biographische Daten finden sinnvollerweise
nur sparsam und gezielt Eingang in die Darstellungen. Ein
(zu knappes, auch merkwürdig umständlich gestaltetes) Literaturverzeichnis
beschließt den Band. Leider fehlt ein Personenregister
.

Im Vorwort nennt Hummel das Prinzip der Vorgehensweise: sich
„so eng wie möglich an Gedankengang und Formulierung der
gewählten Autoren halten" (IX) - ein im ganzen weniger von einem
einheitlichen sachlichen Gesichtspunkt aus interpretierendes als
vielmehr je neu ansetzendes referierendes Verfahren, dem ausgiebige
Zitation mit duchgängig gut gewählten, repräsentativen Zitaten
entspricht. Die Spannweite der auf diese Weise versammelten
Literatur ist beträchtlich. Beansprucht wird nicht weniger als ein
alle relevanten Problemfelder einbegreifender Gesamtüberblick
über ein Jahrhundert des Hinüber und Herüber von Philosophie und
Theologie (wobei, wie gesagt, das Herüber deutlich zurücktritt).

An dieser Stelle setzen nun freilich erhebliche Fragen ein. Sic
betreffen die Gewichtung der dargestellten Positionen im Gesamtzusammenhang
ebenso wie das Auswahlprinzip. Um mit letzterem
zu beginnen: ebensowenig mag man die Darstellung des logischen
Positivismus, der Ansätze der sprachanalytischen Philosophie für
entbehrlich halten wie eine Behandlung der Frankfurter Schule:
und die Außerachtlassung des im ständigen Gespräch mit philosophischem
Denken ausgestalteten Werks Ebelings und Jüngels ist
ebensowenig einzusehen wie das Fehlen BonhoetTers! Eine Verzerrung
der Perspektiven ergibt sich aber auch durch wenig überzeugende
Raumzuweisungen, die sich in der Regel in einem Werk
wie diesem nun doch wie Gewichtungen und Einschätzungen ausnehmen
müssen. Der Engländer Collingwood (über dessen Bedeutung
man wird streiten können) erhält ungefähr soviel Platz
zugewiesen wie Karl Barth; beide zusammen erreichen aber nicht
die Seitenzahl, die der Darstellung der Arbeiten Fritz Buris gilt:
welche Bedeutung ein philosophisches oder theologisches Werk
nach Meinung des Interpreten vielleicht haben sollte, kann doch für
eine Darstellung dieser Art kein ausschlaggebendes Kriterium sein.
Selbst wenn man, wie angebracht, Qualität und Intensität der Darstellungen
höher veranschlagt als den äußerlichen Gesichtspunkt
der Ausführlichkeit - die Proportionen bleiben auf störende Weise
unausgeglichen. Zu fragen ist ja immer, welchen Eindruck ein in die
Probleme einzuführender Leser gewinnen muß (von der vermeintlichen
Bedeutungslosigkeit Adornos und Horkheimers. vom
angeblichen Einfluß Collingwoods auf die evangelische Theologie
des Jahrhunderts).

Als positiv hervorzuheben ist hingegen die durchgehende Zuverlässigkeit
der Wiedergaben im einzelnen. Die vorgestellten philosophischen
und theologischen Positionen werden jeweils selbständig
aus den Quellen erarbeitet, aus sich selbst heraus (statt
aus einem herangetragenen interpretationsschema) verstanden.'
nämlich nach ihren eigenen höchst unterschiedlichen Intentionen
befragt und nach deren Maßgabe verständnisvoll und lehrreich
dargestellt. Als besonders erhellend erscheinen dabei die Kapitel
über Rosenzweig, Rosenstock-Huessy. Ebner und Buber. Alles in
allem treten ausdrückliche Bewertungen zugunsten von Nachzeichnungen
zurück.

Daß alle Wege bei Tillich beginnen (IX) und enden (439-473)
beeinträchtigt die übrigen Wegbeschreibungen nicht oder kaum -
jedenfalls tritt nicht ein, was wohl sonst gelegentlich begegnet:
daß die ganze Welt in Tillich und Nicht-Tillich zerfällt (man kann
gewiß auch andere Namen einsetzen). Nicht völlig deutlich zeichnen
sich nur wiederum die Größenordnungen ab: der maßgebliche
Rang der „Kirchlichen Dogmatik", wie auch immer man sich zu ihr
verhalten mag, wird wohl doch verkannt, der Weg zu einem Verständnis
nun auch ihrer philosophischen Relevanz verstellt; und die
nicht zuletzt vom Werk Bultmanns ausgehende kräftige exege-
tisch-hermencutischc Linie in der Theologie des Jahrhunderts findet
nicht die ihrer Bedeutung entsprechende eindringliche Kontu-
rierung.

Vermag das Buch vielleicht weniger im konzeptionellen Gesamtentwurf
zu überzeugen, in der Einzeldarstellung bietet es
zuverlässige Unterrichtung.

Münster Michael I rowitzsch