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Ausgabe:

1990

Spalte:

757

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Durst, Michael

Titel/Untertitel:

Die Eschatologie des Hilarius von Poitiers 1990

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 11

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eine seinerzeit entsprechende „denkende I ermittlungder Glaubensvoraussetzung
in der Theologie'*. (504) Um das leisten zu können,
rekurriert er auf die seine Zeit prägende Philosophie Christian Wolfis
und seiner Schüler. Sie erscheint ihm geeignet, „Harmonie von Philosophie
und Theologie" hinsichtlich der Nichtvvidersprüchlichkeit von
Vernunft und Offenbarung darstellen zu können. (504) Immer wieder
weist Müller den Bezug Wiests zu Wölfischer Philosophie nach. Allerdings
verwundert es, daß Bernhard Müller bei dieser zurecht hervorgehobenen
Prägung Wiests durch WoltT letzteren nur in sekundärer
Autbereitung (hauptsächlich durch A. Bissinger) präsentiert.

\ iest -so Müller- kritisiert scholastische Philosophie mit ihrem in
seinen Augen Verderben bringenden Aristotelismus und mit ihrer
spekulativen Überfremdung von Glaubenswahrheiten hart. (91 ff)
Von ihr gilt es. Abschied zu nehmen, um aktuelle Theologie betreiben
zu können. Theologie muß mit dem herrschenden philosophischen
Denken der Zeit interpretiert werden. Logik, Metaphysik und Physik
bilden die theoretische Ethik und Naturrecht die praktische Philosophie
. So sind in der Philosophie Wissen und Handeln zu konstatieren
, die „beide durch den Nützlichkeitsgedanken im Hinblick auf
das Glück des Menschen" zusammengehalten werden. (150t) Diesem
konkordant ist in der Theologie zwischen „.credenda' und .agenda""
zu unterteilen. (151)- Wiest, der „bei aller Verarbeitung katholischer
Theologen doch die protestantischen in den Vordergrund" rückt -
letzteres bringt ihm zeitgenössische katholische Polemik ein -, ist
fasziniert von der wissenschaftstheoretischen Aufklärungsphiloso-
phie. die in der mathematisch-deduktiven Methode die wissenschaftliche
Methode sieht, die folglich für Wiest, in seinem Bemühen.
Denken und Glauben, Philosophie und Theologie zu versöhnen, auch
für die Theologie Bedeutung hat. Wenn sie auch in dieser nicht überall
angewandt, sondern moralistisch assistiert wird, so gilt doch auch die
mathematisch-deduktive Logik innerhalb der Theologie. In der Theologie
wird die Geschichte zum axiomatischen Beweisprinzip, das
theologische Gewißheit im Sinne des mathematisch-historischen
Beweises gibt. (167 ff)

Nun weiß allerdings St. Wiest um „die prinipielle Bedeutung" der
Offenbarung „für die Theologie" (504), aber „wahre Offenbarung
dürfe der Vernunft und Erfahrung nicht widersprechen" (348).
Gewißheit des Offenbarungsbeweises ist für Wiest „zwar nicht als
mathematische, aber als moralische bzw. historische, die der physischen
Gewißheit nicht viel nachstehe" zu finden. (339) Für den Offenbarungsbegriff
gilt die Widerspruchsfreiheit in bezug auf die mathematisch
-historische Vernünftigkeit. (350) Zwar kann Offenbarung
nicht in der Vernunft erstellt werden, sondern ist über-, aber nicht
w iderv ernünftig als Mysterium zu verstehen, das aber von dieser axio-
matisch-theologischen Voraussetzung her logisch deduziert werden
kann. Die Wirklichkeit der Offenbarung ist durch die Autorität Gottes
verbürgt und daher zu akzeptieren und nicht hinterfragbar. Es ist
daher „nicht notwendig diese (sc. Offenbarungs-)Wahrheit zu beweisen
oder zu verstehen. Man müsse aber alle Kräfte der Vernunft
anstrengen, um zur sicheren Erkenntnis der Offenbarung zu kommen.
Sobald sie aber erkannt sei, müsse die Vernunft sich dem göttlichen
Zeugnis unterwerfen." (355)

B. Müller kritisiert von der Basis heutigen nachkonziliaren
römisch-katholischen Denkens aus St. Wiests theologische Option.
\ iest verwende einen restringenten Vernunftbegriff in der Theologie,
der nur logisch-deduzierende Vernunft kenne. (355 u. ö.) Wiests nur
„logisch deduzierender" und nicht „vernehmender und verstehender
im weiten Sinn" Vernunftbegriff sei untauglich. Offenbarung „denkend
und verstehend" zu vermitteln. (390) Letztlich erweise sich bei
Wiest Offenbarung als Lückenbüßerfunktion" (370), die relativ endlich
ihre Wirklichkeitsfunktion „in der Addition und Maximierung
der Vernunft" (372) habe. So sei es ganz folgerichtig, wenn Wiest die
Aufgabe verstärkender Handlungsmotivation der Offenbarung zuweise
, die ...fortissimis motivis ad virtutem et pietatem impellit'"
(373). Offenbarung, die bei W iest „als Vervollständigung der natürlichen
Religion h:n: der I ernunft" gedacht werde, könne von Wiest in

ihrer notwendigen theologischen Andersartigkeit nicht zur Sprache
gebracht werden. (370) Wiest begebe sich auf Grund seiner nicht
geglückten lndienstnahme der restriktiven mathematisch-logischen
Vernunft in der Theologie in die totale Abhängigkeit von dieser, die es
ihm unmöglich mache, mehr als formalistisch - und nicht wie theologisch
notwendig inhaltlich - das Verhältnis von Glauben und Denken
zu klären. Das bei Wiest durchaus vorhandene Gespür und Wissen
um das Eigengewicht von Glaubenswirklichkeit, die ..scharte
Trennung von göttlicher und menschlicher l ernunfi wird rational eingeholl
und relativiert" (All).

Bernhard Müllers Kritik an Stephan Wiest, die, im ganzen gesehen,
auf Grund heutiger theologischer Argumentation überzeugt, steht
zuweilen in der Gefahr, den gesellschaftlich geschichtlichen Ort
Wiests zu vernachlässigen und geschichtlich zu aktualisieren. Das
vorherrschend systematische Interesse B. Müllers dominiert und
macht diese Arbeit zu einem lebendigen Dialog - der allerdings etwas
zu breit und Wiederholungen nicht scheuend ausgefallen ist - mit dem
katholischen Aufklärungstheologen Stephan Wiest.

Jena Udo Kei n

Systematische Theologie: Dogmatik

Murphy. Marie: New Images of the Last Things. Karl .Rahner on
Death and Life After Death. New York - Mahwah: Paulist 1988.
IV, 96 S.8-. Kart. $6.95.

Über den im Titel angekündigten Inhalt hinaus: „Neue Sicht der
letzten Dinge: Karl Rahner über den Tod und das Leben nach dem
Tode" macht das Büchlein noch zweierlei deutlich: den Umfang der
Rezeption Rahners - dieses deutschen, katholischen Theologen - in
den USA und etwas von den Gründen dafür. Das Buch ist leichter
lesbar als die meisten Schriften Rahners, weil es von einer Frau
geschrieben ist, noch dazu von einer Amerikanerin, und sich - nicht
nur durch die inklusive Schreibweise - an Leser/innen wendet. Es
geht nicht ausdrücklich auf die sonst üblichen Kontroversen ein, sondern
erntet praxisnah die geistlichen Früchte vieler weitschweifiger
Abhandlungen Rahners, ohne unerlaubt zu vereinfachen und zu verflachen
.

Die Vfn. folgt der Methode Rahners, wenn sie im 1 .-4. Kap. heutiges
Empfinden und Denken mit der überlieferten Lehre der Kirche
konfrontiert. Herkömmlicherweise wird der Tod als Trennung von
Leib und Seele beschrieben. Die bleibende Zugehörigkeit des Menschen
auch nach dem Tode zur raumzeitlich ausgebreiteten Welt und
zur geschichtlichen Menschheit kommt in dieser Ausdrucksweise
nicht zur Sprache. Auch wird das Sterben vor allem als reines Erleiden
gesehen. Es sei aber auch ein aktives Tun. Rahner spreche deshalb
beim Menschen weniger von Leib und Seele, sondern lieber von
„Geist in Welt" oder von „Person in Materie". Er spreche von einem
„bleibenden Weltbezug der Seele", der durch den Tod nicht beendet,
sondern vollendet werde. Was das bedeutet, zeige sich in der verklärten
Leiblichkeit des Auferstandenen, der nicht nur einen begrenzten
Teil der Welt beseelt, sondern kraft seines Todes zum „Herz der
Welt" geworden sei, zur „Basiseinheit des Kosmos*'. Auch spreche
Rahner von einer „Auferstehung im Tod" und könne auf das Postulat
eines Zwischenzustands zwischen individuellem Tod und allgemeinem
Gericht verzichten. Das Fegfeuer sei nicht verhängte Qual, sondern
das Zuendeleiden der eigenen Unvollkommenhcit. Hölle bleibe
als Möglichkeit des Scheiterns einzelner, als Konsequenz der menschlichen
Freiheit, obwohl wir für alle Menschen hoffen sollen und nicht
ausschließen dürfen, daß vielleicht doch de facto alle gerettet weiden.
Das zweite Kommen des Herrn sehe er weniger in einem neuen Tun
Christi, sondern darin, daß alle bei ihm ankommen.

Im 5. Kap. vergleicht sie noch einmal ausdrücklich Rahners Escha-
tologie mit der Lehre der Kirche, wie sie sich in den Aussagen der