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Ausgabe:

1990

Spalte:

748-750

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Rathsack, Mogens

Titel/Untertitel:

Die Fuldaer Fälschungen 1990

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 10

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schieden wird, und dem Ausdruck christlich, der „lediglich ein
Adjektiv, das der Beschreibung dient", darstellt (S. 32). Nur das
letztere sei Gegenstand einer neutestamentlichen Ethik, die nicht
ohne ihre Verbindung mit der Theologie des neuen Testaments begriffen
werden kann. Zu Recht wird mit dieser Abgrenzung auf das Vorläufige
und Disparate der neutestamentlichen Ethik aufmerksam
gemacht. Freilich äußert sich der Vf. über das gegenseitige Verhältnis
der beiden begrifflichen Fassungen nicht eingehender. Auch wird das
sich nahelegende Problem, in welcher Weise sich die christliche Ethik
des Neuen Testaments von der nichtchristlichen ethischen Überlieferung
der neutestamentlichen Umwelt inhaltlich unterscheidet, nicht
aufgeworfen. Und so sehr der Vf. mit gewichtigen Argumenten die
neutestamentliche Ethik aus der Christologie begründet und auf den
christologischen Kontext der ethischen Forderungen des neuen Testaments
immer wieder hinweist, so daß sein Buch in vielen Abschnitten
sich einer neutestamentlichen Theologie nähert und hierbei viel
Überzeugendes vorträgt - im Detail bleibt vieles offen, nicht zuletzt
oftmals die Fragen, die sich auf die Konkretion des christlichen Verhaltens
nach neutestamentlichem Verständnis ausrichten.

Zugrunde liegt der herkömmliche chronologische Aufriß. Unter der
Überschrift „Die Ansätze" (A, S. 35ff) wird „die an Jesus orientierte
Ethik" unter Einschluß der Frage nach dem historischen Jesus und
der nachösterlichen Jesusüberlieferung diskutiert. Dies geschieht
durch Auslegung von Texten (zumeist aus dem Markus- und Lukasevangelium
), für die „Aspekte des eschatologischen Existierens"
aufgewiesen werden - im einzelnen anregend und auch dann lehrreich
, wenn man der Ansicht ist, daß der Vf. nicht selten der
Versuchung erliegt, überscharfe Alternativen aufzustellen und der
Komplexität der neutestamentlichen Überlieferung nicht immer
gerecht zu werden.

Auch sachlich wird man gelegentlich anders urteilen. Wenn der Vf. das
Problem der Ehescheidung auf der Grundlage von Mk 10.2-9 behandelt, so
arbeitet er den Zusammenhang der mosaischen Erlaubnis der Ehescheidung mit
der „Herzenshärtigkeit" der Hörer Jesu (V. 5) überzeugend heraus. Darf aber
hieraus die Folgerung gezogen werden: ..Nur vordergründig enthält das Traditionsstück
ein Verbot der Ehescheidung. Versteht man es so. würde das
bedeuten: Durch Beachtung dieses Verbotes ist der Mensch in der Lage, selbst
Paradies herzustellen" (S. 112)? Dem ist entgegenzuhalten, daß das Verbot der
Ehescheidung in V. 9 („was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch
nicht scheiden") eindeutig ausgesprochen ist und diese Weisung Jesu als
Bestandteil der Predigt vom nahenden Gottesreich dem Zugeständnis in Dtn 24
gegensätzlich gegenübersteht. Die „Herzenshärtigkeit", die das Zugeständnis
Moses motivieren soll, ist ja von den pharisäischen Gegnern Jesu ausgesagt,
nicht von Jesus oder der urchristlichen Gemeinde, die sich vielmehr als eine
esc hatologi sehe Gemeinschaft versteht. Im übrigen hat das Ehescheidungsverbot
Jesu eine weitere Grundlage in der vorpaulinischen Herrenwortüberlieferung
(I Kor 7,10 - vom Vf. nicht erwähnt) und auch in der späteren Auslegungsgeschichtetz
. B. Ptolomäus' Briefan Flora: Epiph, pan. 33,4,4ff).

Zu den „Ansätzen" gehört die „Ethik des Paulus". Der Vf. geht
vom „Damaskus-Erlebnis" des Apostels aus, mit guten Gründen, da
dieses die Wende vom Verfolger zum Heidenapostel aussagt. Doch ist
Kritik nicht zurückzuhalten, wenn sachlich und-zeitlich späte Texte
wie Phil 3,3-11 und Rom 10,1-4 zur Interpretation dieses Ereignisses
in den Vordergrund gestellt werden (zu S. 1440- Ausführlich wird das
Problem „Indikativ und Imperativ" vorgetragen. Der Vf. betont die
Orientierung des Imperativs am Indikativ und damit „die Paradoxie,
die das Selbstverständnis des Paulus bestimmt" (S. 172). Aber dies
sollte nicht dazu führen, die ethische Forderung des Paulus als lediglich
„situationsbedingt" abzuwerten, so daß der ethische Imperativ
entleert würde (zu S. 1660- Bei aller Anerkennung des paradoxalen
Charakters des paulinischen Selbst Verständnisses ist der Satz: „So
bleibt christliche Ethik nach Paulus eine dem Menschen unmögliche
Möglichkeit, aber ebenso eine mögliche Unmöglichkeit" (S. 176),
kaum hilfreich. So sehr dem Verfasser mit R. Bultmann im Grundsatz
in der Aussage zuzustimmen ist, daß „die sittliche Forderung ... für
Paulus keinen neuen Inhalt gewonnen" hat (S. 190) und daß dem
Christen die Freiheit zur Entscheidung in den sich verändernden

konkreten Situationen des geschichtlichen Lebens nicht abgenommen
werden kann, so wenig sollte in einer neutestamentlichen Ethik darauf
verzichtet werden, den sachlichen Zusammenhang der paulinischen
Ethik mit dem vorgegebenen gesellschaftlichen Ordnungsgefüge und
zugleich das christologisch motivierte eigene Profil der christlichen
Gemeinschaft herauszuarbeiten, das sich in Anknüpfung und Widerspruch
zum ethischen Umfeld gestaltete.

Der zweite Großabschnitt steht unter der Überschrift „Entwicklungen
und Fehlentwicklungen" (B, S. 201 IT). Fehlentwicklungen
möchte der Vf. in den Schriften feststellen, in denen die „Ethik nicht
mehr ein Aspekt von Christologie" ist (S. 201). Hierzu hat der Verzicht
auf ein „Leben in Naherwartung" nicht wenig beigetragen, wie
dieser sich in den späteren Schriften des Neuen Testaments artikulierte
(S. 202). Der Vf. beginnt mit der „Ethik des Matthäus", die
weitgehend durch den Imperativ bestimmt sei. Zu Recht werden
folgerichtig die Antithesen der Bergpredigt im Sinn des Matthäus als
„neuformulierte Gebote" verstanden. Allerdings mag man fragen, ob
im Matthäusevangelium wirklich „der Indikativ fehlt" und ob durch
Matthäus „Christologie und Ethik getrennt" worden ist. Ist der erste
Evangelist nicht viel mehr an der Durchdringung des Indikativs durch
den Imperativ bzw. an der Identifizierung von beidem interessiert (zu
S. 205)? - Auch die übrigen behandelten ethischen Entwürfe des
Neuen Testaments werden nach der in ihnen ausgesprochenen
„Funktion der Christologie" untersucht: 2Thess, Past, Jak, IPetr.
Kol. Hebr. Dabei zeigt sich, daß die „Lösungsversuche" durchaus
verschiedenartig sind und sowohl positive (Kol, Hebr) als auch ausgesprochen
negative (2Thess) Bewertungen erfahren. - Die „Ethiken
des johanneischen Kreises" werden auf der Grundlage des 4. Evangeliums
und des 1. Johannesbriefes vorgeführt. Zu Recht wird vor der
Versuchung gewarnt, „vorschnell die Einheit der Ethik des Johannes
und der seiner Schule zu postulieren" (S. 247). Diese Warnung sollte
auch dann Beachtung finden, wenn man die Möglichkeiten, in den
futurisch-eschatologischen oder sakramentalen Aussagen des Johannesevangeliums
eine „kirchliche Redaktion" aufzuspüren, zu der
darüber hinaus nicht nur Joh 21, sondern auch der Autor des Uoh
gezählt werden, skeptisch beurteilt.

Der Vf. beansprucht nicht, mit dem vorgelegten Entwurf eine
umfassende Ethik des Neuen Testaments zu geben. Unter der Perspektive
einer solchen betrachtet, sind die Lücken nicht zu übersehen;
so sind die „Ethiken" des Eph, Jud, 2Petr,2 und 3Joh, Apk nicht
dargestellt worden. Im Vergleich mit den Kapiteln, die sich mit der
Verkündigung Jesu und den paulinischen Briefen befassen, fallen die
übrigen Abschnitte schon ihrem Umfang nach deutlich ab. Wie auch
das Literaturverzeichnis ausweist, ist die exegetische Diskussion
bestenfalls im Vorübergehen zur Kenntnis genommen worden. Das
Buch ist wohl weniger als Beitrag zur Erforschung der Ethik des
Neuen Testaments oder als Lehrbuch als vielmehr zur Anwendung in
der Praxis der Kirche geschrieben worden. Aber auch in dieser
begrenzten Zielsetzung kann es nicht nur dem „interessierten Laien",
sondern selbst dem professionellen Exegeten Anstöße zum Weiterdenken
vermitteln.

Göttingen Georg Strecker

Kirchengeschichte: Mittelalter

Rathsack, Mogens: Die Fuldaer Fälschungen. Eine rechtshistorische
Analyse der päpstlichen Privilegien des Klosters Fulda von 751 bis
ca. 1158. Aus dem Dän. übers, von P. K. Mogensen, wissenschaftl.
betreut von H. Zimmermann. 1. u. 2. Halbband. Stuttgart: Hicrse-
mann 1989. XXV, X, 702 S. gr. 8' = Päpste und Papsttum, 24, 1/2.
LW. DM 490,-.

Der Jurist Mogens Rathsack verteidigte 1980 in Kopenhagen seine
Dissertation „Fuldaforfalskningerne". Sein späteres Ziel war eine
„allgemeine Darstellung der päpstlichen Privilegienpolitik im frühen