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Ausgabe:

1990

Spalte:

731-733

Kategorie:

Religionswissenschaft

Titel/Untertitel:

Die Religion von Oberschichten 1990

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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73!

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 10

732

dige Interessiertheit des Autors an den sozusagen „dogmatischen"
Aussagen bzw. Implikationen der Texte seinem eigentlichen Befragungsziel
nicht besonders günstig.

Ein direkter Einwand meinerseits richtet sich gegen Sch.s Behandlung
des Valentinianismus im Gegenüber zum Sethianismus. Im Teil
2 des Buches geht es ja im wesentlichen um valentinianische und
sethianische Nag-Hammadi-Texte. Und Sch. sagt im Vorwort, daß bei
deren Behandlung als Nebenertrag seiner Arbeit etwas zur Klärung
des Verhältnisses zwischen Sethianismus und Valentinianismus beigesteuert
werde (S. 9). Die Sache läuft übrigens darauf hinaus, daß der
Sethianismus vom Valentinianismus beeinflußt erscheint (und nicht
umgekehrt). Aber dieses Ergebnis meine ich gar nicht. Ich will auch
gar nicht darauf hinaus, daß m. E. die Reihenfolge der Behandlung,
erst der valentinianischen, dann erst der sethianischen Texte, dies
Ergebnis in gewisser Hinsicht vorprogrammiert. Wogegen ich protestieren
möchte - gerade, weil ich mich an dem Mißverständnis mitschuldig
fühle - ist vielmehr die zur Zeit (besonders unter dem Einfluß
von B. Layton) tätsächlich in der Luft liegende Voraussetzung, daß die
Gnosis (oder, wie Sch. im Anschluß an Colpe sagt, der Gnostizismus)
praktisch aus dem Valentinianismus und dem Sethianismus als den
beiden Hauptrichtungen bestehe (vgl. z. B. S. 262) und die beiden
Phänomene qua System direkt aneinander meßbar seien. Ich möchte
dagegenhalten, daß Valentinianismus und Sethianismus nur wie zwei
Spitzen eines Eisberges sind und beide Phänomene nur an Bedeutung
vergleichbar sind, nicht aber hinsichtlich ihrer Struktur. Der Valentinianismus
hat tatsächlich ein System; aber, was den sethianischen
Texten gemeinsam ist, kann man eben nicht - wenigstens nicht im
gleichen Sinn - System nennen (jedenfalls ist das m. E. eins der
wesentlichsten Ergebnisse der modernen Debatte zu dieser Frage),
ganz abgesehen davon, daß auch die Zentren der beiden speziellen
Ausprägungen von Gnosis an ganz verschiedenen Stellen liegen.

Berlin Hans-Martin Schenke

Antes, Peter, u. Donate Pahnke [Hg.]: Die Religion von Oberschichten
. Religion - Profession - Intellektualismus. Marburg:
diagonal 1989. 316 S. 8° = Veröffentlichungen der Jahrestagung der
Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte, 19. Kart.
DM 32,-.

Religion von Oberschichten ist ein unerschöpfliches Thema, nicht
nur wegen der Schwierigkeiten, in die Eliten, zumal leitende Männer,
häufig mit der Religion, mit einer eingeführten oder einer im Vordringen
befindlichen Glaubensrichtung, geraten. Natürlich ist der
Elite-Begriff selbst recht kompliziert und konnte auch in diesen Beiträgen
nicht wesentlich vorangebracht werden. Es kommt gewiß nicht
nur auf das persönliche Engagement an, das maßgebliche Männer betreiben
, sondern weithin auf den Einfluß, den sie religiös oder
religionspolitisch auf Unterschichten, gar auf eigene Untertanen, ausüben
können, dürfen oder ggf. müssen: Man denke an die eklatant
wichtige Entscheidung des Augsburger Religionsfriedens von 1555
mit dem Prinzip des „cuius regio, eius religio".

P. Antes geht auf solche und verwandte Fragen in einem bemerkenswerten
, wenngleich sehr knappen Vorwort (S. 7-9) ein, das insbesondere
die vier .lockeren' Kapitel des Bandes ein wenig klammert.
Für die Lage der Geisteswissenschaften ist es wohl überhaupt kennzeichnend
, daß die Mittel nicht ausreichten, um alle auf der Konferenz
gehaltenen Beiträge wiederzugeben. Hoffentlich wird den eigentlich
Verantwortlichen das einmal - und wenn durch eigene bittere Erfahrungen
- verdeutlicht. Mir als Rez., der dem Kongreß beiwohnte
und dort auch sprechen konnte, genügt es jedenfalls nicht, wenn politisch
verantwortliche Männer immer dann zu kurz treten, wenn es
eigentlich daraufankommt.'

Die Reihung der Beiträge folgt der Chronologie: So umfaßt das
1. Kapitel „exemplarische Schwerpunkte vom Alten Griechenland
über Gnosis und Manichäismus und über das arabisch-andalusische

Mittelalter bis hin zur Mogulzcit" (U. Bianchi, K. Rudolph.
Carl-A. Keller, H. von Stietencron), während das 2. Kapitel im
großen Sprung bereits die Buddhismusrezeption in Deutschland um
die Jahrhundertwende (F. Usarski) und Probleme des Nietzsche-
Kultes, der Religion des auf seine Weise bemerkenswertesten deutschen
Philosophen, erfaßt (H. Cancik, H. Treiber). Im 3. Kapitel
behandelt U. Nanko die sog. „Deutsche Gottschau" des Religionswissenschaftlers
J. W. Hauer, eine eigenwillige Religionsstiftung, die
sich rechtzeitig vom Nationalsozialismus absetzte. Die übrigen Beiträge
des Kapitels befassen sich mit Intellektuellen-Religion, z. B. mit
Max Weber (H. G. Kippenberg), mit „Religiösen Entwürfen und religiösen
Wirkungen von Religionswissenschaftlern" (R. Flasche) sowie
dem „Pantheismus als ,Religion' von Naturwissenschaftlern" (B.
Gladigow). Das vierte Kapitel bringt Untersuchungen zur aktuellen
New-Age-Thematik (D. Pahnke, H. Zinser, S. Lanward), mit Eingehen
auf die .feministische Spiritualität' in der Literatur des New
Age. Ein Beitrag über die Neo-Orthodoxie im heutigen Griechenland
(V. N. Makrides) sowie der Vortrag von M. Pye „Woran glauben
Japans Großindustrielle?" runden den trotz seiner Knappheit inhaltreichen
Band ab.

Auf jeweils eigene Weise leistet jeder Beitrag Ansehnliches zum
Fach, das in der internationalen Forschung noch weit zurücksteht und
beispielsweise in der DDR nur beiläufig vertreten ist - trotz seiner
Aktualität vor allem im Hinblick auf die Erfassung allgemeiner ethischer
und damit humanistischer Probleme und einer entsprechend
möglichen Praxisbezogenheit. Neben der Philosophie übt ja gerade
die Religionswissenschaft für alle geistes- und naturwissenschaftlichen
Fächer eine Klammer-Funktion aus. Aber die Erkenntnis
wächst wohl erst allmählich, daß man an der Religion - und an der
Religionswissenschaft - nicht vorbeikommt. Natürlich auch dann
nicht, wenn man eine atheistische Position vertritt, geistig jedoch mitreden
will.

Angesichts der Fülle der Themen und Aspekte kann ich fast nur
willkürlich einiges herausgreifen: So das monoreligiöse Religionsmodell
Friedrich Heilers (den viele von uns noch kannten), das stets
auf „primitiver" Religiosität beharrt, aber vor allem an den „großen
religiösen Persönlichkeiten, deren geistiges Wertlebcn im religiösen
Erleben gipfelt" orientiert ist, so an den Mystikern. Heiler forderte
jedoch auch auf der Grundlage moderner naturwissenschaftlicher
Forschung eine Versöhnung von Wissenschaft und Religion (R. Flasche
^. 21 1). Das weithin archaisierende Religionsmodell von Mircea
Eliade, das auf die Manifestation des Heiligen in der Geschichte hinausläuft
, möchte Flasche als „kosmischen Mystizismus" einordnen
(S. 214). E. kämpfte gegen die .Entleerung' der Welt durch den modernen
abendländischen Menschen und geht auf die „Ganzheitlichkeit
der ursprünglichen ,anthropokosmischen' Erfahrung" zu (R. Flasche,
S. 217). Eliade kam es vor allem auf die .kosmische Totalität' an.

Ein Eingehen auf die religiöse und areligiöse Ausstrahlung
Nietzsches müssen wir uns hier versagen, obwohl der so vielschichtige
Denker wieder im Kommen ist, was nicht nur die vielbändige, von italienischen
Kollegen besorgte Gesamtausgabe verdeutlicht. Der
inhaltreiche Beitrag des in Marburg lehrenden Engländers Michael
Pye über Japan jedoch soll skizziert werden, zumal er uns Europäern
eine religiöse (und quasireligiöse) Welt erschließt, an der heute weniger
denn je vorbeizugehen ist. An Hand der häufig in Industriebetrieben
, sogar in Bergwerken errichteten Shinto-Schreine und der dort
stattfindenden Zeremonien meint Pye verdeutlichen zu können, daß
„die religiöse Dimension einen, wenn auch normalerweise nicht
besonders auffallenden, doch von allen Firmenangehörigen als ganz
normal empfundenen Aspekt des industriellen Alltags darstellt" (S.
298). Eine bekannte Hotelkette trägt z. B. den Namen Lotos-Klub,
womit auf ein wichtiges buddhistisches Symbol verwiesen wird. Die
Hotels enthalten entsprechende Meditationsräume. Angesichts der
Vielgestaltigkeit des Lebens und des hohen Entwicklungstempos ist -
nicht zuletzt bei Großindustriellen - sicherlich von einem synkreti-
stischen religiösen Strukturgewebe zu sprechen. Mit den religiösen