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Ausgabe:

1990

Spalte:

700-701

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Auslegungen der Reformatoren 1990

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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699

Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 9

700

im Anhang ein bisher unveröffentlichter Textentwurf Congars
(379-381) und ein Kommentar (383-385) abgedruckt. Inhaltlich betrifft
dies die Endredaktion der bis heute schwierigen Artikel 7—10 der
Konstitution, für deren Entstehung und Verständnis aufschlußreiche
Hinweise gegeben werden. Dabei ist zunächst vorauszuschicken, daß
sich Congar nicht der von R. Geiselmann vorgelegten Interpretation
angeschlossen hat, nach der in dem Trienter Dekret »De libris sacris
et de traditionibus recipiendis« die Suffizienz der Heiligen Schrift,
nicht aber eine Ergänzung von zwei Offenbarungsqucllen vertreten
werde. Allerdings bedeutet dies bei Congar, daß die Schrift zwar der
Tradition vor- und übergeordnet ist, aber zugleich tlihrt die Tradition
über die Schrift hinaus. Vf. faßt die Übereinstimmung zwischen den
Textentwürfen Congars und der Endfassung der Konstitution »Dei
Verbum« so zusammen: Es „lassen sich grundsätzliche Übereinstimmungen
feststellen, so die trinitarische Konzeption und heilsgeschichtliche
Sicht, die Überwindung der Trienter Fragestellung und
der Diskussion über die materiale Suffizienz der Heiligen Schrift, der
Einbezug der Realtradition, die Veranschlagung eines Fortschrittes in
der Tradition, die Bindung des Lehramtes an Schrift und Tradition
und seine dienende Funktion, die gegenseitige Verwiesenhcit und
Verbundenheit von Schrift und Tradition im Gegensatz zur Theorie
von zwei unabhängigen, material verschiedenen Quellen, die Bedeutung
derGesamtkirchc im Traditionsprozeß" (292).

Im Ergebnis liegt eine Auflassung vor, die sich unmittelbar mit der
von der religionsgeschichtlichen Schule geprägten traditionsgeschichtlichen
Betrachtungsweise in der evangelischen Theologie
trifft. Dazu gehört aber wohl auch, daß bei beiden Voraussetzungen
auf den Text und die Auslegung der Heiligen Schrift reflektiert wird,
während ihre Wirkung als Wort Gottes in dem richtenden Gesetz und
dem rettenden Evangelium übergangen wird. Wenn sich aber in dieser
Weise das Offenbarungsgeschehen in die Geistesgeschichte ausweitet,
werden letztlich Geschichte und Heilsgeschichte ununterscheidbar.
Von hier aus ist es wohl zu verstehen, daß sich Congar in kritischer
Begleitung mancher nachkonziliarer Bewegtheiten der Pneumatolo-
gie in ihrem christologischen Bezug zugewendet hat: „Die Gesundheit
der Pneumatologie liegt für Congar in der Bindung an die Christolo-
gie, weil nur so Naturalisierung, willkürliche Berufung, Psychologisierung
, Irrationalität und Spiritualismus ausgeschlossen werden
können" (363). So zeigt sich im Traditionsverständnis von Congar die
verbindende Kraft, aber zugleich auch diemotwendige Begrenzung.

Es gehört wohl zur Eigenart ökumenischer Begegnung, daß die
jeweils andere Seite auch als Spiegelbild wirken kann, und auf diese
Weise treten in dem Werk Congars wesentliche Voraussetzungen von
dem zutage, was heute als Konsens- oder Konvergenzökumene praktiziert
oder auch kritisiert wird. Der blinde Punkt in diesem Spiegelbild
aber ergibt sich daraus, daß bei aller Übereinstimmung in der Anerkennung
einer materialen Suffizienz der Heiligen Schrift eine Verständigung
über die Wirkung des Wortes Gottes der Heiligen Schrift
fehlt. Die vorzügliche Darstellung zu der Theologie eines Wegbereiters
des „Ökumenismus" in der römisch-katholischen Kirche bietet
eine wichtige Anregung, dem auf evangelischer Seite weiter nachzugehen
.

Erlangen Reinhard Slenczka

Clements, Keith W.: Lovers of Discord. Twentieth-Century Theo-
logical Controversies in England. London: SPCK 1988. X, 261 S.
8°. Kart. £8.95.

Wie es jene Kirchcngeschichte aus der Perspektive der als Ketzer
Verurteilten gibt, beschreibt der Dozent an einem baptistischen
College in Bristol und an der Universität ebendort seine britische
Theologiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts aus dem Anliegen
heraus, den theologischen Abweichlern gerecht zu werden, ohne
ihnen zu Munde zu reden. Selbstverständlich handelt es sich um ausgewählte
Beispiele. Dabei ist sich der um viel Verständnis bemühte

Autor bewußt, daß auch künftig Konflikte in der Theologie erst dann
überwunden sein werden, wenn niemand anderes als der Heilige (icist
uns Menschenkinder die Wahrheit lehrt.

Die theologischen Spannungen, von denen Clements im einzelnen
berichtet, sind dem Leser auf dem Kontinent unterschiedlich bekannt.
Am ehesten läßt sich natürlich noch eine ausreichende Kenntnis der
Flonest to God Debate vor einem Vierteljahrhundert erwarten. Wenn
die Diskussion auch im wesentlichen die insulare Sachlage widerspiegelt
, ist sie deswegen doch keineswegs uninteressant, sondern erweist
sich gerade aus diesem Blickwinkel für Leser aus anderen Regionen
als höchst informativ (vgl. ergänzend Alistair Kee, The Rools of
Christian Freedom. The Theology of John A. T. Robinson, London
1988). Das trifft insbesondere auf Beobachtungen zur Entwicklung
Robinsons ab etwa 1970 zu.

Ein wenig mag noch in die kontinentale Kirchlichkeit gedrungen
sein von den Stellungnahmen des David Jenkins, Bischofs von Dur-
ham. Wie er sich etwa zur Wunderfrage in den achtziger Jahren dieses
Jahrhunderts äußert, erinnert in manchem an seinen Kollegen aus
Woolwich in den sechziger Jahren, dem sich Jenkins damals freilich,
vorsichtiger abwägend, -entgegenstellte. Weitestgehend unbekannt
dürften aber die älteren Positionen in der britischen Theologiegeschichte
des 20. Jahrhunderts sein, die Clements beschreibt: z. B.
die „Neue Theologie" von R. J. Campbell, die nun schon als achtzigjährig
gelten kann, aber die immer junge Frage nach dem Verhältnis
von Bibel und Philosophie enthält; die Antizipation des Durhamer
David-Jenkins-Trauma durch Bischof Hensley Henson von Durham
nach dem 1. Weltkrieg u. a.

Die teilweise wechselseitig kritische Beziehung zwischen Kirche
und Theologie lallt auf. Bemerkinswert auch, wie oft im United Kingdom
leitende Geistliche theologische Impulse vermittelt haben und
nicht institutionellem Konformismus mit seinem Rechtfertigungs-
syndrom verfielen.

Rostock Jens Langer

Praktische Theologie: Homiletik

Friedrich, Gerhard [Hg.]: Auslegungen der Reformatoren. Gemeinsam
mit Ulrich Asendorf, Samuel Lutz und Wilhelm Neuser hg.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984. 291 S. 8' = Texte zum
Neuen Testament. Das Neue Testament Deutsch - Textreihe. 3.
Kart. DM 39,80.

Die auf 5 Bände angelegte Ergänzungsreihe zum NTD (Religionsgeschichte
, Kirchenväter und Mittelalter, Hauptreformatoren,
18./19. Jahrhundert, 20. Jahrhundert) soll das NT durch „die
Stimmen aus vier verschiedenen Perioden erschließen" (Supskrip-
tionseinladung) und ist vor allem als Hilfe für die Vorbereitung von
Predigt und Bibelarbeit gedacht. Für die Auswahl der NT-Texte, die
U. Asendorf vornahm, ist aber nicht allein die Perikopenordnung für
die Predigt maßgeblich gewesen, sondern auch die Relevanz „exegetischer
Fragen der Gegenwart" (Vorwort). Voran steht eine „Einleitung
: Reformatoren als Ausleger der Schrift" vom Herausgeber der
Reihe. G. Friedrich. In gut lesbarer Form informiert er über das
Schriftverständnis von Luther (9-17), Zwingli (17-25) und Calvin
(25-32). Insgesamt wird das jeweilige Eigenprofil der Reformatoren
klar herausgearbeitet. G. Friedrich scheut sich auch nicht, die Dinge
formelhaft zugespitzt auf den Begriff zu bringen, z. B. das Verhältnis
von Wort und Geist bei Luther und Calvin: „bei Luther ist der (reist
an das Wort gebunden, das Wort absorbiert den Geist. Bei Calvin ist
das Wort Gottes an den Geist gebunden, der Geist inkorporiert das
Wort" (32). Im einzelnen ergeben sich doch einige Fragen. So enthält
z. B. die Aussage, Luther habe „keine kirchcnleitenden Funktionen
gehabt" (9), eine Verkürzung von Luthers Einfluß. Die Begründung
für die Entstehung der Lehre vom vierfachen Schriftsinn (II: „Eine
solche wörtliche Deutung genügte vielen Interpreten nicht.") ist zu