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Ausgabe:

1990

Spalte:

684-686

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Roloff, Jürgen

Titel/Untertitel:

Der erste Brief an Timotheus 1990

Rezensent:

Hasler, Victor

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Theologische Literaturzeitung 115. Jahrgang 1990 Nr. 9

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Bemerkenswert sind T.s Überlegungen zum Problem der Teilungshypothesen
. Es gebe „keine antiken Belege dafür, daß Briefe /erteilt und die Teile
neu zusammengestellt werden" (S. 120); wohl aber habe es. sogar vom Autor
selbst vorgenommene. Umstellungen und ..Briel'versehmelzungen'" gegeben.
Am Beispiel des 2Kor führt T. eine Mögliehkeit vor. wie Paulus selbst vier
Brietet 1,3-2,11:2.14-7.3:7.4-9.15: 10.1 -13.10) in der gegebenen chronologi-
schen Abfolge miteinander vereinigt und als für einen weiteren Leserkreis gc-
dacht redigiert habe (1,115 2.l2f: 13.11-13 seien die redaktionellen Ergänzungen
des Paulus: S. 123-128).

In gewisser Weise die Probe aufs Excmpcl ist die ausdrücklich als Hypothese
bezeichnete Rekonstruktion der Vorgeschichte des Corpus Paulinum (S.
128-131). Hier entsteht nun aber doch der Eindruck, daß T. in seiner Ent-
deckerfreude der Phantasie zu viel Spielraum läßt: Während der dritten
Missionsreise sei Paulus in Ephesus äußerlich zur Ruhe gekommen: Ausgangspunkt
der Briefsammlung sei nun vielleicht Gal gewesen, der über seine eigentlichen
Adressaten hinaus W irkung ausgelöst habe. ..Man möchte mehr von Paulus
lesen. Gleichzeitig setzt sich bei Paulus der Wunsch fest, seine Lehre der
Nachwelt zu hinterlassen", da die Parusie ausblieb und die allgemeine sowie die
persönliche Lage des Apostels unsicher wurde. „Zum ersten Mal greift Paulus
zur Feder und erstellt aus seiner Korrespondenz mit Korinth den sogenannten

1. Korinthenhrief'" „Das Lescrinteresse ist überwältigend. Über Nacht wird
Paulus zum Schriftsteller", und so beginnt er eine Reise durch seine Gemeinden
in Philippi und Thessalonich. um die dort vorhandenen Korrespondenzen zu je
einheitlichen Briefen zusammenzufassen. In Korinth seien dann 2Kor und als
Krönung Rom entstanden, letzterer zusätzlich in einer besonderen nach Ephesus
gerichteten FassunglRöm 1-16).

M. E. sind T.s Beobachtungen für die Rekonstruktion der Uberlieferung
der Briefe in den Handschriften von großem Wert. Aber sein
hy pothetischer Rückgang auf die davorlicgende Zeit ist wenig plausibel
. Zum einen enthalten ja die von T. angeführten von den Autoren
selbst veranstalteten Briefsammlungen ausdrückliche Hinweise auf
das eigene Unternehmen, und man sieht nicht, warum Paulus dies unterlassen
haben oder warum ein späterer Herausgeber einen entsprechenden
Hinweis restlos getilgt haben sollte. Und zum andern
/eigt die älteste Erwähnung eines Paulusbriefes (1 Gern 47), daß man
gegen Ende des I. Jh. in Rom eben den Ersten Korintherbrief und
nicht schon eine „Sammlung" kannte und dasselbe auch für Korinth
voraussetzte („Was schrieb er euch . . ."). M. E. zeigt dies zwingend,
daß die Abschriften der Paulusbriefe jedenfalls bis zum Beginn des

2. Jh. noch in Form von Einzelschriften existiert haben.

Bethel Andreas Lindemann

Holland, Cilenn S.: The Tradition that You Received from Us: 2
Thessalonians in the Pauline Tradition. Tübingen: Mohr 1988. IX,
1 74 S. gr. 8" = Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, 24.
Lw. DM98,-.

Es handelt sich bei dem Buch um eine Dissertation, die unter H. D.
Betz erarbeitet worden ist und 1986 der Divinity School ofthe Univer-
sity of Chicago vorlag. Der Verfasser analysiert in I 2Thess nach seiner
rhetorischen Struktur und erschließt von daher die Funktion seiner
Aussagen. In II vergleicht er 2Thess mit IThcss einerseits unter dem
(iesichtspunkt. welche Partien in beiden Briefen sichtliche Parallelen
haben und welche nicht, andererseits mit der Frage, welchen Charakter
und welche Funktion die vergleichbaren Partien jeweils in ihrem
Brief haben. Das Textmatcrial dafür war bereits bei der Präsentation
der rhetorischen Analyse von 2Thess bereitgestellt, die in vier Kolumnen
übersichtlich den Gesamttext von 2Thess, seine Gliederung nach
rhetorischen Kategorien durch H. sowie die vergleichbaren Partien
von IThcss darbietet (S. 8-33). Dieser zweite Teil der Untersuchung
begründet das Urteil, daß 2Thess eine direkt von IThess abhängige
deuteropaulinische Schrift ist. Obwohl H. in I (und II) herausgestellt
hat. daß entgegen der geläutigen Ansieht die eschatologischen Abschnitte
2Thess 1,5-10 und 2,1-12, die die narratio und die probatio
der brieflichen Rede bilden, nicht das Thema enthalten, dessentwegen
die Schrift eigentlich abgefaßt ist. sondern daß ihre zentrale Absicht
erst in 3,l-13,derexhortatio, hervortritt,.behandelt III thematisch die
Eschatologie des 2Thess. Und auch die Einordnung von 2Thess in die

Geschichte der paulinischen Tradition im 1. nachchristlichen Jahrhundert
in IV orientiert sich vornehmlich an der Gestalt der Eschatologie
. H. schreibt der Eschatologie allerdings auch eine Schlüsselrolle
bei der Auseinandersetzung um die Legitimation paulinischcr Autorität
in nachpaulinischer Zeit zu, weil durch sie zugleich die Rechtmäßigkeit
der Berufung auf Paulus und die Einordnung der Kontrahenten
auf der negativen Seite der endzeitlich wirkenden Mächte
erwiesen werden kann.

H. hat ein anregendes Buch vorgelegt, das in bedenkenswerter und
weitgespannter Weise das schwierige historische und theologische
Problem des 2Thess behandelt. Hinsichtlich der „Echtheitsfrage" bekräftigt
er im wesentlichen die Beobachtungen und Überlegungen,
durch die in der Gegenwart der deuteropaulinische. von IThess abhängige
Charakter des 2Thess weithin begründet wird. Neue Wege
geht er in der Beantwortung der sich damit stellenden Fragen nach der
Absicht der Schrift und ihren historischen Bedingungen. Sie will im
Konflikt mit einer offenbar stärker enthusiastischen Richtung innerhalb
der paulinischen Tradition im letzten Drittel des I. Jahrhunderts
eine bestimmte Spielart der paulinischen Tradition bzw. die Autorität
dessen Trägers durchsetzen, die mehr auf Perseveranz ausgerichtet ist.
Damit zusammen hängt die Klärung des bei Paulus selbst nicht eindeutig
bestimmten Verhältnisses zwischen „Tag des Herrn" und
Parusie sowie die Bestimmung der eigenen Situation in der eschatologischen
Geschehensabfolgc. In der eschatologischen Fragestellung
ordnet sich 2Thess nach H. in einen breiten Strom frühchristlicher Bemühungen
um dieses Thema am Ende des 1. Jahrhundertsein.

Nicht recht klar geworden ist mir der tatsächlich neue Ertrag der
rhetorischen Analyse von 2Thess, die in U.S.A. gegenwärtig allerdings
eine dominierende Rolle spielt. Die Frage, wieweit die Regeln
artifizicller Rhetorik auf die neutestamentliche Briefliteratur übertragen
werden dürfen, wird in diesem Fall radikalisiert durch die Voraussetzung
des Verfassers, daß 2Thess literarisch von IThess abhängig
ist. mithin sich einer komplexen'Entstehungsgeschichte verdankt
. Es stellen sieh weitere Fragen, so die nach der behaupteten
Differenz zwischen „Herrentag" und Parusie sowohl bei Paulus als
auch in 2Thess oder angesichts der - in sich konsequenten - Annahme
, der Verfasser von 2Thess habe ausschließlich IThess als
Paulus-Brief gekannt. Auch dieses Buch zeigt, wie schwierig es ist.
2Thess als pseudepigraphe Schrift verständlich zu machen, wie es freilich
ebenso zeigt, mit welchen Schwierigkeiten es die Annahme zu tun
hat. die 2Thess als Paulus-Brief zu begreifen versucht.

Eine Auswahlbibliographie sowie Register schließen das interessante
Werk ab.

Halle (Saale) Traugott Holtz

Roloff, Jürgen: Der erste Brief an Timotheus. Zürich: Benziger;
Neukirchcn-Vluyn: Neukirchener 1988. 395 S. gr. 8" = EKK.
Evang.-Kath. Kommentar zum Neuen Testament, 15. Pb. DM

85,-.

Treuhänderische Verwaltung des Evangeliums als einer der Kirche
anvertrauten universalen Heilsbotschaft! Auf diese Quintcssenz läßt
sich die neue Auslegung des ersten Timotheusbriefes zusammenfassen
. Verfasser ist der seit 1973 in Erlangen wirkende Neutestament-
ler, der sich schon seit seiner Dissertation über das apostolische Amt
bei Paulus. Lukas und in den Pastoralbriefen („Apostolat-Verkündi-
gung-Kirche, Göttingen 1965") mit den in der ökumenischen Diskussion
vordringlichen und ungelösten Amtsproblemen beschäftigt und
sich in den achtziger Jahren in kompetenten Aufsätzen dazu geäußert
hat: 1980 in Baur. Das Amt im ökumenischen Kontext: 1985 in der
Kümmel-Festschrift und 1987 in Schaich, Studien zu Kirchenrecht
und Theologie. Im exegetischen Handwerk hat sich J. Roloff als
Kommentator der Apostelgeschichte (NTD 5, 1981) und der Johannesoffenbarung
(ZBK/NT 18. 1984) einen hervorragenden
Namen gemacht. Seiner didaktischen Begabung verdanken unsere