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Ausgabe:

1990

Spalte:

620-622

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

The Spinoza conversations between Lessing and Jacobi 1990

Rezensent:

Kern, Udo

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619

Theologische Literaturzeitung 1 15. Jahrgang 1990 Nr. 8

620

Dieses Wissen um das Ganze der menschlichen Existenz vor Gott
kann nicht aus Eigenem erworben werden, sondern verdankt sich der
Erleuchtung, die immer zugleich Sache des Denkens und der Erfahrung
ist. Meister Eckhart ließ nie einen Zweifel aufkommen, daß die
existenzielle Erfahrung in ihrer philosophischen Deutung und Begründung
zum ausnehmenden Wissen des Spiritualen gehört. Wissen
macht betroffen; Heilswissen betrifft, verpflichtet und macht den
Wissenden zum Mahner -und Künder. Eckhart mußte lehren und
unterweisen als Magister der Theologie auf seiner Kathedra, als
Dominikaner auf der Kanzel. Die Einheit von Theologie und Unterweisung
, Lehren und Handeln, Denken und Erfahren ist für ihn selbst-
verständiieh und bestimmt die Systematik im ..Opus tripartitum". das
in der Schriftauslegung und Predigt ans Ziel kommt.

Nur in der Einheit von Denken und Erfahren gibt es für Meister
Eckhart ein Wissen um den Grund, dem Zentralbegriff in seinem
deutschen und lateinischen Werk. ..Der Ursprung ist als Grund nicht
anders als der Durchherrschende. Freigebende, zu Selbst-sein-
Ermächtigende, gleichzeitig aber dieses Selbst-Sein über sich Hinaustreibende
- in den Grund hinein." (S. 12) Diesen Vorgriff auf das
ganze Thema der Untersuchung kann aber E. Waldschütz nur so ausführen
, daß er die Begriffe Ursprung - Grund und Principium je
einzeln untersucht, denn mit Recht bemerkt der Autor, daß das
deutsche und lateinische Begriffsfeld unterschiedlich angelegt und
strukturiert ist. In der gesonderten Untersuchung wird deutlich, daß
Eckhart in der Tat auch seine deutsche Muttersprache brauchte, um
seine Gedanken zu artikulieren. Die gleichgewichtige Analyse der
deutschen und der lateinischen Texte macht offenbar, wie einseitig
jede Studie bleibt, die sich nur auf das deutsche oder lateinische Werk
konzentriert. E. Waldschütz erweist sich auf beiden Feldern der mittelhochdeutschen
, germanistischen und der lateinischen Forschung
als zuverlässiger Eckhart-Interpret.

Das Wort ,grunt' ist bislang weder in seiner Sprach- noch in seiner
Begriffsgeschichte hinlänglich untersucht worden. Bewegung aus dem
Grund und Ruhen im Grund sind nur zwei Aspekte des großen Gedankens
, ,,daß die Beweglichkeit des Grundes, alles ins Sein zu bringen
, gerade das ist, was seine Unbewcglichkeit ausmacht" (S. 162).
Die Erfahrung dieses Grundes ist nach Eckhart für den Menschen ..die
äußerste und gleichzeitig innigste Möglichkeit des Menschen" (S.
141). In der Grunderfahrung gewinnt das Wissen den Zugang zu Gott:
..Ursprung läßt urspringend freien Ursprung sein, ohne daß das
Grund- und Ursprungsein sich je erschöpfte. Ganz im Gegenteil:
Gründend, urspringen-lassend erneuert sich der Grund je selbst, wird
er je mehr er selbst im anderen, als der Andere" (S. 178). Nicht in der
Verzückung oder in der mystischen Versenkung erfährt Martha, die
Jesus in ihr Haus aufnahm (Lk 10,38, dt. Predigt 86), den ungeschiedenen
, einenden Grund des Lebens, sondern in der Übereinstimmung
mit dem Wort Jesu, das nicht nur Maria, sondern gerade auch die
sorgliche Martha in das rechte Sorgen um das Wirkliche ringt. Eckhart
war kein Mystiker in einem vorgeprägten Verständnis von Mystik;
sein Denken und Erfahren des göttlichen Grundes im „Grund-tot-
sein" und ,,Zugrunde-sterben" (S. 204) sind gültiges Zeugnis seiner
Christusmystik. Das 6. Kapitel (des 2. Teiles der Arbeit) S. 186-207
über „Das Ergründen des Grundes in seiner Grundlosigkeit" beschreibt
zutreffend die Grundelemente der Mystik Eckharts.

Die folgenden Untersuchungen zum Begriff,,Principium" im lateinischen
Werk Eckharts (S. 216-285) machen wiederum deutlich, daß
der Magister vor allem Theologe ist. Der Prolog des Johannes-
Evangelium ist die primäre Quelle für das Verständnis des Begriffes,
dessen Umfeld durch die patristische, augustinische Tradition bestimmt
ist. Gott, der Deus-Pater, ist in seinem personalen ursprungs-
haften In-Beziehung-Sein „Principium"; Sohn und Geist sind die
lebendige Fülle in der „relatio ordinis et originis" nach innen, im
innertrinitarischen Leben Gottes, und offenbaren diese Fülle nach
außen in der Schöpfung und Heilsgeschichte. Eckhart dachte und
erfuhr das ewigkeitliche und heilsgeschichtliche Geheimnis des dreifaltigen
Gottes in seiner Einheit und Identität. Er hat K. Rahners

Axiom von der Identität der immanenten und heilsökonomischen
Trinität vorweggenommen. Dies war aber nicht mehr Thema der philosophischen
Deutung Meister Eckharts. In einer Gesamtwürdigung
der Arbeit muß diese Grenzziehung in ihrer positiven und auch negativen
Bedeutung in gebotener Kürze aufgezeigt werden.

In bewußter philosophischer Grenzziehung setzt sich der Autor
kritisch auseinander mit der neuplatonischen und idealistischen Auslegung
Meister Eckharts vor allem in der deutschsprachigen philosophischen
Forschung. Die Präsenz der neuplatonischen Tradition in
Eckharts Werk ist unabweisbar und der Vergleich mit der Geistphilosophie
des späteren Idealismus ist möglich, beide Analysen dürfen
aber das eigentliche theologische Anliegen Eckharts nicht verdecken,
die Glaubenserkenntnis aus der Einheit von Denken und Erlähren zu
begründen. Was leistet die Philosophie in Eckharts Theologie?
Thomas von Aquin nahm die „analogia entis" für die Theologie in
Dienst. Heinrich von Gent (t 1291) erklärte die theologische Erkenntnis
als höheres Wissen, welches der Philosophie unerreichbar ist.
Nach Duns Scotus bringt die philosophische Anstrengung in der
Theologie die Glaubenswahrheit unter den reinen Begriff der Aussage
. Aus der Einheit von Denken und Erfahren resultiert nach
Eckhart das existenzialontologische Erkennen, in dem Glauben und
Wissen korrespondieren und übereinstimmen im Überschwung dei
Erkenntnis, der christlichen Gnosis.

Die Konzentration auf die „philosophische Deutung Meister Eckharts
" bedeutet selbstredend die weitgehende Ausklammerung der
Theologie. Diese Beschränkung brachte es zwangsläufig mit sich, daß
den anstehenden theologischen Problemen nicht die notwendige Aufmerksamkeit
geschenkt werden konnte, z. B. S. 139: Die innertrinita-
rische Zeugung des Sohnes aus dem Vater geschieht nach allgemeiner
scholastischer Auflassung „secundum naturam", entsprechend der
göttlichen Natur, im Unterschied zur Hauchung des Geistes, welche
„secundum voluntatem" geschieht (vgl. Thomas v. Aquin S. th. I. <J>
27 a. 4). Eckhart spricht an der genannten Stelle nur von der ewigen
Geburt des eingeborenen Sohnes. In dieser ewigen Geschichte des
Lebens in Gott entdeckte Eckhart den Urgrund seiner Lebensgeschichte
, denn wir sind Söhne im Sohn, „fllii in Filio". Ohne dieses
Wort des Glaubens ist Eckharts Grunderlährung der Sohnesgeburt
nicht denkbar, auch philosophisch nicht denkbar. Die philosophische
Denkbarkeit seinerGlaubenserfahrung war aber für den Magister und
Minderbruder Eckhart Lebensarbeit und Lebensaufgabe. Die Untersuchung
von E. Waldschütz wird ihm gerecht.

Bochum Ludwig Hödl

Vallee, Gerard: The Spinoza Conversations between Lessing and
Jacobi. Text with Excerpts from the Ensuing Controversy. Transl.
by G. Vallee. J. B. Lawson, C. G. Chapple. Lanham - New York -
London: University Press of Amerika 1988. VIII, 174 S. 8*. Kart.
$ l3.75;Geb.$26.50.

1961 brachte Heinrich Scholz unter dem Titel „Die Hauptschriften
zum Pantheismusstreit zwischen Jacobi und Mendelssohn", versehen
mit einer über 100 Seiten langen Einleitung, die wichtigen Schriften
zur Spinozadebatte in bezug auf Lessing heraus. Gerard Vallee "(is)
presenting here in translation significant section of this documenta-
tion" von Heinrich Scholz. (Vallee, Vorwort) Dieser Band enthält in
englischer Übersetzung in der angezeigten Folge wichtige Abschnitte
aus folgenden Schriften des Pantheismusstreites: l. Moses Mendelssohn
: Morgenstunden oder Vorlesungen über das Dasein Gottes, 2.
Friedrich Heinrich Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, in Briefen an
(den) Herrn Moses Mendelssohn, 3. M. Mendelssohn: An die Freunde
Lessings und 4. F. H. Jacobi: Wider Mendelssohns Beschuldigungen
in dessen Schreiben an die Freunde Lessings. Eine wichtige „Einleitung
" (62 Seiten) ist der Dokumentation vorangestellt. Sie "aims at
providing the context of the debate and takes into aecount recent
studies of'Lessing's Spinozism'". (Vorwort) Für Vallee ist die Spino-